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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Neue Preußische Zeitung gründete und mit eben so vielem Geist wie Geschick die feudalen Interessen vertrat, wobei er allerdings in der Wahl seiner Waffen nicht gerade allzu scrupulös und bedenklich war. Zum Lohn für seine mannigfachen, offenen und geheimen Dienste erhielt er bekanntlich von der kleinen, aber mächtigen Partei das Rittergut Dummerwitz zum Geschenk. Nach seinem Rücktritt von der Redaction wurde er später unter dem Ministerium Bismarck zum vortragenden Rath ernannt. Als Redner zeigt Herr Wagener eine rücksichtslose Dreistigkeit, die selbst bei seinen Gesinnungsgenossen zuweilen Anstoß erregt. Sein fließender Vortrag hat jedoch etwas Monotones, Trockenes, wie seine ganze knöcherne und wenig sympathische Gestalt, doch müssen selbst seine Gegner seinen scharfen Verstand anerkennen. In seinen Ausdrücken ist er nicht besonders wählerisch und seine Bilder sind nicht eben glücklich und geschmackvoll, so wenn er von der „Vollblutstute Germania“ spricht, oder die Verfassung „nicht eine Parlaments-, sondern eine Regimentstochter“ nennt. Von allen Conservativen hat er der socialen Frage die größte Aufmerksamkeit geschenkt und sich vielfach den Arbeitern genähert, um aus einer solchen gefährlichen Verbindung politisches Capital zu machen und die ihm verhaßte Bourgeoisie einzuschüchtern. Jedenfalls ist Herr Wagener seit dem Tode Stahl’s, mit dem er sich jedoch in keiner Weise vergleichen läßt, das bedeutendste Mitglied seiner Partei und ein durchaus nicht zu unterschätzender Gegner, da es ihm weder an politischer Begabung noch an energischer Kühnheit fehlt. Auf derselben Seite sieht man noch den Fürsten von Pleß, einen der reichsten Grundbesitzer Schlesiens, und den Fürsten Lichnowsky, den Bruder jenes abenteuerlichen, aber genialen Felix Lichnowsky, den ein tragisches Geschick bei dem Volksaufstande in Frankfurt am Main ereilte. Die Aehnlichkeit zwischen Beiden scheint mehr eine äußere als innere zu sein und sich lediglich auf eine gewisse Lebenslust zu beschränken. Nicht unerwähnt darf unter den Conservativen Herr von Blankenburg bleiben, dessen Erscheinung und Beredsamkeit stets mit der gebührenden Heiterkeit begrüßt wird, obgleich sein Humor in letzter Zeit, seitdem er eine ministerielle Schwenkung gemacht, wesentlich gelitten hat. Auch Herr Hans Köster, der Dichter verschiedener unaufgeführter Dramen und Gatte einer einst berühmten Sängerin, geht mit der Rechten durch Dick und Dünn, während er durch seine pathetischen Reden eine unbewußte Komik entfaltet.

Im Ganzen erscheint jedoch die conservative Partei im Norddeutschen Parlament, wo sie die Majorität hat, minder schroff, weniger energisch und kampflustig, als im preußischen Herrenhause. Die Gewalt der Thatsachen und der unabweisbare Einfluß der Regierung hat die Principien erschüttert, die starren Consequenzen abgeschwächt und dem eigentlichen Junkerthum die Spitzen abgebrochen, so daß ihm eine unausbleibliche Krisis droht. Auch hier wiederholt sich das Schauspiel der Inconsequenz, der Schwankung und des Abfalls, welche die beginnende Auflösung, zugleich aber die Neubildung dieser Partei auf einer gänzlich veränderten Basis bedingen, wenn dieselbe nicht früher oder später ein klägliches Ende, trotz ihres vermeintlichen Sieges, nehmen will.

Das allgemeine directe Stimmrecht ist die täuschende Lorelei, welche das Junkerthum in den Abgrund zieht. Nicht ungestraft darf man selbst den Schein der Freiheit annehmen; sie rächt sich nicht nur an ihren Feinden, sondern auch an ihren falschen Freunden.




Ein Bauer als Dichter.


Durch die öffentlichen Blätter läuft seit dem Februar d. J. eine andeutende Nachricht von einem Bauer, der als Romandichter auftrete. Ein echter Bauer – als echter Dichter? unerhört! Aber die Sache ist richtig und so merkwürdig, daß sie durch das deutsche Weltblatt der deutschen Welt genauer mitgetheilt zu werden verdient. Der Unterzeichnete ist zufällig im Stande, genaue Auskunft zu geben, und freut sich es thun zu können, auf Wunsch des Herausgebers dieses Blattes, der damit meinem Wunsche entgegenkam. Mir ist, als müßte die deutsche Welt, die gerade jetzt, auch über die Meere hinweg, wohl so etwas wie das Gefühl Einer großen Familie gewinnt (oder gewinnen kann) – ein Gefühl, das keinem Volke länger abhanden gekommen war, als dem deutschen, und zu dem doch kein Volk mehr bestimmt scheint als das deutsche, falls es wahr ist, was man vom Gemüthe des Germanenstammes sagt – mir ist, als müßte die deutsche Welt daran Theil nehmen wie an einem nationalen Familienereigniß.

Die Nachricht kam von Leipzig, ich weiß nicht von wem, und von hier geht auch die Dichtung in Buchform aus, eben in diesen Tagen. Der Dichter aber, der Bauer wohnt weit von hier, fast in dem südwestlichsten Winkel des deutschen Bodens, der Linie nahe, wo die romanischen Laute und die romanische Art beginnen, in Vorarlberg. Und wirklich in einem Winkel wohnt er und ist geworden, was er ist, in einem der verstecktesten Alpenthäler, und zwar im hintersten Dorfe des Thales, in Schoppernau, bis wohin nicht einmal eine Fahrstraße führt; selbst dem 17. Jahrhundert wäre der Fahrweg nur ein schlechter Feldweg gewesen, den ich vor einigen Jahren da wanderte, als ich zufällig den Bauer-Dichter kennen lernen sollte. Er ist aus diesem Winkel eigentlich auch noch nicht herausgekommen, hat von der Welt außer seinen großartigen, aber engen Alpenthälern noch nichts gesehen als Bregenz und Lindau, von wo man über den blauen See hinausblickt in schwäbische, alemannische Land, wo im Hafen Dampfer einlaufen mit bairischer, würtembergischer, badischer, schweizerischer Flagge. Ja wie in aller Welt konnte in dieser Enge und Entlegenheit aus einem Bauer ein literarisch so weit durchgebildeter Mann werden?!

Er mag das nachher selbst erzählen, wie er mir’s in Kürze brieflich erzählt hat; es ist zugleich der denkbar glänzendste Beweis, welche – Wunder in unserer wunderbaren Zeit geschehen können durch die Druckpresse, den Buchhandel, die Eisenbahnen, welchen Samen sie säen können, wo der Boden dazu bereitet ist. Mich aber lasse der freundliche Leser zunächst von meiner erwähnten Wanderung etwas vorplaudern, die uns zu ihm führen wird.

Es war eine Erholungsreise, die mich im Juli 1863 dorthin führte. Mein Ziel war das Schoppernau nahe obere Allgäu, wo bei einer befreundeten Leipziger Familie, die sich dort eben eine Sommerfrische gegründet hatte, der eigentliche Aufenthalt sein sollte. Der Büchermensch aber wollte dabei doch auch ein Stückchen Alpenwelt mit eigenen Füßen schmecken und zwar ein möglichst leichtes; das mußte aber auch auf der Hinreise abgemacht werden, weil nachher das bevorstehende große Turnfest den Leipziger unerbittlich pünktlich zurückforderte, und so ließ mich der Zufall meinen Hinweg nicht durch die zwar anziehendern Tiroler Berge, sondern über den oberen Bodensee und durch den Bregenzer Wald legen, durch das Thal der Bregenzer Ach aufwärts, das auf der Karte zuletzt so hübsch gerade auf das äußere Walserthal im Allgäu stößt, durch das man dann nach Oberstorf niedersteigt; den großen Riegel der Allgäuer Alpenkette zwischen beiden sieht und spürt man ja auf dem Papier nicht so. Und wie der Zufall in freundlichster Gewogenheit mir den Plan machte, so schmückte er mir die Ausführung mit den angenehmsten Erlebnissen und Bekanntschaften, unterwegs vom Zaun gepflückt. So gleich von Lindau aus am schönsten Morgen den See entlang nach Bregenz (ein freundlichster Gruß nach Lindau auf diesem Wege mitgeschickt ist vielleicht verstattet vor Post und Verleger, und wenn der durchkommt, dann auch gleich einer nach Lingnau, Feldkirch, zwei nach St. Gallen).

Der erste Vorschmack von unsers Dichters Heimath kam mir in Schwarzach, durch einen Leitartikel der Feldkircher Zeitung, der das Glockenläuten bei Gewittern bekämpfte. Da war denn gleich zu empfinden, was geistig das Land bewegt, ein Kampf der neuen Zeit mit der alten, der mich im Gefühl um zwei oder mehr Jahrhunderte zurückversetzte. Ein mit Post anlangender Arzt aus dem Lande, der sich während dieser meiner Gedanken an mich anschloß, nahm, als er in mir den Norddeutschen merkte, so bald als möglich Gelegenheit zu der Erklärung, daß man sie, die Vorarlberger, und besonders die Bregenzerwälder, ja nicht mit den Tirolern verwechseln müsse. Man will eben von Tirol aus das Land geistig und geistlich umschaffen, tirolisch machen, was die maßgebenden Mächte dort unter Tirolisch verstehen – und die Natur wehrt sich tapfer dagegen, die Natur des Landes wie der Leute. Das Land neigt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_234.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2017)