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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Geruch, den wir an frischem, duftigem Heu wahrnehmen. In größter Menge findet sich das Kumarin in den Tonkabohnen vor, und gewöhnlich wird dasselbe daher auch aus diesen Bohnen dargestellt. Man hat das Kumarin auch zur Bereitung der „Waldmeisteressenz“ benützt und kann durch Zugabe desselben dem Weine ganz dasselbe Bouquet ertheilen, welches man durch das Digeriren mit dem Kraute des Waldmeisters hervorbringt. – Die Waldmeisteressenz will aber keinen rechten Anklang und Absatz finden. Der Reiz des Maiweines liegt eben zum größten Theile darin, daß man „aus dem duft’gen Bad goldhellen Weins“ das zierliche Kraut des Waldmeisters mit seinen kleinen hellen maiengrünen Blättern und seinen kleinen weißen Blumen herausblicken sieht und bei jedem Becher, welchen man von dem grün und weiß durchwirkten duftigen Naß abschöpft, sich erinnert, daß der „wunderschöne Monat Mai“ mit allen seinen Reizen wieder einmal in’s Land gezogen ist.




Deutsch-amerikanische Lebensläufe.
Von Adolf Douai.
1. Der Convertit.


Es ist nicht lange her, da saßen in New-York ein halbes Dutzend Deutsche um eine Flasche 1865er zusammen. Aus allen Enden und Ecken des weiten Unionsgebietes waren sie zufällig hier zusammengetroffen, denn New-York ist vor allen Städten der Welt diejenige, wo sich am Ende wieder Alles zusammenfindet, was getrennt und über die weite Welt verstreut war. Wie beim Kartenspiele am Ende eines Spieles die Trümpfe immer beisammen liegen, die dann der Kartengeber sorglich auseinandermischt, so führen Geschäfts- oder Erholungsreisen die Männer, welche das Schicksal zur Aussaat der Ideen weithin verstiebt, hier im Babel der Neuen Welt immer wieder zuhauf. Da erzählt man sich denn das inzwischen Erlebte, man tauscht Erfahrungen, gute und schlechte Witze und eine reiche Gabe neuen Lebensmuthes aus und ein. Nachdem die erste lebhafte Freude des Wiedersehens einem allgemeinen ruhigeren Gespräche Raum gegeben hatte, kam die Rede auf die unbeschreiblich bunten Erlebnisse, welche das Land bietet, und es wurde der Vorschlag gemacht und mit Beifall aufgenommen, daß ein jeder der Anwesenden seinen Lebenslauf in Amerika mittheilen solle. Der ehrwürdige altersgraue Professor K… gab diesem Vorschlage noch eine ganz besondere Würze, indem er hinzufügte:

„Und ich schlage noch weiter vor, daß am Schlusse Einer von uns beauftragt werde, sämmtliche Lebensläufe in einen Rahmen zusammenzufassen und der Keil’schen ‚Gartenlaube‘ zur Veröffentlichung mitzutheilen, die wir ja Alle halten und lesen. Das wird unsern Landsleuten in Deutschland ein besseres Bild des amerikanischen Lebens und eine mindestens ebenso gute Unterhaltung gewähren, wie manche erfundene und unmögliche Geschichte.“


Der erste Erzähler war ein Kaufmann, dessen Name einen Ruf in zwei Welttheilen hat. „Ihr wißt, meine Herren,“ begann er ohne Umschweife, „daß ich selbst hier zu Lande keine merkwürdigen Schicksale erlebt habe; ich fand bei meiner Einwanderung leicht ein Unterkommen, da ich als Studirter und zugleich als gelernter Kaufmann einigermaßen den hiesigen deutschen Firmen bekannt war. Dagegen hat mir meine lange und ausgebreitete kaufmännische Thätigkeit die Bekanntschaft mit vielen merkwürdigen Menschen und Schicksalen verschafft. Deshalb erzähle ich auch den amerikanischen Lebenslauf eines Convertiten der seltsamsten Art.

In einer der größeren Städte Neuenglands habe ich einen alten Geschäftsfreund, der ist – um einen Ausdruck meines seligen Vaters anzuwenden – ein Schneider, mit Respect zu melden. Ich wende diesen Ausdruck in gutem Sinne an – mein Freund Hartmann ist so recht ein Muster von Respectabilität im Geiste des Angelsachsenthums. Eingewandert noch in den dreißiger Jahren, als es noch wenig Deutsche in Neuengland gab, und entschlossen, es in der Welt zu etwas zu bringen, amerikanisirte er sich rasch – mehr, er wurde ein Yankee. Ein Yankee, nicht nur wie ein solcher sich räuspert und spuckt, mit Vatermördern und steifer Halsbinde, mit Angströhre und sauber geschorenem Barte, mit Handschuhen (die er sich selber zu waschen verstand) und modischem Frack, sondern zugleich ein Yankee von ganzem Herzen und bis auf die Niere, und so gewandt im Gebrauche des Englischen, daß er ebendeßwegen auch sein Deutsch nicht verlernt hat (denn, beiläufig gesagt, ich habe immer gefunden, daß jene Deutschen, welche sich stellen, als hätten sie das Deutsche vergessen, auch ein klägliches Englisch reden). Es ist wahr, er spricht seine Muttersprache mit holder Verschämtheit und nur, wenn er nicht anders kann; allein er hält und liest deutsche Zeitungen und Bücher so gern wie englische. Auch die deutsche Tugend des Worthaltens und der Ehrenhaftigkeit bis in’s Kleinste hinein hat er nicht abgeschliffen wie Tausende, welche darin die wahre Amerikanisirung suchen; aber er geht in die Kirche, und zwar in eine baptistische, und hat es schon bis zum Deacon (Diaconus) gebracht. Er war schon zweimal Alderman, einmal Armenhausaufseher und dreimal Mitglied politischer Stadt-Conventionen, wie er denn überhaupt an der Politik lebhaften Antheil nimmt. Kein Wunder, daß er früher immer ein Whig war, denn die Whigs waren damals die respectablere Partei. Als die Knownothings aufkamen, wollten seine wachsamen Landsleute wissen, daß er dem Orden beigetreten sei; kaum aber entstand die republikanische Partei, so war er voll Eifer mit an der Spitze derselben. Von seinen Landsleuten, welche meist demokratisch waren, dachte und sprach er gering und zog sich von ihnen zurück, und wenn man bedenkt, aus welchen Elementen damals, und zum Theil noch jetzt, die Masse der Deutschen in Connecticut bestand, so konnte man ihm dies kaum verdenken. Er ging nicht zu Biere, außer ein paarmal bei Wahlen, um unter seinen Landsleuten Parteigenossen zu machen; ja, er soll einmal Temperanzler gewesen sein und ein Gelübde gethan haben, nur Wasser zu trinken. Doch bezog er von mir gesundheitshalber jährlich seine drei bis vier Oxhoft Wein, die ihm sein Arzt – ein Yankee natürlich und ein stiller Verehrer guter Weine – für seinen schwachen Magen empfohlen hatte. Er betheiligte sich an jeder Geldunterzeichnung für religiöse, für wohlthätige, Partei- oder Bildungszwecke mit Freigebigkeit – denn er war wohlhabend genug dazu – und spielte deshalb eine Rolle als stehender Vicepräsident bei allen Versammlungen für solche Zwecke. Es versteht sich von selbst, daß er eine Yankeein geheirathet hatte, weil es zu seiner Zeit kaum irgend eine respectable deutsche Jungfrau dort gab, und daß seine Tochter, sein einziges Kind, das Deutsche ein wenig verstand, aber nie es sprach. Seine Frau läßt sich am besten charakterisiren, wenn ich ihn sagen lasse, was er mir einmal bei einem Glase Hochheimer mittheilte, denn er konnte nicht viel vertragen und fing schon beim dritten Glase an, alle seine Geheimnisse auszuplaudern.

„Meine Frau,“ sagte er, „war ein armes Mädchen, eine Farmerstochter aus Maine, die eine dürftige Schulbildung hatte und eine Reihe von Jahren in meinem Geschäft, erst als Näherin, dann als Zuschneiderin, dann als Buchhalterin und Verkäuferin beschäftigt gewesen war. Nachdem ich mich von ihren Vorzügen genügend überzeugt hatte, und da ich von ihrer Schönheit seit lange eingenommen war, machte ich ihr eines Abends, als wir nach Abschluß der Bücher allein im Geschäft waren, meinen Heirathsantrag – ich hatte vorher meines Wissens ihr nie meine Zuneigung oder gar meine Absichten verrathen.

‚Miß Beale,‘ sagte ich im gleichgültigsten Tone von der Welt, ‚haben Sie Lust, Missis Hartmann zu werden?‘

Ich erwartete natürlich, sie werde ganz überrascht, mädchenhaft verschämt, hold erröthend und freudig betroffen erscheinen und um eine Antwort verlegen sein, wie ein deutsches Mädchen in einem ähnlichen Falle; denn mit amerikanischen Ladies hatte ich bis dahin doch nur in sehr oberflächlichen Beziehungen gestanden. Statt dessen erwiderte sie ohne Verzug und ganz kühl:

‚Ich bin nicht abgeneigt, Mr. Hartmann. Ich hab mir zwar als meinen Zukünftigen einen etwas anderen Mann eingebildet, aber ich möchte es mit Ihnen versuchen.‘

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_247.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)