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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Mir blieb der Verstand still stehen. Ein so armes Mädchen – und eine solche Sprache! Endlich sagte ich mit einer etwas bestimmten Betonung: ‚Wenn ich mich überhaupt zum Heirathen entschließe – denn das ist bei mir noch nicht ganz ausgemacht – so entschließe ich mich kurz und führe es ohne Zeitverlust aus.‘

‚Ganz recht,‘ sagte sie ebenso kühl und drehte sich zum Weggehen, ‚wenn Sie Ihren Entschluß gefaßt haben, so werde ich’s wohl erfahren.‘

Mir wollte schon die Lust zum Heirathen vergehen, aber indem meine Blicke ihr folgten, als sie, noch ein Geschäftchen suchend, langsam nach der Thür vorrückte, reizten mich ihre schlanke Gestalt, ihre allerliebsten Geberden bei aller würdevollen Haltung und ihr hübsches Gesicht dermaßen, daß ich ihr nachging und ihre Hand ergriff. ‚Miß Beale,‘ sagte ich zögernd, ‚ich habe Sie lieb, Sie gefallen mir wie kein anderes Frauenzimmer. Wenn ich wüßte, daß Sie meine Neigung erwidern könnten –‘

‚Das thu’ ich,‘ sagte sie ziemlich abgebrochen und ruhig.

‚Aber vielleicht erst in diesem Augenblicke –? Haben Sie mich früher schon gern gehabt?‘

‚Etwas,‘ sagte sie ohne Zaudern.

Ich legte meinen Arm sanft um ihre schlanke Gestalt und sagte wärmer: ‚Und denken Sie, daß Sie mich immer lieben werden?‘

‚Ich hoffe es.‘

‚Wie wäre es dann, wenn wir morgen zum Friedensrichter gingen und uns zusammengeben ließen?‘

‚Ich habe nichts dagegen.‘ Sie wurde bei jeder Antwort wärmer und freundlicher. Ich zog sie auf’s Sopha nieder und versuchte, einen Kuß anzubringen, der aber auf den Hals zu sitzen kam.

‚Und würden Sie als meine Gattin fortfahren, dem Geschäft als Buchhalter und mein Stellvertreter vorzustehen, oder würden Sie lieber, wie eine deutsche Ehefrau, sich um die Wirthschaft bis in’s Kleinste bekümmern?‘

‚Beides, so lange sich Beides vereinigen läßt; wenn nicht, so möchte ich lieber die Wirthschaft führen. Doch denke ich, wir gehen lieber in ein Kosthaus, bis wir Kinder bekommen.‘

‚Ich hätte lieber eine eigene Wirthschaft und ginge nicht in’s Kosthaus.‘

‚Nun, wir wollen sehen,‘ sagte sie nach einiger Ueberlegung. ‚Ich habe immer gehört, daß die Deutschen sehr gute Ehemänner sind. Werden Sie mir auch immer treu sein?‘

‚Gewiß, meine Theure,‘ sagte ich und wurde in meiner wachsend glücklichen Stimmung mehr und mehr zum Scherz geneigt. ‚Was verstehen Sie denn aber unter treu?‘

‚Je nun, daß ich Sie niemals gegen eine Andere zärtlich finde.‘

‚Weiter nichts? Ich will mich also in Acht nehmen, daß Sie mich niemals dabei überraschen.‘

‚Sie sind ein Schalk, Mr. Hartmann. Sie müssen auch treu sein, wenn ich Sie nicht sehe. Ich will einen Mann, der mir ganz allein gehört, oder gar keinen.‘

‚Dann darf ich wohl eine Andere gar nicht einmal ansehen? Sie sind unbillig, Miß Beale. Ich darf als Ehemann nichts dawider haben, wenn andere Männer meine Frau ansehen, ja, es ist sogar für das Geschäft gut, wenn man eine schöne Frau hat, weil dann viele Männer kommen und kaufen, blos um die schöne Frau zu sehen. Wie soll ich mich da schadlos halten, wenn ich nicht meinerseits andere hübsche Frauen ansehen darf?‘

‚So? Sie wollen also mit meiner Schönheit Handel treiben, mich wie ein hübsches Ladenmädchen zum Kundenanziehen verwenden?‘

‚Warum nicht, wenn Sie nichts dawider haben? Mehr, ich will, daß die Welt mich um meine schöne Frau beneiden, daß sie also sich sehen lassen soll. Und ich will alle Frauen ansehen, um mich zu überzeugen, daß ich wirklich die schönste habe.‘

‚Sie sind ein gefährlicher Mensch, Mr. Hartmann, denn Sie sind ein Schmeichler. Ich weiß recht wohl, daß ich schön bin und es Ihnen schon lange angethan habe, und daß Sie auf mich eitel sein werden. Aber ich bin nicht die schönste von allen Frauen und ich will von Ihnen nicht geschmeichelt sein. Und wenn Sie blos in meine Reize verliebt sind, so glaube ich nicht, daß Ihre Neigung von Dauer sein wird. Ich muß Ihnen sagen, Mr. Hartmann, daß ich nicht einmal die geringste Gleichgültigkeit gegen mich verzeihen und, wenn dergleichen bei Ihnen einträte, mich schadlos halten würde. Nicht das geringste Gewissen würde ich mir daraus machen, mir einen oder ein paar Hausfreunde, anzuschaffen, wenn ich von Ihnen vernachlässigt würde, sei es nun um der Flasche, oder um irgend eines Zeitvertreibs, oder um anderer Frauen willen.‘

‚Seien Sie unbesorgt, Miß Beale, so lange Sie liebenswürdig sein werden, so lange haben Sie von einer Flatterhaftigkeit meinerseits, zumal bei meinen neununddreißig Jahren, nichts zu befürchten. Wonach ich mich sehne, das ist eine solide, glückliche, zärtliche Ehe. Ja, ich liebe Sie!‘

Der Bund unserer Herzen war besiegelt. Sie hat aber in den zehn Jahren unserer Ehe ihre Drohung nicht vergessen. Wenn ich mich nur im Geringsten gleichgültig gegen sie zeige, kokettirt sie zum Scheine mit einem Anderen, wie ein lediges Mädchen, und macht mich rasend eifersüchtig. Das ist ihr Zaubermittel, um mich in unveränderter Liebesgluth zu erhalten.“

Soweit des Ehemanns Erzählung. In dem Hause Hartmann’s nun traf ich vor einiger Zeit einen Fremden, der mir als Hr. Schaumburger vorgestellt wurde und von jüdischer Abkunft war. Es war ein schöner Mann mit feinem, geistreichem Gesicht, einer wohlklingenden Stimme und einer hinreißenden Unterhaltungsgabe, kurz, ein Mann so liebenswürdig, wie mir je einer vorgekommen ist. Auf weitere Fragen erfuhr ich, daß er sich in der Stadt aufhalte, um zum Christenthum bekehrt zu werden, und zwar von einem baptistischen Geistlichen, bei welchem er auch wohnte. Die Gesellschaft zur Bekehrung der Juden, von welcher ein starker Zweigverein sich in der Stadt befand und zu welcher auch Hartmann zählte, hatte ihr Auge auf dieses ausgezeichnete Exemplar des Genus homo geworfen, um ihn zu bekehren und womöglich zum Missionär auszubilden und als solchen vielleicht unter den vielen ungläubigen Deutschen zu verwenden. Das heilige Werk der Vorbereitung dazu war beinahe vollendet und der nächste Sonntag zur feierlichen Aufnahme des Bekehrten in den Schooß der Kirche anberaumt.

Hr. Schaumburger war ein höchst gebildeter Mann. Die Unterhaltung mit ihm machte mir großes Vergnügen; denn man mochte zu reden kommen, auf was man wollte, er wußte darin Bescheid, und seine Rede floß wie Honigseim. Dabei war er keineswegs zudringlich oder geschwätzig, sondern ein wahres Muster von Bescheidenheit und Zurückhaltung. Da jedoch jeder Convertit in mir Verdacht der Unehrlichkeit erregt – weil, wer einmal zum gründlichen Zweifel an seiner angeerbten Religion herangereift ist, überhaupt zum Unglauben an jede Religion reif sein muß – so beschloß ich sofort, diesen Schaumburger näher zu erforschen. Mit Hartmann, der in ihn gänzlich vernarrt war, konnte ich zu diesem Zwecke nichts vornehmen; aber ich wandte mich, schon um ihn vor möglichem Schaden zu bewahren, an einen Freund, der in den Vereinigten Staaten sehr ausgebreitete Bekanntschaften hatte, an Dr. Bock. Dieser entsann sich, obschon er einen Mann Namens Schaumburger nicht kannte, sofort auf eine Person Namens Oppenheimer, die er in Cincinnati näher gekannt habe, wo sie sich zur katholischen Kirche bekehren ließ. Die Personalbeschreibung traf zu.

Die Entlarvung dieses Abenteurers schien mir der Mühe werth, schon weil ich bemerkt zu haben glaubte, daß er ein Auge auf Frau Hartmann geworfen habe und ihrem Herzen nicht ganz gleichgültig sei. Da es eben in seinem Wohnorte für mich Geschäfte gab, nahm ich Platz auf einem der Neuengland-Bahnzüge und traf gegen Abend bei ihm ein. Ich suchte sofort Herrn Schaumburger in seiner Wohnung auf.

„Was verschafft mir so unerwartet die Ehre Ihres Besuchs?“ fragte er mich beim Eintritt.

„Ich komme um des Vergnügens Ihrer Gesellschaft willen,“ sagte ich, indem ich eine Flasche echter Liebfrauenmilch auf den Tisch setzte und mich daran ihm gegenüber.

„Das würde mir zu jeder andern Zeit angenehm sein,“ antwortete er verlegen, und doch mit einem lüsternen Blicke auf die Flasche, welcher ich jetzt aus der Tasche eine zweite zugesellte – „aber morgen wird meine kirchliche Einsegnung und mein erstmaliger Genuß des heiligen Abendmahls gefeiert, und Sie begreifen, daß ich deswegen heute Abend Vorbereitungen –“

„Unsinn, alter Knabe!“ sagte ich, indem ich einen Korkzieher hervorholte und in Thätigkeit setzte, worauf ich ein paar Gläser

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_248.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)