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mortale seines Rufes gleicht. Als Redner hat Herr von Sybel im preußischen Abgeordnetenhause mehrmals großes Triumphe gefeiert, die jedoch schwerlich seine letzte Niederlage aufwiegen. Seine damaligen Reden strotzten von geistreichen Impromptus und Gedankenblitzen, welche jedoch zuweilen an das Collegienheft und die Studirlampe erinnerten. Er spricht, als ob er wie Demosthenes Kieselsteine im Munde hätte, und kaut die Worte, indem er sie in einzelne Sylben zerreißt, so daß man seine Reden lieber liest als hört. Der breite Ton paßt zu der gedrungenen Figur, dem runden Gesicht und der etwas selbstbewußten Haltung.

Wie Sybel ist auch Professor Gneist vom Katheder in die Reihen der politischen Opposition getreten, nachdem er seinen Abschied als Hülfsarbeiter bei dem Obertribunal in Berlin genommen hatte, wo ihm trotz seines großen Talentes keine Beförderung zu Theil wurde. Wegen seiner freisinnigen Richtung wurde er im Jahre 1848 für die Nationalversammlung, im Jahre 1849 für die zweite Kammer als Candidat aufgestellt, unterlag aber seinem damaligen Mitbewerber Johann Jacoby. Erst 1858 wählte ihn die Stadt Stettin und 1862 der Mansfelder Kreis zu ihrem Deputirten. In dieser Eigenschaft nahm Gneist bald vermöge seiner hohen Bildung und seiner Beredsamkeit eine hervorragende Stellung in der Fortschrittspartei ein, wo er als der unermüdliche Bekämpfer der Cabinetspolitik gegen das Ministerium Bismarck auftrat. Den Glanzpunkt seiner politischen Thätigkeit bildete seine berühmte Rede am 6. October 1863 über das Budgetrecht des preußischen Abgeordnetenhauses, ein rhetorisches Meisterstück, ebenso ausgezeichnet durch den innern Gehalt, ihre unerbittliche Logik und schlagenden Gründe, wie durch die Fülle der Gedanken und die vollendete Form. Dagegen zeigte Gneist bei manchen andern Gelegenheiten ein bedenkliches Schwanken, eine gewisse Neigung zu doctrinären Theorien und juristischer Spitzfindigkeit, so daß er öfters die Erwartungen täuschte, welche Freunde wie Gegner von ihm hegten. Unwiderstehlich, hinreißend, wo das ihm innewohnende Rechtsbewußtsein ihn leitet, wo er auf dem festen Boden des Gesetzes steht, erscheint er haltlos, gewunden und sophistisch, wenn ihm dieser Compaß fehlt. Sein Charakter hält nicht immer gleichen Schritt mit seinem großen Talent, und schwerlich möchte er wie Cato immer auf Seite der Besiegten stehen. Dieser Mangel an zäher Ausdauer und unerschütterlicher Beharrlichkeit spricht sich für den aufmerksamen Beobachter in der ganzen nervösen Erscheinung, in den spitzen Zügen, den unter der goldenen Brille rastlos umherschweifenden Augen und dem reizbaren Temperament aus, während das zur Bedeckung der Hauptblößen sorgfältig nach vorn gestrichene Haar eine leicht verzeihliche Eitelkeit verräth. Minder talentvoll und bedeutend, aber dafür zuverlässiger und fester sind die Herren von Bockum-Dolffs und der frühere sächsische Minister von Carlowitz, eine stattliche Figur, aber Beide mit einer so schwachen Stimme, daß diese meist wirkungslos verhallt. Da ist ferner der würdige Präsident Lette, der Begründer und Vater zahlreicher Vereine und gemeinnütziger Gesellschaften, und neben ihm der kleine, gewandte Assessor, Doctor Lasker, unermüdlich als Antragsteller, klar, scharfsinnig, aber noch allzu beweglich und lebendig. Er ist darum nicht frei von oft unbegreiflichen Inconsequenzen und Widersprüchen.

Aus den gelichteten Reihen der Fortschrittspartei ragt vor Allen eine hohe Greisengestalt hervor, mit weißen, abstehenden Haaren und schmalem Rundbart, energischen Zügen, trotz des Alters jugendlich frisch in allen ihren Bewegungen. Eine schwarze Binde bedeckt das eine kranke Auge, während das andere klar und feurig blitzt. Das ist der alte Waldeck, der unerschütterliche Freiheitskämpfer, fest und kernig, sturmerprobt wie die tausendjährigen Eichen seiner westphälischen Heimath. Sein Leben ist bekannt und die Verfolgungen, die er seiner Ueberzeugung willen erlitten, bilden das traurigste Blatt in der Geschichte der preußischen Justiz. Selbst der Staatsanwalt bezeichnete die gegen Waldeck erhobenen Beschuldigungen als ein frivoles Bubenstück. Der Sohn der rothen Erde ist der geborene Volkstribun; ungebeugt trotzt er jedem Sturm, steht er noch immer in den vordersten Reihen der Demokratie, ob auch links und rechts die Andern schwanken und sich der Gewalt der Thatsachen fügen. Als „getreuer Eckart“, wie er sich selbst nennt, sitzt er vor dem Venusberg und warnt die Schwachen vor der Verführung, mahnt er das Volk, sich nicht von noch so glänzenden Versprechungen und Erfolgen blenden zu lassen. Er liebt sein Vaterland, aber noch mehr die Freiheit, für die das größte Opfer nicht scheut. Niemals ist er auch ein Haar breit von seinen Grundsätzen abgewichen, seiner Ueberzeugung auch nur im Gedanken untreu geworden. Seine Reden sind von dem Feuer der Begeisterung durchglüht, obgleich er kein Redner in der hergebrachten Weise genannt werden kann. Seine Stimme klingt gewöhnlich dumpf und grollend, seine Perioden sind nichts weniger als schulgerecht, seine Ausdrücke weder gewählt noch elegant. Dennoch ist die Wirkung überraschend und meist hinreißend, wenn er die Tribüne betritt und die Worte wie Donnerkeile schleudert, während sein Gesicht glüht, seine Augen blitzen. Von ihm gilt der bekannte Satz, daß die Leidenschaft beredt macht, im vollsten Maße. Meist stockend und abgebrochen beginnt seine Rede, als holte er sie aus der Tiefe seiner Brust mühsam herauf, erst nach und nach überwindet er den Widerstand, schmilzt das spröde Erz unter der gewaltigen Gluth, schmiedet er die Waffen, mit denen er für die Freiheit kämpft und ihre Gegner vernichtet. Wehe dem, der ihm in den Weg tritt, ihn zu unterbrechen wagt! Selbst die kühnsten Lacher auf der rechten Seite verstummen sogleich, wenn Waldeck mit drohend aufgehobener Hand und erhobener Stimme bei solchen Gelegenheiten ihnen zuruft: „Ich verbitte mir Ihr Lachen!“ Sein Blick, seine Geberden haben in diesen Augenblicken etwas Niederschmetterndes, Ueberwältigendes und eine tiefe Stille folgt einer derartig aufregenden Scene. Es ist die Macht der Persönlichkeit, die Gewalt eines festen Charakters, die sich unwillkürlich Achtung und Gehör verschafft. Was aber Waldeck spricht, findet stets einen Widerhall in den Herzen des Volkes und übt einen unbeschreiblichen Einfluß aus. Mag er auch als Redner sich zuweilen von seiner Leidenschaftlichkeit überwältigen lassen, als Parteiführer die Consequenz bis zum Eigensinn treiben, mögen Andere ihm auch an Talent und staatsmännischer Einsicht, obgleich ihm diese keineswegs mangelt, überlegen sein, so bleibt Waldeck wie im Abgeordnetenhause auch im Reichstage die Stütze und Säule der preußischen Demokratie, der unbesiegte Held der Freiheit.

Dieselbe Popularität wie Waldeck genießt Schulze-Delitzsch, der Vater und Begründer des deutschen Genossenschaftswesens, wodurch er sich allein schon ein unvergängliches Verdienst erworben hat. Minder schroff als der alte Volkstribun, verleugnet er eben so wenig wie dieser seine Grundsätze, bleibt er sich selbst unter allen Verhältnissen treu. Seine gedrungene untersetzte Gestalt, die breite Brust, das mächtige Organ verkündigen den eigentlichen Volksredner, der die Massen durch die Gewalt des Wortes zu ihrem eigenen Besten zu lenken weiß. Aber auch im Reichstag wie im preußischen Abgeordnetenhause übt seine vom Herzen kommende und zum Herzen dringende Sprache einen bedeutenden Einfluß, obgleich er hier seltener und nur in den wichtigsten Fragen das Wort ergreift. Mit großer Klarheit der Ansichten verbindet Schulze eine wohlthuende Wärme des Gefühls, die sich öfters zu hinreißender Begeisterung steigert. Auch der Witz oder vielmehr ein schalkhafter Humor steht ihm zu Gebote, ohne daß er je verletzend wird wie Vincke. Seine persönliche Liebenswürdigkeit, seine ehrenhafte Gesinnung und heitere Laune versöhnen selbst seine politischen Gegner und erwerben ihm zahlreiche Freunde. Durch diese Eigenschaften und sein bekanntes Organisationstalent wird er zum Vermittler der oft sich entgegenstehenden Ansichten innerhalb seiner Partei, bildet er den festen Kitt, das Bindemittel zwischen den leider oft auseinander fallenden Elementen. Seine Thätigkeit ist bewunderungswürdig, seine Arbeitskraft unerschöpflich, seine ganze sociale und politische Wirksamkeit in und außerhalb des Hauses unersetzlich.

In seiner Nähe sitzt ein schlanker Herr, mit röthlichem, schon etwas ergrautem Demokratenbart, nicht ohne rhetorisches Talent und besonders mit einem klangvollen Organ begabt, von dem er auch fleißig Gebrauch macht. Das ist der Verlagsbuchhändler und Herausgeber der „Volkszeitung“ Franz Duncker, Bruder des bereits genannten Professors und wie dieser Mitglied einer interessanten Familie, in der sich alle politischen Schattirungen und Ansichten, von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, und alle möglichen Farbennüancen, Schwarz-Weiß, Schwarz-Roth-Gold u. s. w. vorfinden. Dort sammelt sich eine belebte Gruppe, um den erst später eingetretenen Präsidenten des preußischen Abgeordnetenhauses Max von Forckenbeck zu begrüßen, dessen parlamentarischer Tact ihm von allen Seiten die reich verdiente Anerkennung erworben hat. Sein offenes männliches Gesicht verräth eine große Intelligenz, verbunden mit vieler

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_254.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)