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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

erwachte, ließ sich noch weniger thun: die vorsichtigsten Bitten und Fragen reizten den Herrn zu der bedenklichsten Heftigkeit, und wie er einmal geartet war, blieb jedermann im Zweifel darüber, ob er von dem Anfall gar nichts wisse, oder ob er nur über denselben nicht gesprochen haben, an ihn nicht erinnert sein wolle.

Ein Zeichen gab es indessen dennoch, aus dem man vielleicht schließen durfte, daß die unglückliche oder thörichte Phantasie auch zu sogenannten freien Stunden den Geist des Ministers beschäftige: in dem kleinen Gemach neben seinem Cabinet, das selbst für seine Nächsten nur ausnahms- oder gar heimlicherweise zugänglich ward, hingen seit der Rückkehr von Dernot die beiden Bilder, deren wir Leopold gegen Esperance erwähnen hörten – das der armen Euphemia von der Not und das des Großonkels August. Wo sie bisher gewesen und wie sie an ihren jetzigen Platz gekommen, erfuhr man nicht. Ernst, der Kammerdiener, und einigemale auch Esperance und Kunigunde sahen den Baron zuweilen vor ihnen stehen und mit finsterem, forschendem Blick sie gleichsam Zug für Zug studiren. Er wandte sich, wenn er sich gestört sah, hastig und sichtbar zürnend ab.

Herr von Brose sollte in den Tagen, welche er nach der Dernoter Reise in der Residenz verweilte, noch einmal Gelegenheit zu einem neuen, einem anderen Mitglied der befreundeten Familie zu leistenden Dienst erhalten und mußte denselben leisten, wie unerwartet er ihm auch kam und wie schwer er ihm wurde.

Am Morgen, der zu seiner Abreise bestimmt war, erschien Esperance in seinem Zimmer; das Mädchen war, wie er schon aus dem Ausdruck ihres Gesichts und ihrer ganzen Erscheinung schließen konnte, in sehr ernster und – sagen wir: entschlossener Stimmung, und ihre ersten Worte schon zeigten die völlige Richtigkeit solches Schlusses. Ohne weitere Einleitung sagte sie dem Herrn, daß sie ihn um Aufklärung über einige Punkte bitten müsse, die seither hier und in Dernot zur Sprache gekommen und ihr unverständlich geblieben seien. Bei ihm, der seit so vielen Jahren mit ihrem Vater auf das Engste befreundet und vor allen auch sein Gefährte auf jenem früheren Dernoter Aufenthalt gewesen sei, dürfte sie am ersten die genügende Kenntniß und hoffentlich auch die Liebe zu ihr voraussetzen, welche ihm die gewünschten Mittheilungen erleichtern, ja zur Pflicht machen müsse. Von jetzt an, fügte das Mädchen ernst hinzu, scheine ihr Recht auf Dernot unbestritten, und wie Zustände und Verhältnisse einmal seien, könne sie möglicherweise bald dazu berufen werden, den Namen ihrer Familie und diese selbst fortan zu vertreten.

„Aber mein liebes Kind,“ sagte Brose wirklich bestürzt, „Ihr Vater –“

„Lassen wir das alles gehen, Kammerherr,“ unterbrach sie ihn beinah finster. „Machen wir keine Winkelzüge, wo wir uns doch ohne Worte verstehen. Wie es um den Papa steht und wie viel trauriger es noch in der nächsten Stunde schon stehen mag – ist mir zum mindesten sicher ebenso klar wie Ihnen, und es nützt nichts, sich eine schlimme Möglichkeit oder vielmehr Wahrscheinlichkeit zu verbergen. Was die Treuenstein’sche Erbschaft betrifft, geht mich keinenfalls etwas an; anders aber ist es mit Dernot: seine Testamentsbestimmung lautet unableugbar, daß Dernot mein ist und daß ich vom vollendeten achtzehnten Jahr an den Besitz desselben antreten und ohne fremde Einmischung oder Beaufsichtigung für mich behaupten darf. Sie sehen, er hat sich und mich für ungewisse Fälle sichern wollen und überdies, trotz meiner anscheinenden Windigkeit, Vertrauen zu meinem Charakter gehabt. Daß ich dies jetzt, wo ich selbst an mein Recht auf Dernot glauben kann, nicht täuschen werde, trauen Sie mir zu; es wird an mir nicht fehlen, wenn jemand versuchen sollte, sein Unrecht meinem Recht entgegen zu setzen.“

Herr von Brose saß vor dieser Auseinandersetzung völlig verstummt und mußte sich gewissermaßen ernstlich zusammen nehmen, um zu glauben, daß die ernste Sprecherin da vor ihm, diejenige, welche mit solcher Fassung von möglichen Verlusten und Leiden, vor allem aber mit solchem ungewöhnlichen Interesse von Gut und Besitz und Erhaltung desselben redete, ein junges, schönes, reiches und vornehmes Mädchen, daß es Esperance sei, in deren heiterem und übermüthigem Kopfe, in deren sorglosem Herzen selbst die Ihren auch jetzt so viel Ueberlegung, Berechnung nicht geahnt hatten. Seine Miene, sein Blick, sein Kopfschütteln mochten ihr seine Gedanken wohl andeuten, und bevor er noch zur Antwort kam, sagte sie plötzlich: „Mißverstehen und verkennen Sie mich nicht, Papa. Wenn ich mich in dieser Weise auf Dernot und seinen Besitz capricire, geschieht es nicht aus Eitelkeit oder Habgier, sondern weil es, wenn der Vater stürbe, vermuthlich das Einzige bleibt, was wir für uns und denjenigen behalten, den ich trotz des abscheulichen Worts, mit dem ihn der Vater nannte, und trotz des alten Müllers Andeutungen, dennoch für meinen Bruder halten und lieben will. Und da bin ich bei meiner ersten Frage,“ fügte sie im gleichen, entschlossenen Tone und mit festem Blick hinzu; „was für ein Recht hat der Vater, durch dieses Wort sich selbst, seine Gemahlin und seinen Sohn zu entehren? Reden Sie, Kammerherr – keine lange Auseinandersetzung, nur eine kurze Erklärung.“

„Aber mein liebes Kind,“ sprach der alte Herr sehr verlegen, „wenn ich davon auch wüßte – Sie können doch nicht wollen, daß ich Ihnen, dem –“

„Unsinn, Brose,“ unterbrach sie ihn ungeduldig. „Sehen Sie mich an – sehe ich Ihnen wie ein kindisches oder – schlechtes Geschöpf aus? Nochmals: keine langen Auseinandersetzungen, sondern ein kurzes, aber bestimmtes Wort. Hat er ein Recht?“

Herr von Brose rückte verlegen hin und her. Er schlang seine Finger durcheinander und sah sein schönes Gegenüber bald mit einer Art von Verzweiflung an, bald schaute er mit schwermüthigem Ausdruck vor sich nieder. Eines mußte er zugestehen: die da vor ihm war wirklich nicht mehr das junge Mädchen, dem solche Erörterungen fremd bleiben mußten, sondern es war ein stolzes, in sich klares und entschiedenes Weib, voll Willenskraft und Lebenssicherheit – wie konnte man da an die Jahre denken und an gesellschaftliche Regeln und Grundsätze, denen die da sich nicht mehr beugte, sondern die sie selber dictirte!

(Fortsetzung folgt.)




Klosterzelle und Familienstube.


Noch immer ist, zum Trotz aller fortschreitenden Bildung, in dem Theile Deutschlands, in welchem Rom über die Priester herrscht, das verleumderische Treiben nicht beseitigt, welches den Reformator Luther als einen Auswurf der Menschheit darzustellen wagt. Aus Achtung vor der Wahrheitsliebe unserer deutschgesinnten katholischen Landsleute widmen wir hauptsächlich ihnen den folgenden Artikel. Denn wenn wir heute unseren katholischen Brüdern deutschen Stammes und Herzens zurufen: sehet hier den Martin Luther, der das Augustinerkloster zu Wittenberg zum ersten deutsch-protestantischen Pfarrhause umgewandelt, betrachtet das erste Bild einer deutschen Pfarrerfamilie, nach welcher Tausende in Deutschland als stille Pflanzstätten züchtigen und frommen Familienlebens, edler Bildung und reiner Lebensfreude gegründet worden sind! so geschieht dies um unserer deutschen Ehre willen, die jedem katholischen Patrioten so heilig ist, wie allen Andersglaubenden unserer Nation. Ein großer Mann ist eine Zierde seines Volks; auf seiner menschlichen Erscheinung darf kein Makel haften. Mögen unsere Landsleute von anderem Glauben der geistlichen Kampfbahn des Mannes ihre Theilnahme versagen und ihr fern bleiben: der unerschrockene Held, der für seine Ueberzeugung den Kampf mit der damals gefürchtetsten Macht der Welt unternahm, Kerker und Scheiterhaufen wagte und selbst vor Kaiser und Reich nicht erzitterte, – der Held verdient aller Deutschen Stolz zu sein. Aber jedem deutschen Herzen kann er nahe treten, von ihm begriffen und verehrt werden, wenn wir in dem todesmuthigen, bis zur Härte starren Reformator zugleich einen echt deutschen, gemüthvollen, edlen und guten Menschen erkennen. Der Streit auf dem Felde des Glaubens wird leider stets mit so viel Erbitterung geführt, daß der Wahrheit allein nicht immer die Ehre verbleibt; aus Haß wird auch des Gegners menschliches Bild verzerrt und für die falsche Gestalt das Vorurtheil gepflegt durch ganze Generationen. Es muß eine Zeit kommen, wie die unsere, wo man endlich in der immer heller aufstrahlenden Liebe zum gemeinsamen Vaterland zu unterscheiden beginnt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_260.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)