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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

was der heimische Boden Gutes, Schönes und Großes erzeugt und was die herrschsüchtige Fremde uns angethan hat. In solchen Zeiten wird auch der Ruf gehört: Gerechtigkeit in der Geschichte und durch die Geschichte für die vielen verkannten Männer unseres Volkes. Und diesen Ruf richten wir an unsere katholischen Brüder im Vaterlande, damit dem Manne Gerechtigkeit werde, der es verdient hat, daß nicht nur die eine Hälfte der Nation ihn als ihren Glaubensherold hoch halte, sondern auch die andere in ihm den wackeren, treuen deutschen Mann und den guten, edlen sittlich reinen Menschen ehre.

Als Martin Luther auf der sichern Wartburg sein Bibelwerk und damit den Grundbau der neuen Kirche vollendet, geschah sein letzter entscheidender Schritt, der ihn dahin führte, wo wir ihn in unserem nach Spangenberg’s schönem Oelgemälde gezeichneten Bilde vor uns sehen, der Schritt, der den Mönch zum Hausvater erhob und die Klosterzelle zur Familienstube weihte.

Daß die priesterlichen Cölibatsgesetze dem Wortlaute der Lehre Jesu und dem Geiste des Christenthums direct widersprächen, hatte er längst dargethan. Die Ehe war auch für die Geistlichen der neuen Kirche ein menschliches und bürgerliches Recht geworden. Dennoch zögerte Luther vor diesem letzten Schritt. Aufforderungen seiner Freunde, durch sein Beispiel der freien urchristlichen Auffassung der Ehe das unwiderrufliche Siegel aufzudrücken, hatte er zurückgewiesen; lieber wäre es ihm offenbar gewesen, wenn ein im Rang höher Gestellter, ein Kirchenfürst, ihm darin vorangegangen wäre, und dazu hatte er den Kurfürst und Erzbischof von Mainz ausersehen. Diesem schrieb er: „Ich kann nicht einsehen, wie ein Mann ohne Gottes Zorn und Ungnade allein und ohne Weib bleiben mag; und schrecklich ist’s, so er ohne Weib sollte gefunden werden im Tode … Denn was will er antworten, wenn Gott fragen wird: Ich habe dich zum Manne gemacht, der nicht allein sei; wo ist dein Weib?“ – Und später schrieb er ihm, wohl als jener sich des Antrags weigerte: „Wenn meine Ehe Euer Kurfürstlichen Gnaden eine Stärkung sein möchte, wollte ich gern bald bereit sein, Euer K. Gnaden zum Exempel vorher zu traben.“

So geschah es. Katharina von Bora ward Luther’s Gattin; dieser Schritt erwies sich als doppelt wichtig und segensreich, denn nun hatte die Reformation einen stillen, friedlichen Heerd gewonnen, eine Familie, wo die Kämpfer sich versammelten, wo sie ausruhten im häuslichen Kreise, wo Allen so wohl ward, wenn Frauensinn und Frauenhand den trüben Blick der Männer zu klären suchte. In Luther’s Haus kamen die Freunde, kam besonders Melanchthon oft und hörte still zu, wenn Luther mit seinen Kindern musicirte. Das nannte dieser seine „Cantorei im Hause“. Es ist bekannt, wie Luther die Musik liebte, wie er sie trieb in seinen Freistunden schon auf der Schule, auf der Universität, im Kloster, sein ganzes Leben hindurch. Er war ja nicht allein ein kräftiger Liederdichter, zu vielen seiner Lieder schuf er auch die Melodie. Mit welcher Tiefe, Kraft und Wahrheit er Wort und Melodie zu dichten wußte, beweist das Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“, dieser Schlachtgesang, dieses Triumphlied des Protestantismus, diese ewige Jubelhymne auf den Feldern des Fortschritts. „Wer die Musicam verachtet,“ schrieb er, „mit dem bin ich nicht zufrieden. Denn die Musica ist ein Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk. So vertreibt sie auch den Teufel und macht die Leute fröhlich. Ich gebe nach der Theologie der Musica den nächsten Locum und die höchste Ehre.“ Darum pflegte er die Musik in seiner Familie. Hatte er für das Volk gearbeitet den lieben Tag hindurch, hatte er gepredigt in der Kirche, gelehrt in dem Hörsaale, wo die studirende Jugend seine Worte ihm von der Lippe nahm, hatte er mit seinen Berufsgenossen, den Rüstzeugen und Mitkämpfern in jener Zeit, berathen, bedacht und beschlossen, wie es im Drange der Umstände nöthig, oder hatte er an seinem Schreibtische gesessen und gearbeitet an volksthümlichen Schriften, die er für viel wichtiger erkannte, als glänzende Disputationen vor Gelehrten: der Abend mußte doch nach solch’ mühevollem Tage in der Regel einige Stunden für die Familie abgeben. Da wurde gesprochen, gescherzt, gespielt, gesungen, den Gesang begleitete er gewöhnlich mit der Laute oder auch mit der Flöte. Ein frommer und dabei fröhlicher Geist wehte durch das Haus; Luther’s Ehe war eine der glücklichsten, welche die Erde gesehen.

Wollen wir einen tiefen Blick in Luther’s Vaterherz thun, so müssen wir den Brief lesen, welchen er von Coburg aus an sein erstes Söhnchen, das kleine Hänschen schrieb. Damals war der Reichstag in Augsburg, den aber Luther als noch „Geächteter“ nicht mit besuchen konnte. Um dennoch in der Nähe zu sein, blieb er auf der Veste Coburg, und hier schrieb er an sein damals vierjähriges Hänschen:

„Mein herzliebes Söhnlein! Ich sehe gern, daß Du wohl und fleißig lernest und betest. Thu’ also, mein Söhnlein, und fahre fort. Wenn ich heimkomme, will ich Dir einen schönen Jahrmarkt mitbringen. Ich weiß einen hübschen lustigen Garten. Da gehen viele Kinder drinnen, die haben güldene Röcklein an, und lesen schöne Aepfel unter den Bäumen, und singen und springen und sind fröhlich, haben auch schöne kleine Rößlein mit güldenen Zäumen und silbernen Sätteln. Da fragte ich den Mann, dessen der Garten ist, weß Kinder die wären? Da sagt’ er: es sind die Kinder, die gern beten, lernen und fromm sind. Da sprach ich: lieber Mann, ich hab’ auch ein Söhnlein, heißt Hänschen Luther, möcht’ er nicht auch in den Garten kommen, daß er solch schöne Aepfel und Birnen essen möcht’ und solche feine Rößlein reiten und mit diesen Kindern spielen? – Da sprach der Mann: wenn er gern betet, lernt und fromm ist, so soll er auch in den Garten kommen, – Lippus und Jost auch, seine Spielgesellen, und wenn sie alle zusammen kommen, so werden sie auch haben Pfeifen, Pauken, Lauten, und allerlei Saitenspiel, werden auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten schießen. – Und der Mann zeigte mir eine feine Wiese im Garten, zum Tanzen zugerichtet, da hingen eitel güldene Pfeifen, Pauken und feine, silberne Armbrüste. Aber es war noch früh, daß die Kinder noch nicht gegessen hatten. Darum konnt’ ich des Tanzens nicht erwarten, und sprach zu dem Manne: ach, lieber Herr, ich will flugs hingehen, daß er ja fleißig bete und wohl lerne und fromm sei, auf daß er auch in diesen Garten komme. – Da sprach der Mann: es soll ja sein, geh’ hin, und schreib ihm also.

Darum, liebes Hänschen, lern’ und bete ja getrost; und sag’ es Lippus und Jost auch, daß sie auch lernen und beten, so werdet ihr miteinander in den Garten kommen.

Hiermit sei dem allmächtigen Gott befohlen, und grüße Muhme Lenen, und gieb ihr einen Kuß von meinetwegen.

Dein lieber Vater Martin Luther. Anno 1530.“

Nur aus einem reichen, tiefen, poetischen Gemüthe, nur von einem Vater, der glücklich ist in Weib und Kind, kann solch’ ein Brief kommen. In diesem Briefe spiegelt sich nicht nur das Vaterherz, auch das Haus, die Ehe, das Familienleben, das ganze volle Glück des gewaltigen und doch so kindlichen Mannes.

Außer diesem Hänschen schenkte ihm sein liebes Weib, seine „Frau Doctorin“ oder sein „Herr Käthe“, wie er sie in seinen Briefen in Scherz und Freude oft nannte, noch fünf andere Kinder: Elisabeth, die bald nach der Geburt wieder starb, dann Magdalene, Martin, Paulus und Margaretha.

Freud und Leid dieses schönen, fast einundzwanzigjährigen Ehestandes bis in’s Einzelne zu schildern, gäbe ein Buch; wir müssen uns auf wenige kleine Bilder daraus beschränken. Herrlich ist sein Hoffen und sein Gebet an seinem Hochzeitstage in Erfüllung gegangen. „Lieber himmlischer Vater (so betete er damals), dieweil du mich in deines Namens und Amtes Ehre gesetzt hast, und mich auch willst Vater genannt und geehrt haben, verleihe mir Gnad’ und segne mich, daß ich mein liebes Weib, Kind und Gesinde göttlich und christlich regiere und ernähre.“ – Und mitten in seinem Leben konnte er sagen: „Meine Käthe ist mir in Allem gehorsam und fügsam, mehr als ich zu hoffen gewagt hätte. So daß ich mich reicher schätze als den Crösum!“ –

Wie noch heutzutage in jeder glücklichen Familie war für Luther und die Seinen die schönste Freude des Sommers der Garten und des Winters der Christbaum. Im Freien, im Anschauen und Genusse der Natur ging ihm stets das Herz auf, und wie er so gern die Schöpfung mit seinem frommen sinnigen Dichterauge betrachtete und bewunderte, so übte er darin früh seine Lieben und wies die Freunde seines Hauses darauf hin. Denn im Garten war er am liebsten im Kreise seiner Familie und seiner Freunde, die gleichsam zur Familie gehörten. Da wurde gespielt mit den Kindern, die Aller Freude waren, da wurde ihnen die Natur lebendig gemacht durch Märchen und Geschichten, da wurde gesungen und musicirt, da gab Jedes seines Herzens Bestes, und selbst die Kunst schlich mit ihrem Bilderbuch herbei, wenn Lucas Cranach, der kunstreiche Mann, an den Freuden der Familie Theil nahm. Für Luther aber blieb die Schöpfung auch im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_262.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)