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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

als sie vom Katholicismus abweichen. Ich kann es begreifen, daß man an die Stelle des Glaubens, wenn man einmal nicht glauben kann, die philosophische Ueberzeugung, d. h. an die Stelle des Gemüths den calculirenden Verstand, an Stelle der poetisch-religiösen Empfindung die nüchterne Reflexion setzt, aber dazwischen ist ein Abgrund. Darum danke ich meinem Schöpfer, daß ich als Katholik geboren und erzogen bin.“

Was ich dem greisen Meister, der mit jugendlichem Eifer gesprochen hatte, auf diese Ansichten, die ich von meinem Standpunkte aus nur in bedingter Weise theilte, antwortete, gehört nicht hieher. Allein ich glaubte, diese Aeußerungen, welche ich noch an demselben Tage mir notirte und die ich daher fast ihrem Wortlaut nach verbürgen kann, anführen zu müssen, weil sie für die eigenthümliche Denkweise des Mannes charakteristisch sind. Er war ein Feind jeder Halbheit. Was er dachte, fühlte – dachte, fühlte er ganz, und darin lag seine Größe, die Klarheit, Einfachheit und Energie seiner Empfindung. In der Idee, die er erfaßte, ging er ganz und unbedingt auf; aber er ließ sie auch ganz und unbedingt in sich aufgehen; er wurde nicht von ihr beherrscht, sondern er beherrschte sie und entließ sie aus sich gestaltet und mit dem unverkennbaren Stempel seiner eigenen Größe bezeichnet.

Er hatte auf meine anfängliche Frage in Betreff der Figur mit dem Predigertalar auf seinem „Jüngsten Gericht“ nicht geantwortet. Da er sonst ziemlich unverhohlen über Alles sich aussprach, so hütete ich mich wohl, meine Frage zu erneuern, weil er offenbar darauf nicht antworten wollte. Hatte er eine Concession an den baierischen Confessionalismus gemacht, oder war diese ganze Auslegung eine irrige? Für mich blieb über diesen Punkt ein Zweifel. – –

Selten, aber dann mit einer gewissen ironischen Bitterkeit, sprach er über die modernen Kunstrichtungen. Ich versuchte zuweilen, die Genre- und Landschaftsmalerei als berechtigte Gebiete zu vertheidigen, er wollte jedoch davon nichts hören. „Diese Leute,“ meinte er, „brüsten sich mit der Naturwahrheit und der große Haufe jauchzt ihnen natürlich Beifall zu. Ich habe tiefe Ehrfurcht vor der Natur, sie ist von je meine Lehrmeisterin gewesen; aber was die heutige Kunst Naturwahrheit nennt, ist nur die flache und gedankenlose Natürlichkeit, der sinnliche Schein der rohen Materie. Sie bilden sich ein, Maler, Künstler zu sein, aber sie sind nur Copisten. Wenn ihnen das Modell fehlt, geht ihnen auch der Gedanke aus. Und der Gedanke allein ist es, durch welchen der wahre Künstler die Natur zum Kunstwerk erhebt.“

Ich nannte Kaulbach. Cornelius schwieg einen Augenblick, als wollte er eine plötzliche Erregung niederkämpfen, und sagte dann mit ruhiger, aber doch, wie mir schien, bewegter Stimme: „Kaulbach kommt mir wie der verlorene Sohn vor, nur mit dem Unterschiede, daß er nicht reuig zurückgekehrt ist, wie dieser. Auch er ist ein Anbeter des goldenen Kalbes geworden; ein großes, doch für die echte Kunst verlorenes Talent. Das Beste, was er gemacht, ist sein ‚Reineke Fuchs‘; das, was mir am meisten mißfällt, sind seine Malereien im Neuen Museum: es fehlt ihnen nicht nur die echte künstlerische Weihe, die Größe des Stils, sondern auch der äußere Zusammenhang. Er hat Dinge hineingeschoben, wie die ‚Hunnenschlacht‘ und die ‚Zerstörung Jerusalems‘, die gar nicht hineingehören, blos weil sie schon vorhanden waren. Das thut kein wahrer Künstler, der Respect vor der Kunst und vor sich selber hat. Ich habe ihn aufgegeben.“ Er fügte noch Mehreres, sein persönliches Verhältniß zu Kaulbach betreffend, hinzu, was ich verschweigen muß.

Nur einmal habe ich Cornelius ärgerlich und gereizt gesehen. Gewöhnliche Dinge, gelegentliche Unbequemlichkeiten etc. konnten ihm nichts anhaben, sie reizten nur seinen Humor. Allein das Geringste, was seine Kunst betraf, regte ihn auf, wenn er das Gefühl auch zu unterdrücken versuchte. Es war von dem Einfluß die Rede, den er auf das Ausland ausgeübt; er nannte die beiden Belgier Guffens und van Swerts und meinte: „Das sind ein paar tüchtige Kerle, welche ganz im ernsten deutschen Stil arbeiten und die deutsche Kunst in Belgien zu Ehren bringen. Allen Respect vor ihrem Streben! Von denen könnten unsre deutschen Maler lernen.“

„Halten Sie diese Richtung für malerisch?“ fragte ich.

„Malerisch?“ gegenfragte er heftig. „Halten Sie mich für einen Maler?“

Ich war erschreckt über seine Heftigkeit und bat ihn, mich nicht mißzuverstehen. Aber er drang auf eine bestimmte Antwort.

„Sie sind ja Kritiker,“ rief er, „so lassen Sie denn einmal Ihre kritische Weisheit leuchten. Ich weiß sehr wohl, daß es Leute giebt, die da meinen, ich könnte nicht malen. Freilich, was man heute unter Malerei versteht und was in meinen Augen nichts ist als gedankenleere Farbenkleckserei, dafür würde ich mich bedanken … Doch, sagen Sie Ihre Ansicht.“

„Ich sprach von der Richtung, nicht von der Technik,“ erwiderte ich, auf Alles gefaßt, „und diese Richtung ist durch ihre rein idealistische Natur über das Malerische hinaus auf eine höhere, abstractere Technik angewiesen.“

„Nun, und was ist denn dies,“ fragte er mit einer gewissen Ironie im Ton, „für eine Technik?“

„Es ist der Carton. Ich gestehe offen, es ist meine innigste Ueberzeugung: Ihre Richtung, so erhaben sie ist, ja gerade wegen ihrer Großartigkeit und Erhabenheit, ist doch wesentlich cartonmäßig, wenigstens kommt die ganze Gedankentiefe des Inhalts, den Sie so groß und wahrhaft monumental gestalten, nur im Carton zur höchsten künstlerischen Geltung.“

„Und so meinen Sie, daß meine Cartons nicht gemalt werden könnten?“

„Sie können gemalt werden, aber die Gemälde werden nicht die volle Erhabenheit, nicht die reine spiritualistische Wirkung besitzen, wie die Cartons.“

„Wissen Sie was, Sie verstehen nichts von Malerei. Guten Morgen.“

Er wandte mir den Rücken und ging langsam – wir befanden uns draußen auf dem Platz – nach seinem Hause zu. Ich stand und sah ihm mit beklemmtem Herzen nach. Ich hoffte immer noch, daß er sich umwenden würde, aber er that es nicht, und ich begab mich in tiefer Niedergeschlagenheit nach Hause; ich war überzeugt, daß ich ihn nicht wiedersehen würde.

Doch ich irrte mich. Schon am andern Tage erhielt ich eine Einladung zu einer Spazierfahrt. Es war seine Gewohnheit, Nachmittags mit seiner Frau zuweilen spazieren zu fahren. Hier lernte ich erst die Größe seines Herzens, die ganze Liebenswürdigkeit seines Charakters kennen. Es ging durch den Thiergarten, den Canal entlang nach Tivoli hinauf. Während der Fahrt wurde wenig und Unbedeutendes gesprochen. Oben angekommen, suchten wir einen stillen Platz unter den Bäumen; und bald standen drei schäumende Seidel Actienbier vor uns. Cornelius war sehr heiter. Von unserer gestrigen Differenz erwähnte er nichts; nur als ich unterwegs auf der Rückfahrt den Wagen verließ, gab er mir die Hand und sagte: „Kommen Sie morgen früh, wenn Sie können.“ Ich sagte zu, begierig, was er mir zu sagen habe.

„Hören Sie, lieber Doctor, ich habe über unser neuliches Gespräch nachgedacht, und wenn ich Ihnen auch nicht Recht geben kann – ich werde Ihnen Ihren Irrthum ein ander Mal beweisen – so habe ich doch Unrecht gehabt, grob gegen Sie zu sein, weil Sie Ihre Ueberzeugung aussprachen. Wohlan, das erfordert eine Buße. Sie müssen mich um irgend Etwas bitten, worin ich Ihnen gefällig sein kann. Sagen Sie, was kann ich für Sie thun?“

Und dies sagte er in einer so milden, herzlich-offnen Weise, daß ich auf’s Tiefste bewegt war. Ich wußte nicht, was antworten, und ergriff, durch ein unwiderstehliches Gefühl getrieben, seine Hand und küßte sie.

„Nein, nein,“ rief er, „so kommen Sie nicht fort. Ich muß Ihnen durchaus einen Gefallen thun. Sprechen Sie!“

Da fuhr mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Ich trug mich damals gerade mit der Idee einer photographischen Portraitgalerie berühmter Männer, wovon später auch das erste Heft unter dem Titel ‚Pantheon‘ erschienen. Ich hätte sonst nicht gewagt, Cornelius eine solche Zumuthung zu stellen, wie ich sie beabsichtigte, weil ich seine Abneigung dagegen kannte. Jetzt aber schien mir der Augenblick günstig.

„Wohlan,“ sagte ich zögernd, denn ich kannte die Schwierigkeit der Sache, „wollen Sie wirklich etwas für mich thun, dann gestatten Sie, daß ich Sie photographiren lasse.“

„Photographiren?“ sagte er enttäuscht, „wozu? Wissen Sie nichts Besseres?“

Aber einmal im Zuge, hörte ich nicht auf zu bitten; ich stellte ihm vor, daß er durchaus nicht nöthig haben sollte, deshalb

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