Seite:Die Gartenlaube (1867) 273.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 18.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)


Der Kammerherr drückte sich vor allen Dingen mit beiden Händen seine Perücke recht fest an den Kopf. Dann sagte er niedergeschlagenen Augs und leise: „Ihr Herr Vater hat leider die Beweise erhalten, daß die Baronin Karoline, seine erste – Sie verstehen mich wohl, liebes Kind?“ unterbrach er sich mit einem kleinen Seufzer und fügte dann mit einer Art von Aufathmen hinzu: „Daß hiernach der Baron gegen seinen – seinen sogenannten Sohn noch mehr und für immer erkältet wurde –“

„Noch mehr? Er erfuhr es also erst spät?“ fiel sie ein.

„So scheint es, liebes Kind, erst nachdem seines Sohnes Benehmen schon einen ohnehin fast irreparablen –“

„Sie meinen seine Heirath, Kammerherr?“ Und mit Bitterkeit fügte sie hinzu: „Was muß ich, die ich so voll Liebe und Vertrauen, das Alles nur nebenher erfahren! – Genug! – Wie ist es damit?“

„Er verheirathete sich – mit – ich meine, mit einer Aufseherstochter oder dergleichen, die er auf der Festung kennen gelernt,“ erwiderte Brose bei weitem freier und mit allen Anzeichen des Abscheus. „Er machte sich begreiflicherweise dadurch für das Treuenstein’sche Majorat unmöglich, und daß Ihr Vater außer sich –“

„Lassen wir das, Papa, lassen wir das!“ unterbrach sie ihn ungeduldig. „Es ist traurig oder vielmehr abscheulich genug, daß Rang und Stand und wahnsinnige alte Gesetze das Glück oder Unglück eines Menschen bedingen sollen und ihm vorschreiben dürfen, was er für das Eine oder Andere halten muß! – Kommen wir auf das Frühere zurück: der Vater hat also das – das Andere erst später erfahren? Wie war das möglich? Wie geschah das? Zumal, da ja doch jener alte schreckliche Mann, der Augustin, gleichfalls davon zu wissen schien?“

Der Kammerherr wurde wieder verlegen und senkte sein Haupt. Erst nach einer Pause sprach er, sich zusammennehmend und, wenn auch noch mit unsicherem Blick aufschauend, gedämpft wie vorhin, aber rascher: „Mein Kind, das weiß ich kaum. Ihr Vater hat sich nicht klar geäußert. Doch scheint’s, daß dieser Unmensch, der Müller, Ihrer – der Baronin Karoline Kunde gegeben von jener Jugendaffaire, welche dazumal, wo Ihr Vater schon mit ihr verlobt war, in Dernot spielte – ich kann das nicht entschuldigen, mein liebes Kind, und daß die stolze Dame in Folge dessen sich gleichfalls nicht –“

„Genug, Kammerherr, genug!“ fiel Esperance von neuem ein. „Ich habe einmal etwas Aehnliches gelesen, das mir jetzt verständlich ist. Also jene Jugendaffaire, wie Sie’s heißen, ist wahr, und der Müller hat aus Rache oder zur Strafe –“

„Ach, mein theures Kind,“ brach Brose klagend aus, „was hat dieser entsetzliche, nichtswürdige Mensch nicht alles gethan! Das Lebensglück der Seinen untergraben – es hätte sich ja so leicht – das Glück und den Frieden Ihrer Eltern – ach, mein theures Kind,“ fügte er diesen abgebrochenen Worten hinzu, indem er schwermüthig das kleine Haupt schüttelte, „dies Dernot und was von dort kam, hat Ihrer Familie niemals Segen und Glück gebracht!“

„Wie’s sein Name verheißt,“ erwiderte sie kurz und fragte das Auge fest auf ihn richtend: „Und das, was man vom Tode und dem Testamente des Barons August redet, Papa?“

„Nichtswürdiges Geschwätz, mein Kind!“ sagte er lebhaft; „weiter weiß ich davon nichts, denn es bezieht sich auf Vorgänge, die vor meiner und auch vor Ihres Vaters Zeit stattgefunden haben. Ihr Großvater – der Bruder des August – hat ihn beerbt und alles geordnet. Und Seine Excellenz waren, so weit ich die Ehre hatte, ihn zu kennen, und nach dem Glauben aller, ein Herr von Ehre.“

„Ich danke Ihnen, Papa,“ sprach Esperance, indem sie sich nach einer Weile erhob und dem alten Herrn die Hand bot; „das ist es, was ich wissen wollte und wissen mußte. Das Uebrige wird werden, wie es werden muß.“

„Mein liebes Kind,“ sagte er in ganz anderem Tone als bisher, und sein Auge blickte voll herzlicher Theilnahme auf das Mädchen, „wenn Sie doch nur diese Ihre Caprice für Dernot aufgeben und alles dahin Bezügliche anderen Köpfen und Händen überlassen möchten! Jene Bestimmung Ihres Vaters, auf die Sie sich stützen, ist sicherlich von ihm nur getroffen, damit in allen Fällen ein legitimer, anerkannter Besitzer vorhanden sei. Das ist ja jetzt nicht mehr nöthig, mein Kind, oder vielmehr der Besitz ist höchstens nur noch von einem Halbwahnsinnigen angefochten. Lassen Sie’s den Geschäftsleuten, sage ich; die werden damit fertig. Sie – ich sagte schon,“ fügte er kopfschüttelnd hinzu, – „ich bin fast ein wenig abergläubisch in Betreff dieses alten Nestes.“

„Noblesse oblige, Papa!“ entgegnete sie ruhig. „Was das Geschick uns auferlegt, müssen wir tragen.“ –

Die Anfänge der großen Veränderung, die mit Esperance vorgegangen war, wurden, wie wir wissen, von den Ihren bereits in Dernot beobachtet; halb mit Erstaunen, halb mit Schrecken

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_273.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)