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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

nahmen sie wahr, daß das lustige und sorglose Kind fast niemals mehr zum Vorschein kam, daß Esperance nie mehr ganz aus einem gewissen ruhigen Ernst hervortrat. Sie war, da sie jetzt im Grunde zuerst in der Gesellschaft erschien, nicht sowohl durch den Rang und den Namen ihres Vaters, als vielmehr durch sich ganz allein sogleich die erste und gebietende Schönheit derselben und verdiente diesen Platz nicht bloß durch die strahlenden Reize ihrer Erscheinung, sondern auch und fast noch mehr durch die glänzende geistige Begabung, durch die Tiefe des Gemüths und die Wärme und Reinheit des Herzens, welche sie in freilich seltenen Augenblicken der Hingebung und des Selbstvergessens zuweilen mit reizendster Unbefangenheit sichtbar werden ließ.

Da sah man dann wohl, daß „die Herrin von Dernot“, wie man sie jetzt noch häufiger und mit größerem „Empressement“ hieß, das Urtheil, das über sie bald in diesen Kreisen umging, nicht verdiente: sie war weder stolz oder gar hochmüthig, noch kalt und schroff, weder bewußtvoll hier und unempfindlich da, noch herrisch oder spöttisch. Und wenn dies von Einsichtigeren doch auch in der Gesellschaft anerkannt wurde, so flüsterten Andere ihr bald lobend, bald tadelnd nach, daß das starre Regiment, das der Vater übte, und seine unerbittliche Verfolgung jeder freien Regung auch unter den Männern keinen entschiedeneren Gegner hätte, als es seine junge Tochter war.

Hier war der Punkt, wo sie neuerdings auch von der alten Tante und Eugenie geschieden war, in welchen Beiden das alte Regime seine treuesten und rücksichtslosesten Anhängerinnen fand: Tante Kunigunde verstand es entweder gar nicht oder fühlte sich von einem Schauder durchdrungen, wenn von einem Recht der Regierten gegen ihre Regierer die Rede war, und Eugenie hatte von jeher zu viel aristokratische Anlagen gehabt, als daß sie nicht durch das, was sie ringsumher sich regen sah, zu Hohn und Verachtung sich hätte aufgereizt finden sollen. So hatten sich die Vertraulichkeit und Einigkeit zwischen den beiden jungen Mädchen nach der Rückkehr von Dernot allmählich immer mehr in Gleichgültigkeit und Fremdheit verloren, ja zum mindesten auf Seiten Eugeniens offenbarte sich eine von Tag zu Tag steigende Kälte und endlich wirkliche Abneigung, welche sich nicht selten in herben Worten Luft machte und durch die ihr von Esperance meistens entgegengesetzte Ruhe oder Gleichgültigkeit nicht verringert wurde. Eugenie hatte ihres Zornes kein Hehl, daß die Cousine ihre Triumphe in einer Gesellschaft feiern möge, auf die sie herabsehe, ja auf deren Sturz sie hoffe – so warf sie wohl erbittert ihr vor, ohne daß es klar geworden wäre, ob in der jungen Dame sich heimlich nicht auch ein wenig Mißgunst über diese „Triumphe“ Derjenigen regen mochte, welche sie so lange als sorgloses, lustiges und lenkbares Kind unter sich gesehen und nun als die gefeierte Schönheit des exclusivsten Kreises wiederfand.

Vielleicht kam noch etwas Anderes hinzu, Eugenien zu verstimmen. Wie fast alle Uebrigen hatte auch Herr von Heimlingen viel Bewunderung für den neu aufgegangenen Stern gezeigt und damit auf Esperance ebensowenig Eindruck gemacht, wie irgend ein Anderer. Der junge Herr hatte sich – erst in Folge dieses Mißerfolges – sodann ernstlich für die schöne Cousine entschieden und die politische Uebereinstimmung beförderte die der Herzen. Eugenie hatte ihn angenommen und mochte, wie es in solchen Fällen ja wohl einmal passirt, weniger dem Verlobten sein Schwanken und seine Neigung zu der Verwandten, als dieser die Zurückweisung derselben anrechnen, zumal Esperance unvorsichtig genug gewesen war, die Wahl Eugeniens leise als eine überaus genügsame zu bezeichnen.

„Zu Deiner Höhe der Anschauung kann ich mich freilich nicht erheben,“ hatte Eugenie, vermuthlich in Bezug hierauf, einmal bitter spottend bemerkt.

„Ich verstehe Deinen Spott nicht,“ erwiderte Esperance kalt.

„Nun Liebste – gestehe es nur: bei Dir gipfelt doch alles in dem Plane, Deine Rechte als freie Bürgerin jenem Jägerjüngling zu geben und damit auch das Unrecht zu sühnen, das Du ihm, dem rechten Erben, als einstweilige Besitzerin Dernots thust. Gestehe es nur – ich merkt’ es wohl! Und jetzt – seid ihr einig?“

Da entgegnete das junge Mädchen mit stolzem Blick: „Ich habe in jenem jungen Mann mehr Bildung, Herz und Verstand, mehr Edelmuth und Männlichkeit gefunden, als ich den Herren unseres Parkets leider nachzurühmen vermag, und ich glaube, nein, ich weiß, daß Diejenige, welche er einst heimführt, ein glücklicheres Weib sein wird, als die Gattin eines jener – armen Wappenträger. Von mir, Liebste, ist dabei übrigens keine Rede,“ fügte sie mit einem ruhigen Lächeln hinzu. „Er hat meine Liebe und meine Hand noch nicht verlangt, und ich habe daher auch noch keine Veranlassung gehabt, mich über das Für und Wider zu entscheiden.“

„Gottlob, daß die Deinen Dir eine solche Entscheidung erleichtern würden!“ meinte die Cousine hochmüthig.

Und mit dem früheren ruhigen Stolze erwiderte das Mädchen: „Liebe Eugenie, beunruhige Dich nicht um nichts, da der Fall weder für mich, noch für die Meinen vorhanden. Deren Entscheidung würde ich gewiß nicht beanspruchen, selbst die Deine und Heimlingen’s nicht.“

Eugenie war blaß geworden vor Zorn, aber sie schwieg, da sie fühlte, daß sie ihrer Cousine auch in solchem Streit nicht gewachsen sei. Sie verfolgte indessen den Gedanken an eine Verbindung Esperancens mit den Dernoter Bekannten, obgleich nur die augenblickliche gereizte Stimmung denselben hatte in ihr aufsteigen lassen. Allein ihr Beobachten blieb umsonst. Von Dernot schien kein Laut herüberzuklingen und Esperance selbst von ihrem Bruder keine Kunde zu haben. –

Der Winter ging herum, ohne daß sich in diesen Zuständen und Stimmungen etwas zum Besseren gewandt hätte. Im Gegentheil traten die Einzelnen wie die Parteien einander immer schroffer gegenüber, und das eiserne Regiment Treuenstein’s erregte nicht mehr bloß die Erbitterung und den Haß der Volkspartei, sondern erfüllte allmählich auch die Anhänger des Systems durch des Ministers Maß- und Rücksichtslosigkeit mit steigender Besorgniß.

Die Nachricht von der Pariser Revolution und Louis Philipp’s kläglichem Ende hatte auf die Bevölkerung in Stadt und Land einen Eindruck gemacht, dem die Regierung kaum noch zu widerstehen vermochte. Der Wiener, noch mehr der Berliner Sturm aber brachten auch hier die Geduld der Einen und den Widerstand der Anderen zum Ende, und die Massen, welche vor Kurzem noch durch mäßige Concessionen zu beschwichtigen gewesen wären, erhoben sich nunmehr nicht minder rücksichts- und schrankenlos gegen die verhaßten Unterdrücker. Treuenstein’s Entlassung half nichts mehr, man wollte sich an dem gehaßten Mann selber rächen, sein Stadtpalais wurde verwüstet und angezündet und am nächsten Tage machten sich wilde Schaaren auf, den Exminister in Heitersberg, wohin er geflohen sein sollte, mit ihrer Strafe heimzusuchen.

Als der Baron seine letzten energischen Vorschläge vom Fürsten verworfen sah, als er vernahm, daß auch die Truppen abgefallen seien, und, mit seiner Entlassung in der Tasche, vor der brüllenden Menge noch kaum sein Palais erreicht hatte, wurde er von einem jener oben erwähnten Zufälle niedergeworfen. Zu ihm schien sich diesmal jedoch auch noch ein wirklicher Schlaganfall gesellt zu haben, da der Minister in einem halbbewußtlosen, selbst körperlich gebrochenen Zustande blieb.

In diesen traurigen Stunden war Esperance die Einzige, welche weder die Geistesgegenwart noch den Muth verlor. Sie ließ den willenlosen Vater und die Ihren nach Heitersberg schaffen; sie sorgte dafür, daß wenigstens der werthvollste Besitz noch rechtzeitig aus der Residenz geflüchtet wurde, und sie war es endlich, die auch auf Heitersberg befahl, ordnete, retten ließ, was noch möglich war – das Wohin erfuhr nur der Verwalter, der die Wagen expedirte.

Am Abend dieses sorgenvollen Tags, als man erfuhr, daß die Haufen wirklich nach Heitersberg aufgebrochen waren und zur Nacht anlangen mußten, ließ sie die Wagen für die Familie vorfahren, welcher sich der gleichfalls geflüchtete Heimlingen angeschlossen hatte – die Vermählung des Paars war auf diese Tage anberaumt gewesen. Für sich selbst hatte sie einen Platz neben dem Vater in der „gelben Chaise“ erwählt und nahm nun mit vertrauenerweckender Ruhe Abschied für die Fahrt von den Uebrigen im schwerbepackten Reisewagen.

„Wohin führst Du uns?“ schluchzte die Tante.

„Nach Dernot,“ lautete die muthige Antwort. „Nur von dort aus erreichen wir noch die Grenze.“

„Zu den Feinden – den Demagogen – den Barbaren?“ rief Eugenie heftig. „Nie –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_274.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)