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enttäuscht, da Graf Bismarck, dessen Bild wir hier wiederzugeben versuchen, kein Redner ist, der durch rhetorisches Talent, strömende Fülle des Ausdrucks, brillante Wendungen und treffende Gleichnisse, oder durch schlagenden Witz und Gedankenblitze die Seele des Zuhörers fortreißt und mit Bewunderung erfüllt. Sein Organ ist zwar klar und verständlich, aber trocken und wenig sympathisch, der Klang monoton, die Sprache stockend, zuweilen sogar stammelnd, als wollte die widerstrebende Zunge nicht gehorchen, als müßte er erst mühsam nach dem passenden Ausdruck der Gedanken suchen. Auch die schwankende, halb wiegende, nonchalante Haltung ist durchaus nicht angethan, für den Sprecher einzunehmen, der mit keiner angemessenen Bewegung seine Worte unterstützt. Aber nach und nach überwindet er alle diese Schwierigkeiten, gewinnt er mit der Herrschaft über das widerspenstige Organ eine größere Sicherheit, eine zunehmende Kühnheit, die sich nicht selten bis zu verletzender Schärfe steigert. Gleich einem geschickten Fechter auf der Mensur – und er hat als Student oft auf ihr gestanden – geht er von der Vertheidigung bald zum Angriff über, rückt dem Gegner immer heftiger auf den Leib und führt mit sicherer und fester Hand Stoß auf Stoß, bis er seine ganze Kraft zu einem Meisterstreich zusammennimmt und den Kampf meist zu seinen Gunsten dadurch beendet, daß er schonungslos die Blößen des Feindes trifft und ihn tief verwundet.

Was den Inhalt seiner Reden angeht, so besitzen sie vor Allem den großen Vorzug, daß sie sich frei von allem Phrasenwesen halten. Er weiß stets, was er will und worauf es ankommt, deshalb geht er gewöhnlich ohne Umschweife auf sein Ziel los, öfters mit einer Offenheit, welche aus dem Munde eines Staatsmanns doppelt überraschen muß. Sein Ausdruck ist ungesucht und natürlich, mitunter geradezu formlos, ungenirt und herausfordernd, obgleich er meist, wie man zu sagen pflegt, den Nagel auf den Kopf trifft. Nicht selten überrascht er durch die Originalität seiner Worte, die zum Theil in den Mund des Volkes übergegangen sind, wie die bekannten Redensarten „Blut und Eisen“, die berüchtigten „catilinarischen Existenzen“ etc. Leicht läßt er sich in der Hitze der Debatte durch sein sanguinisches Temperament und durch eine nervöse Reizbarkeit zu verletzenden Aeußerungen, zu beißenden Repliquen, selbst zu persönlichen Beleidigungen hinreißen, und diese hauptsächlich waren es, die ihm besonders in früherer Zeit den Vorwurf der Rücksichtslosigkeit zuzogen und viele Gegner schufen.

Man würde jedoch Unrecht thun, wenn man den Grafen Bismarck nach den vorübergehenden Ausbrüchen von Heftigkeit beurtheilen wollte. Ebenso irrt man, wenn man ihn für einen einseitigen Verstandesmenschen hält und ihm Gemüth und Phantasie abspricht. Er besitzt beide und zwar in einem hohen Grade, woraus sich so manche Widersprüche und unbegreifliche Gegensätze dieses eigenthümlichen Charakters allein erklären lassen. Mit der größten Berechnung und staatsmännischen Besonnenheit verbindet er eine bewunderungswürdige Aufrichtigkeit, eine keineswegs diplomatische Hingebung, indem er keinen Anstand nimmt, seine geheimsten Gedanken und weit aussehenden Pläne offen auszusprechen, wobei er sich von seiner lebhaften Phantasie unbewußt hinreißen und beherrschen läßt. Trotz seines klaren Verstandes ist er nicht frei von einem gewissen Fatalismus; er glaubt an seine Mission und nimmt keinen Anstand, seine Ueberzeugung kund zu thun. „In vier Wochen,“ sagte er vor dem letzten Kriege, „werde ich der populärste Mann in Preußen sein“ – und seine Prophezeiung ist auch wörtlich eingetroffen. Seine näheren Bekannten rühmen seine persönliche Liebenswürdigkeit und eine große Gutmüthigkeit, seine treue Anhänglichkeit an die alten Freunde und seine Dankbarkeit für einmal geleistete Dienste. Seine Ritterlichkeit selbst principiellen Gegnern gegenüber ist bekannt und auch Ihre Gartenlaube hat dies erfahren. Ursprünglich in den Vorurtheilen seines Standes aufgewachsen, weiß er dieselben seinen höheren Zwecken unterzuordnen, den gegebenen Verhältnissen anzupassen und ohne seinem Principe untreu zu werden, nimmt er keinen Anstand, mit den Traditionen seiner Vergangenheit zu brechen, wenn sie sich überlebt haben und ihm hemmend in den Weg treten. Er ist vor Allem der Sohn seiner Zeit, und der Augenblick mit seinen Forderungen findet ihn stets gerüstet. Im Gegensatz zu der conservativen, starren Einseitigkeit, dem Festhalten an den alten Institutionen, zeigt er eine ungewöhnliche Beweglichkeit und Verwandlungsfähigkeit, wodurch er sich nicht selten selbst von Seiten seiner politischen Freunde den Vorwurf der Inconsequenz, sogar der Verleugnung der conservativen Grundsätze zugezogen hat. Sein Bruch mit Oesterreich, sein Bündniß mit Victor Emanuel und mit Garibaldi, die Einführung des allgemeinen und directen Wahlrechts für den Reichstag erbitterten die eigentliche Junkerpartei und die Feudalen, welche den Grafen Bismarck nicht mehr als den Ihren anerkennen wollen. Er wird sich darüber nicht sehr grämen und einfach auf seine Erfolge hinweisen. Und wie selbst seine früheren Gegner jetzt den Schöpfer der deutschen Einheit anerkennen und an seiner Seite stehen würden, wenn es gälte den französischen Hochmuth zu demüthigen, so würde, wie ein Abgeordneter der Linken sehr richtig bemerkte, der Graf eine Bürgerkrone verdienen, wie sie reicher und verdienter nie dagewesen, wenn er den freiheitlichen Ausbau Deutschlands in derselben Weise fördern wollte, wie er es jetzt mit dem einheitlichen gethan.

Graf Bismarck ist ohne Widerrede ein Revolutionär der modernen und neuesten Schule, aus der Männer wie Napoleon der Dritte und Cavour hervorgegangen sind; ein politischer „Faust“, der für die Herrschaft seine Seele hingiebt und die Hölle beschwört. Sein Wahlspruch lautet nach seinem eigenen Geständniß: „Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo.“ (Kann ich den Himmel nicht beugen, so werde ich die Unterwelt erschüttern.) Er schreckt nicht so leicht vor einem Weg zurück, wenn er ihn zum Ziele führt, und greift stets zu den kräftigsten Mitteln, um den Zweck zu erreichen. Seit dem Jahre 1847 hat er so manche Metamorphose durchgemacht, obgleich er im Grunde stets derselbe geblieben ist. Damals kämpfte er an der Spitze der Feudalen gegen die liberale Opposition, deren Hauptvertreter derselbe Herr von Vincke war, mit dem er jetzt Hand in Hand auf dem Reichstage gegen die Fortschrittspartei kämpfte. Damals griff er das Recht auf die durch das königliche Versprechen vom Jahre 1815 garantirte Verfassung an, das Herr von der Heydt vertheidigte, derselbe Herr von der Heydt, der jetzt an seiner Seite als Finanzminister und Bundescommissär sitzt.

Nach der Märzrevolution gefiel er sich in kühnen Herausforderungen und galt als das Haupt der damaligen Junkerpartei, ein unerbittlicher Gegner der Volkssouverainetät, der unermüdliche Vertheidiger des Königthums von Gottes Gnaden, der Heißsporn seiner Partei, der sich durch seine spöttischen Angriffe auf die gegebene Verfassung wiederholt den Ordnungsruf des Präsidenten, Grafen von Schwerin, zuzog, ohne sich denselben besonders zu Herzen zu nehmen. Seine damalige Haltung und sein anerkanntes Talent erwarben ihm die Gunst und Beachtung Friedrich Wilhelm des Vierten. Er wurde zum Geheimen Legationsrath und bald darauf zum Gesandten bei dem wiederhergestellten Bundestag in Frankfurt am Main ernannt. Hier an der Quelle fand er hinlängliche Gelegenheit, den Fluch der deutschen Kleinstaaterei, die Erbärmlichkeit der Zustände, die Ueberhebung Oesterreichs und dessen schädlichen Einfluß kennen zu lernen. Daneben fehlte es nicht an persönlichen Reibungen mit dem damaligen österreichischen Gesandten und Bundestagspräsidenten, Grafen Rechberg. Wie das Glas Wasser der Herzogin von Marlborough, wie der Paletot des Grafen Menschikoff, so war der Schlafrock des Grafen Rechberg vielleicht die kleine Ursache großer Begebenheiten. Als der österreichische Gesandte eines Tages seinen preußischen Collegen in dieser mehr bequemen als anständigen Kleidung empfing, zog Herr von Bismarck ruhig seine Cigarrentasche hervor, steckte sich eine Havannah an und präsentirte seinem Nachbar eine andere. Es war keine Friedenspfeife, die hier geraucht wurde, obgleich Graf Rechberg den gegebenen Wink verstand.

Seine mit der Muttermilch eingesogene Verehrung für Oesterreich hatte einen bedeutenden Stoß erhalten und seitdem in ihm ein entgegengesetztes Gefühl in dem Grade hervorgerufen, daß sich der König veranlaßt fand, ihn von Frankfurt abzurufen und als Gesandter an den Petersburger Hof zu schicken, wo er für seine Pläne ein geeignetes Feld fand. Schon in jener Zeit verfolgte er den Gedanken, durch die Demüthigung Oesterreichs die preußische Macht zu heben, wofür es nicht an Beweisen fehlt, obgleich die angesponnenen Fäden durch seine Versetzung nach Paris wieder abgebrochen wurden. So kurze Zeit er auch am Hofe Napoleon’s verweilte, so benutzte er dieselbe doch auf das Beste, um seine Kenntnisse der politischen Verhältnisse zu erweitern und seine staatsmännischen Studien zu vollenden. Er war ein gelehriger Schüler,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_286.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)