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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

haben, wie unsre Großväter thaten, welche sie von Angesicht zu Angesicht schauten. Und wenn sie zu uns hält, wie die, und uns so lieb hat und uns schützt gegen fremde Gewalt, voll Segen, wo sie hintritt – da halten die Dernoter zu ihr. Und der Augustin mag drohen, und das tolle Volk in der Stadt und im Lande umher kann schwatzen und hetzen, wir lassen nicht von ihr.“

Aus Esperancens Augen stürzten die Thränen. „Womit hab’ ich Eure Liebe verdient,“ rief sie „und Eure Treue?“ Und sich aufraffend und die Thränen zurückdrängend, trat sie vor und nahm die harte Rechte des Sprechers zwischen ihre Hände. „So wahr mir Gott helfe,“ sprach sie mit erhobener Stimme, „ich will Eure Liebe zu verdienen suchen, wie Ihr sie meiner Ahnfrau weih’t, und Euch eine gute und gerechte, getreue Herrin sein.“

„Das glauben wir Euch und Euren Augen, Fräulein,“ erwiderte der Mann, ihre Hände drückend, und in den rauhen Zügen zuckte es vor innerlicher Bewegung. „Sie haben uns schon im Herbst bis ins Herz geblickt, darum sind wir Euer. Der Herrgott segne Euch und uns und mache Euch glücklicher, als es die Euphemia war. Hoch – hoch, die Herrin von Dernot!“

Es war überwältigend, wie der Ruf Alle hinriß, im Saal drinnen und draußen auf dem Hofe; selbst von den bisherigen Gegnern widerstand mancher nicht und zwischen den Commissionsherren war sicherlich mehr als einer glücklich, durch diesen ‚Volksbeschluß‘ aus der zum mindesten unbehaglichen Situation erlöst zu werden. Nur Augustin stand zwischen der Menge unerschüttert, die erhobenen Fäuste schüttelnd und Flüche und Drohungen hinausschleudernd, die das Getümmel und der Jubel verschlang. Einige, die noch zu ihm hielten, rissen ihn endlich fort. –

Auf Esperancens Besitz wurde nur einmal ein, noch dazu kaum recht ernst gemeinter Angriff gemacht. Als es nach einiger Zeit angenommen werden mußte, daß das Treuenstein’sche Majorat wirklich von Leopold nicht beansprucht würde, – es ging eine Sage, er sei bei dem Aufstand in Baden]] um’s Leben gekommen, während die trauernde Schwester vermuthete, daß die Entdeckung seiner illegitimen Geburt den Unglücklichen für immer in die Ferne gebannt und auch von ihr getrennt habe, – dachte die erbende Nebenlinie auch an Dernot. Aber der Nachweis, daß dasselbe niemals zum Majorat gehört, war so leicht und die Bestimmung im Testament des Barons so klar, daß selbst bei dem Mißtrauen und der entschiedenen Abneigung, deren die junge Herrin zu jener Zeit der Reaction in den herrschenden Kreisen genoß, kein Erfolg von einem wirklichen Processe zu hoffen war.

Im Innern, wie wir sagen möchten, das heißt in der Herrschaft Dernot selber, erstand ihr seit Augustin’s bald erfolgtem Tode kein neuer Feind wieder. Ihr Besitz und ihr Recht waren auf das gegründet, was in unserer Zeit des Schwankens und Wechsels das einzig Sichere ist und zugleich das Schönste: auf die Liebe der Ihren; denn in diese verwandelte sich jene traumhafte, oder sagen wir abergläubische Anhänglichkeit, welcher sie den Besitz der Herrschaft verdankte, unter ihrem Walten bald immer herzlicher und enthusiastischer. Es giebt sicherlich wenig Frauen, auf die so viel Augen mit Verehrung und Liebe blicken, für die so viel Herzen mit voller Treue und unbegrenztem Vertrauen schlagen, wie sich die Herrin von Dernot dessen rühmen darf.

Aber auch das alte Dernoter Geschick, dem die arme Euphemia so jung erlegen, ist an der jetzigen Herrin erlahmt: ihre hellen Augen und ihr starkes Herz haben es gewonnen und sie ist eine glückliche Frau geworden. Darin haben die Schläge, die sie immerhin getroffen, wie jedes Menschenkind, nichts zu ändern vermocht, wie traurig sie die schöne Frau auch machten – die Ungewißheit über das Loos ihres Bruders ist noch heut ein tiefer Schatten in dem Sonnenschein ihres Lebens.

Leichter nahm sie’s, daß Eugenie und Joseph sich auf das Starrste von ihr gewandt und daß Heimlingen’s Versuche einer Wiederannäherung an dieser Starrheit stets scheiterten. Noch leichter fällt es ihr, daß man sie in der ‚Gesellschaft‘ und in ihren früheren Kreisen bald für eine Unwürdige oder Abtrünnige, bald sogar für eine Halbnärrin erklärt. Man kann es ihr nicht verzeihen, daß ihr Gatte einfach Franz Dernot heißt – den Namen Burgsheim hat er mit hoher Erlaubniß gegen den ursprünglichen seines Vaters wieder vertauscht, aber den Adel hat er nie gewollt, ja er hat ihn sogar direct abgeschlagen –, und daß sie selbst sich nicht mehr Esperance heißen läßt, sondern Marie, wie ihre Mutter. Denn sie meint, daß wir in Deutschland der Fremde nirgends gebrauchen, nicht einmal in unseren Namen.

Was fragt sie nach solchem Tadel an der Seite des Gatten, im Kreis ihrer Kinder, verehrt, bewundert und geliebt, wo sie sich den Ihren zeigt, die segensvolle und gesegnete

‚Herrin von Dernot‘!




Der erste Schritt.[1]


Das muß ich preisen überaus,
     Daß noch zu jeder Frist
Das größte Glück im kleinen Haus
     Auf Erden möglich ist.

5
Und nichts kommt diesem Wunder gleich:

     Von aller Schätze Pracht
Wirst du im Herzen nicht so reich,
     Als wie ein Kind dich macht.

Ein kleines Kind mit Lächelmund

10
     Mit Aeuglein hell und klar,

Mit Aermchen und mit Beinchen rund,
     Am Häuptchen Seidenhaar.

Die Lust, wenn’s froh sich dehnt und reckt!
     Und wenn’s zum ersten Lauf

15
Die Händchen Dir entgegenstreckt,

     Wie geht das Herz Dir auf!

Der Vater kommt! Wie mit dem Kind
     Sie ihm entgegen tanzt!
Grüß Gott, Papa! Nun zeig’ geschwind,

20
     Lieb Herzchen, was du kannst!


Der Vater spricht: Herzkindchen mein,
     So komm’ doch her zu mir!
Der schöne Apfel! Der ist dein!
     Ei komm’ und hol’ ihn dir!

25
Die Mutter sinnt: O gingen heut

     Doch alle Engel mit!
Du meines Lebens Stolz und Freud’,
     Es ist dein erster Schritt!

Ein Schrittchen nur – von Arm zu Arm!

30
     Das Wagniß war nicht groß:

Vom Mutterherzen liebewarm
     Zum treuen Vaterschooß

Und doch welch’ Glück! Der Jubel klingt
     Empor aus voller Brust,

35
Und hell durch Thür und Fenster dringt

     In’s Freie ihre Lust

Ja, preisen muß ich’s überaus,
     Daß noch zu jeder Frist
Das größte Glück im kleinsten Haus

40
     Auf Erden möglich ist!
Friedrich Hofmann.




  1. Wir geben mit unserer Illustration „Glückliche Menschen in der Hütte“ das S. 128 versprochene Seitenstück zu dem in Nr. 8 mitgetheilten Bilde der „Glückliche Menschen im Schloß“. Der Künstler, „C. E. Böttcher“ in Düsseldorf, liefert damit den Beweis, wie trefflich er seine Augen darauf abgerichtet hat, das wahre Glück auch in den verborgensten, unscheinlichsten Winkeln zu suchen. Das Original auch dieses Bildes befindet sich in Liverpool.
    D. Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_294.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)