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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

das Lied mit der Ueberschrift „Agathe“ componirt, dessen Anfangsstrophe mit den Worten beginnt: „Wenn die Schwalben heimwärts ziehn.“ Er selbst räumte ihm wohl keine Bevorzugung ein, denn wo ist der poetische Schöpfer, der sagen kann: Das ist das Beste, was ich geschaffen! Gerade das, worauf er weniger Werth legt, findet Anerkennung, wie sich dies besonders bei Componisten auffällig gezeigt hat. Vollkommener Beweis ist u. A. Lortzing’s Czarenlied: „Sonst spielt ich mit Scepter, mit Krone und Stern etc.“ In der Generalprobe vor der ersten Aufführung in Leipzig wurde es gestrichen und noch heute müssen in der ersten Violinstimme, welche damals auf dem Notenpult des Concertmeisters David lag, die mit Rothstift geschriebenen Worte zu lesen sein: „Bleibt weg!“ Der damalige Sänger Richter war dies ganz zufrieden: das Lied sei für den rauhen Czar zu weichlich, zu sentimental, es halte nur die Handlung auf. Erst als der Sänger Ziesche in Berlin damit außerordentliches Furore machte, stutzte man und nur nach vielen Demonstrationen des später auf der Leipziger Bühne als Czar gastirenden Baritonisten Scharpff wurde ihm der Vortrag des Czarliedes gestattet. Das Resultat ist weltbekannt.

„Bücher haben ihre Geschichte“ und – auch Lieder. Hatte sich das in Frage stehende Lied von Seiten seines Schöpfers einer Bevorzugung zu erfreuen, so war es die, daß Abt dabei den Tag der Entstehung angemerkt, was ihm sonst nie in den Sinn kam. Singen des Liedes, Auferstehen, Lebendigwerden, der Wunsch ging dadurch in Erfüllung, daß die im Herbst beim Theater in Zürich engagirte erste Sängerin, Fräulein Agathe Reuß, von Abt ein Lied zum Vortrag begehrte. Bei dem Einblick in die Manuscripte wählte sie ohne Zögern das Lied, welches ihren Vornamen trug: Agathe.

Das Lied, trefflich vorgetragen, gefiel und später sang es noch einmal ein Freund des Componisten, Namens Langeloth, der jetzt in Mannheim lebt. Von Liedern eignen sich indeß für die Oeffentlichkeit nur die oberflächlichen und gefälligen, die dem Publicum nichts zu rathen geben, sondern seiner bequemen Genußsucht schmeichelnd entgegen kommen; gute, innig empfundene Lieder müssen eigentlich dem Privatvortrage, dem häuslichen Kreise vorbehalten bleiben. In weite Räume hineingesungen, oft vor ungeweihten Ohren, wird ihnen, wie einem lyrischen Gedicht voll zarter Empfindung, der Duft der Weihe abgestreift. Für sie hat nur das einzelne Gemüth, nur der Familienkreis gleichgestimmter Seelen die nöthige Empfänglichkeit.

Dies Alles erwogen wohl auch die Vortragenden, namentlich Agathe Reuß, später verehelichte Gaudelius, welche vor einigen Jahren zu Altona starb und deren Name mit Achtung vom Componisten genannt wird, denn sie war ja die erste Sängerin seines Schwalbenliedes. Es liegt dieses Gefühl der Achtung tief in jeder Künstlerseele. Gleich wie der Mensch in späteren Tagen so gern seiner ersten Liebe gedenkt, denkt der Dichter an Diejenigen, welche zuerst seinen Schöpfungen Leben einhauchten.

Dichter und Componisten in frischer, frommer Jugendzeit halten jeden kleinen Erfolg für einen Sieg; sie werden kühner in ihren Hoffnungen, Wünschen und Verlangen. Jetzt galt es einen Verleger für die sieben Lieder aufzufinden, einen renommirten Verleger, eine namhafte Musikalienhandlung. Der Componist schickte sie zuerst an Friedrich Hofmeister nach Leipzig. Sie wurden zurückgesendet. Das Manuscript wanderte zu Schott nach Mainz. – Retour. Abt dachte: „Das Wandern ist des Müllers Lust,“ warum nicht auch die eines Liedermanuscriptes, das wiederum gehörig geschnürt und verpackt in die Welt ging. Wenigstens ein halbes Dutzend Briefe mit „ganz ergebener Diener“ gingen anfragend hinaus. Man las die Unterschrift: Abt! – Wer ist denn das? Höchstens kannten die Empfänger Bürger’s Abt von Sanct Gallen, von dem Abt in Zürich aber hatten sie noch keine Silbe gehört. So irrten die sieben Lieder durch Deutschland; man floh sie wie die sieben Todsünden, die Schwalben zogen wieder heimwärts, das heißt: nach Zürich. Nirgends konnten sie ihr Recht finden, weil – der Componist noch keinen Namen hatte.

Da brütete denn der arme Tondichter oft in dumpfer Betäubung so vor sich hin, bis sich endlich Göpel in Stuttgart fand, der die Lieder in sein Sammelwerk „Orpheon“ aufnahm und die „Schwalben“ zuerst veröffentlichte. Weil aber dieses Lied nur in dieser Sammlung und nicht einzeln zu erlangen war, gingen doch ungefähr drei Jahre in’s Land, ehe es sich Bahn brach. Dann aber zog es mit Riesenschritten durch die Welt.

Die berühmte Sängerin v. Marra ließ sich ein Bühnenstück „Angela“ schreiben, in welchem sie das Schwalbenlied als wirksame Einlage benutzte, und noch vor einigen Jahren, als die Wiener Hofopernsängerin Tietjens zu London gastirte, erzählte sie dem in der Themsestadt zum Besuch verweilenden Abt, daß jenes Lied das erste gewesen, welches sie bei Beginn ihrer Studien gesungen habe. – Es war damals das stereotype Lied der Harfenmädchen, es ertönte am Piano im Salon wie aus den Leierkasten und die musikalischen Wanderchöre hielten es fest auf allen Messen und Jahrmärkten.

Schreiber dieser Zeilen erinnert sich noch des Momentes, als zu Leipzig während einer Ostermesse in der Hainstraße die Melodie des Liedes von Meßmusikanten geblasen wurde und zwar nahe an dem Hause, wo der Dichter wohnte. Der gute Herloßsohn suchte zwei Viergroschenstücke aus seiner Westentasche zusammen und senkte sie freudig in das Notenblatt des geldeinsammelnden Clarinettisten. Aus Dankbarkeit wurde das Lied von der Straßencapelle wiederholt und ein wehmüthiger Zug spiegelte sich in des Dichters Antlitz. Er gedachte vielleicht der einsam nächtlichen Stunde, wo er in Erinnerung an ein geliebtes Wesen die Worte auf ein Stückchen Papier niedergeschrieben. Jene Worte, in Töne gekleidet, umkreisten jetzt den Erdball.

Das Schwalbenlied reihte sich in seinen Erfolgen an das berühmte „Marlborough s’en va-t-en guerre“, das bis in das Serail drang und daselbst, auf dem Leierkasten gedreht, die Odalisken ergötzte. Es erinnerte in seinem Weltlauf an Weber’s: „Wir winden dir den Jungfernkranz“, das nach den Wäldern Südamerika’s drang, und wie dereinst Lichtenstein, als er Anfangs dieses Jahrhunderts unter den Hottentotten herumreiste, von Georg Nägeli’s: „Freut euch des Lebens“ überrascht wurde, so auch ertönte das Lied: „Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“ tief in Rußland und Schweden, ja selbst in Californien und Australien. An seinem Sang erkannten sich deutsche Landsleute oder es wurde von Einzelnen zur Erinnerung an das Vaterland angestimmt, denn:

„Stehst Du fern im fremden Lande
Einsam und verlassen da:
Nur ein deutsches Lied gesungen,
Und die Heimath ist Dir nah.“

Die spätere Laufbahn des Componisten ist bekannt: er wurde Hofcapellmeister in Braunschweig und leitete 1865 mit anderen Geistesverwandten das große Sängerfest zu Dresden. Wie oft, gern und freudig seine anderweiten Lieder, u. v. a. „Ob ich dich liebe, frage die Sterne“; „In den Augen liegt das Herz“: „Bleib’ bei mir“; „Am Neckar, am Rhein“; „Schlaf’ wohl, du süßer Engel“ etc. etc. etc. von Gesangvereinen und Einzelnen gesungen werden, dies kann ich noch am Schluß dieser Skizze anhängen, indem mich bei dem Niederschreiben dieser letzten Worte der am Hoftheater zu Dresden gastirende berühmte Tenorist Theodor Wachtel besucht. Derselbe erzählt mir, daß er bis jetzt das Abt’sche Lied: „O, Du mein herziges Kind!“ sechshundertachtundsiebenzig Mal als Einlage in Opernvorstellungen benutzt und gesungen habe. Ein Aehnliches wurde mir oft von anderen Sängern und Sängerinnen versichert, die mit gleicher Hingebung der Abt’schen Tonmuse huldigen und jedes neue Lied von ihm mit Freuden begrüßen.

Th. D.




Eine Stunde bei Paul de Kock.
Von Ludwig Kalisch.


Paul de Kock, der auch in Deutschland vielgelesene Sittenschilderer des modernen Babels, den ich aber durchaus nicht als Lecture für junge Mädchen in Pensionsanstalten empfehlen möchte, wohnt in einem kleinen Hause auf dem Boulevard St. Martin. Eine dunkle Treppe führt zu seinen Appartements, oder vielmehr zu seinen Zimmerchen, die sehr bescheiden möblirt sind. Er empfing mich mit einem herzlichen Händedruck und führte mich in sein Arbeitszimmer, das zugleich zum Schlafzimmer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_327.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)