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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Proli notorisch jedes Jahr eine ständige Summe von eintausend zweihundert Thalern an die Stadtcasse zur Unterstützung der Armen, ungerechnet die zahlreichen Wohlthaten, welche er unmittelbar auf seinem Landgute den Hülfesuchenden spendete. In dem kalten Winter von 1829 bis 1830 unterhielt er ein Vierteljahr hindurch mindestens dreihundert Menschen mit Nahrung, Kleidung, Holz und anderen Bedürfnissen. Daher war Proli bei den Armen eine ungemein beliebte Persönlichkeit.

Woher Proli diese sehr bedeutenden Geldsummen bezog, ist ein Räthsel geblieben, sowie überhaupt Alles, was diesen Mann betrifft. Man kommt immer zu der Vermuthung eines jesuitischen Unternehmens zurück, da ein Pater nebst Collegen in Cork, ein Pater nebst Ordensleuten in Würzburg dem Plane Proli’s so wesentlichen Vorschub geleistet haben. Kaum ist es glaublich, daß Proli mit seinem Riesenplane allein gestanden hätte, oder nur auf eigene Kräfte angewiesen gewesen wäre, ohne eine schützende und nachhelfende Macht im Verborgenen hinter sich gehabt zu haben.

Seitdem Proli in Offenbach lebte und wegen seines reichen Geldbesitzes einen großen Namen hatte, fand sich auch die Familie Müller von Kostheim mehrmals ein, um als seine nächsten Verwandten sich in den Strahlen seines Reichthums zu sonnen. Allein das war dem Propheten sehr lästig; er wollte von einer irdischen Blutsverwandtschaft, absonderlich von Kostheim, nichts wissen. Deshalb trug er im Jahre 1826 bei dem Großherzog von Hessen darauf an, daß der Name „Maximilian Bernhard Ludwig Müller“ in „Maximilian Proli“ verwandelt würde, – in welcher Bedeutung, wissen wir schon aus Cork in Irland. Diese Namensveränderung wurde auch genehmigt und im Regierungsblatt vom 22. October desselben Jahres öffentlich verkündigt.

Immer näher schritt der Prophet seinem Ziele zu, und gestützt auf geheime Protection, konnte er einen Schritt wagen, in welchem jeder Andere eine Gefahr für Leib und Leben erblickt haben würde. Wie nämlich Christus, dem er so gern nachahmte, siebenzig Jünger zur Verkündigung seines Evangeliums in die Welt gesendet hatte, so erließ Proli, dem es an siebenzig geeigneten Sendboten fehlte, um dieselben zu ersetzen, wenn wir nicht irren, im Jahre 1828, siebenzig gleichlautende Manifeste an alle Regentenhäuser Europa’s, mit Ausnahme des R..… und Pr..… Hofes (soll wohl heißen des Russischen und Preußischen Hofes), die er schon von vornherein aus der Regentenliste gestrichen hatte, sowie an sonstige hohe Häupter und Fürstbischöfe, selbst an den Papst in Rom, worin er dieselben bei Meidung seines Fluchs und der Strafgerichte Gottes aufforderte, sofort von ihren Thronen und Stühlen zu steigen und ihre Völker zum Eintritt in das tausendjährige Reich frei zu lassen, sich selbst aber dem Propheten zu Füßen zu legen. Zugleich entband er die Völker vom Eid der Treue und des Gehorsams und bedrohte auch sie mit dem Fluche Gottes, wenn sie nicht sofort gehorchen würden. Diese Manifeste, eines wie das andere, trugen die Aufschrift: „Ich, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes Jesu Christi und des heiligen Geistes, Maximilian Bernhard Ludwig, Gesalbter und Gesandter des Herrn aller Herrn, Herzog von Jerusalem, Groß-Imperator des tausendjährigen Reichs, Fürst auf Zion etc., entbiete hierdurch Allen, den Gewaltigen und Großen auf Erden, so wie den Niederen und allen Völkern meinen Gruß und die Gnade Gottes des Heilandes Jesu Christi.“

Diese Manifeste sind nach ihrem Inhalt bei den damaligen Censurverhältnissen in keine öffentliche Zeitung gekommen, sondern vielmehr in den Händen der Adressaten verborgen geblieben. Dasselbe Schicksal erfuhr Proli’s Aufforderung an die Völker zum Abfall von ihren Fürsten.

Voll Erbitterung darüber, daß seine Manifeste wie die Tauben aus der Arche Noah zur Zeit der Sündfluth ausgeflogen seien und nicht ein grünes Blatt im Schnabel zurückgebracht hätten, erließ Proli im folgenden Jahre 1829 sein zweites Manifest, aber noch geharnischter mit Schild und Speer, und zwar nicht an alle Fürsten, sondern hauptsächlich an Oesterreich, auf das er das größte Vertrauen hatte, weil er in den zahlreichen Klöstern und Ordensleuten des Reiches seinen Hauptstützpunkt zu finden glaubte, und forderte den Kaiser geradezu auf, die übrigen Fürsten verdrängen zu helfen. Auch das wurde ignorirt.

Es ist aber begreiflich, daß solche Bestrebungen nicht ohne Folgen für den Bestand der Gesellschaft bleiben konnten. Proli sah die Zeichen eines ihm drohenden Sturmes und überlegte daher, ob es nicht besser sei, in den freien Westen überzusiedeln, weil das neue Jerusalem sich dort freier entwickeln könne. Das Ergebniß dieser Berathung war, daß man sich vorläufig an die Colonie des bekannten Würtembergers Rapp[WS 1] wendete, welcher im Jahre 1803 seine Heimath verlassen hatte, um sich in Nordamerika niederzulassen. Diese Rapp’sche Colonie führte den Namen Harmonia zu Economy, Beaver-County im Staate Pennsylvanien. An diese erging noch im Jahre 1829 eine bogenlange Epistel, welche mit den Worten anfängt: „Friede, Gnade und Barmherzigkeit, wie auch Heil und Segen werde dem alten Patriarchen Georg Rapp und seinen Mitvorstehern, wie auch der ganzen in Gott vereinigten Gesellschaft der Harmonie zu Theil.“

Dieses Schreiben war angefüllt mit bitteren Klagen über den Despotismus und die Gottlosigkeit der Gewaltigen und Herrscher dieser Welt, welche keine Herrschaft Gottes und seiner ewigen Rathschläge über sich anerkennen wollten, wie über die Verwilderung der Völker und den Verfall der wahren Kirche etc. und spricht die Ansicht Proli’s aus, daß Amerika das Land sei, wohin sich alle wahren Kinder Gottes vor dem drohenden Verderben retten müßten; daß auch der Gesalbte Gottes (Proli), der vergeblich seine prophetische Stimme in Europa erhoben, sich dorthin begeben müsse, um die zwölf Stämme Jakob’s sammt allen Confessionen in Mittel- und Südamerika zu sammeln und mit einem Heere von einhundertvierundvierzigtausend christlichen Streitern nach Europa zurückzukehren, die Herrschaft der Antichristen zu stürzen und den Thron des neuen Jerusalem aufzurichten. Dieses Schreiben gelangte auch wirklich in die Rapp’sche Colonie nach Economy und wurde günstig aufgenommen. In der Rückantwort wurden einige Bedingungen der Aufnahme gestellt, die der Prophet annehmbar fand.

Im folgenden Jahre starb der sehr tolerante Großherzog Ludwig der Erste von Hessen, und auf ihn folgte sein Sohn Ludwig der Zweite, unter welchem die Maßregeln strenger wurden. Denn wenn wir nicht irren, noch in demselben Jahre kam der Befehl von Darmstadt, den Propheten und seinen Anhang mit Hülfe der bewaffneten Macht gefänglich einzuziehen. Der Prophet hielt eben nach beendigter Mittagstafel seine Siesta in seinem Cabinet, als eine der Priesterinnen durch die Baumgruppen des Parks eine Compagnie Soldaten von der Offenbacher Garnison unter Führung eines Hauptmannes anrücken sah, die sofort das Landgut nach allen Richtungen besetzte. Sogleich rief dieselbe die übrigen Glaubensschwestern herbei, die darüber nicht wenig erschrocken waren. Auch Dr. Göntgen gesellte sich dazu und diese stürzten in das Cabinet, um den Propheten zu wecken.

Dieser erhob sich voll scheinbarer Ruhe und Würde und sprach den Seinen biblischen Trost zu. Nicht lange darauf kamen der Landrath von Offenbach, ein Regierungscommissär von Darmstadt und ein Brigadier mit Gensd’armen die Treppe herauf. Aber zu den zitternden Glaubensschwestern gewendet, sagte der Prophet, dem es durchaus nicht an Muth fehlte: „Meine Stunde ist noch nicht ‘kommen!“ und ging den Ankommenden mit vieler Gravität entgegen. Diese zeigten den Verhaftsbefehl vor im Namen „des Großherzogs von Hessen und bei Rhein“.

„Was Großherzog von Hessen,“ versetzte der Prophet mit Nachdruck „es steht keine Macht auf Erden über mir,“ fügte er mit himmelwärts gerichteten Blicken hinzu.

Als aber der Regierungscommissär auf der Verhaftung bestand, gerieth der Prophet in heiligen Zorn und rief: „Wie sie – die Knechte des Herodes und Pilatus, es wagen könnten, das heilige Gebiet Gottes und seines Gesalbten zu betreten; sie sollten sich entfernen, oder es würden andere Mächte gegen sie aufgerufen.“

Nun nahm auch der Commissär eine drohende Miene an, worauf der ergrimmte Prophet den Augenblick wahrnahm, einem Gensd‘armen den Säbel zu entreißen und damit auf den Regierungscommissär einzudringen. Allein die bewaffnete Macht sprang dazwischen und entwand ihm den Säbel. Es entstand ein ungeheurer Tumult im Hause und Proli wurde überwältigt. Andere Bewaffnete folgten dem Geheimsecretär Dr. Göntgen, der sich in das Zimmer begeben hatte, wo die Kanzlei des himmlischen Reiches sich befand. Im Augenblick, wo die Bewaffneten eintraten, soll Dr. Göntgen, wie man gesagt hat, mehrere Actenstücke verschluckt haben, um keine Beweismittel in die Hände der Verfolger fallen zu lassen. Sofort wurde Dr. Göntgen auf die Wache gefangen weggeführt. Proli aber erhielt merkwürdiger Weise nur

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Georg Rapp (1757–1847); deutscher Pietistenführer
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_345.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)