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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ein zeitgemäßer Schritt zur deutschen Einheit.


Jeder weiß und sagt es gelegentlich, und der Herausgeber der Gartenlaube hat es mit großen Lettern auf seinem Comptoir angeschlagen: Zeit ist Geld. Aber wir wissen diese Quelle des Reichthums, des wirklichen und geistigen Wohlstandes immer noch nicht recht zu benutzen und verwüsten durch allerhand unwirthschaftliche Sitten und Gebräuche und ohne unsere persönliche Schuld wegen mangelhafter Zeitmessung jährlich wohl viele Tausende von Thalern in der versteckten Form des Zufrüh- und Zuspätkommens. Daran sind wir nur insofern schuld, als wir den Werth der Pünktlichkeit noch nicht zu schätzen wissen, aber unschuldig, weil auch unsere besten Uhren nicht nur an verschiedenen Orten, sondern auch in derselben Stadt mehr oder weniger bedeutend von einander abweichen. Es handelt sich dabei oft nur um wenige Minuten, aber wenn man diese zusammenzählt und jedem Geschäftsmanne und jedem Eisenbahnreisenden eine Jahresrechnung daraus zusammenstellt, kommt schon ein ziemlich ansehnliches verlorenes Capital heraus.

Es ist höchste Zeit, uns gegen diese Verluste zu sichern. Das Hauptmittel dagegen ist jedenfalls eine richtige Zeitmessung, eine oder mehrere Normaluhren in jeder Stadt, auf jeder Eisenbahnstation, an allen wichtigen Geschäftsplätzen, so daß auch kleinere Ortschaften und Dörfer ihre Uhren danach stellen können. Was ist aber richtige Zeit? Was eine Normaluhr? Wir wollen diese Fragen so leicht und praktisch wie möglich beantworten und dabei auf die betreffenden vollkommensten Einrichtungen in England hinweisen.

Wir entlehnen bekanntlich unsere Zeiteintheilung aus den scheinbaren Ortsveränderungen der Sonne, welche dieselbe in Folge wirklicher Bewegungen unserer Erde am Himmel zeigt. Diese Bewegungen sind doppelter Art. Erstens dreht sich die Erde wie ein Kreisel um seine Achse, und zweitens bewegt sie sich in einer großen, nahezu kreisförmigen Bahn um die Sonne. In Folge der ersten Bewegung sehen wir die Sonne täglich im Osten auf- und, nachdem sie einen großen Bogen am Himmel beschrieben hat, im Westen wieder untergehen. Die Zeit, welche zwischen den beiden Zeitpunkten verfließt, wo die Sonne in jenem Bogen am höchsten steht, nennen wir einen Tag und theilen ihn in vierundzwanzig gleiche Theile, die wir Stunden nennen. In Folge der zweiten Bewegung unserer Erde scheint die Sonne ebenfalls am Himmel fortzurücken, aber viel langsamer und fast gerade nach der entgegengesetzten Richtung, als sie es bei der täglichen Bewegung thut. Die Zeit nun, welche verfließt, damit die Sonne in Folge dieser zweiten Bewegung wieder an dieselbe Stelle des Himmels gelangt, nennen wir ein Jahr. Während jedoch die tägliche Umdrehung der Erde um ihre Achse zu jeder Tageszeit stets genau mit gleicher Geschwindigkeit erfolgt, so ist dies bei der jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne in den verschiedenen Jahreszeiten nicht der Fall. Die Folge davon ist, daß das kleine Stückchen Weges, welches die Sonne täglich in der nahezu entgegengesetzten Richtung ihrer täglichen Bewegung am Himmel zurücklegt, in verschiedenen Zeiten des Jahres verschieden groß ist. Aus diesem Grunde kann nun auch der Zeitraum zwischen zwei höchsten Stellungen der Sonne nicht zu allen Zeiten des Jahres derselbe sein.

Um den Einfluß dieses Unterschiedes aufzuheben, hat man im Gegensatz zu der oben erwähnten wahren Zeit eine sogenannte mittlere Zeit eingeführt, bei welcher die Dauer des Tages durch die Zwischenzeit zweier aufeinanderfolgender höchster Stellungen der Sonne unter der Annahme bestimmt wird, daß die scheinbare jährliche Bewegung der Sonne eine gleichförmige sei. Hierdurch wird also das oben erwähnte Stückchen Weg, um welches die Sonne täglich im entgegengesetzten Sinne ihrer täglichen Bewegung am Himmel fortrückt, als gleich und von mittlerer Größe des wirklichen vorausgesetzt, so daß eine nach mittlerer Zeit richtig gehende Taschen- oder Wanduhr zu verschiedenen Zeiten des Jahres einer Sonnenuhr entweder vor- oder nachgehen muß. So gehen z. B. im Februar alle mittleren Uhren den Sonnenuhren fast um eine Viertelstunde nach, im November über sechszehn Minuten vor. Deshalb enthalten auch in der Regel die Kalender eine Tabelle, welche die Größe dieses Unterschiedes für alle Tage des Jahres, als sogenannte Zeitgleichung, angiebt und dazu dient, die Uhren nach einer richtig aufgestellten Sonnenuhr stets auf mittlere Zeit zu stellen.

Die Sonne legt während eines Tages ihren scheinbaren Lauf am Himmel wie ein großer Sonnenuhrzeiger von Osten nach Westen zurück. Je weiter östlich also ein Ort liegt, desto eher geht sie für denselben auf, desto eher wird es Mittag und Abend etc. Es können folglich nicht alle Orte auf der Erde dieselbe Zeit haben, sondern nur diejenigen, für welche die Sonne in ihrem täglichen Bogen am Himmel genau um dieselbe Zeit des Mittags am höchsten steht. Denken wir uns alle Orte, für welche dies der Fall ist, durch Linien miteinander verbunden, so sind dies die sogenannten Meridiane oder Mittagslinien. Es sind große Kreise auf der Erdkugel und gehen durch beide Pole derselben, wie man dies auf einem jeden Globus verzeichnet findet. Alle Orte, welche in derselben Mittagslinie liegen, müssen demnach gleiche sogenannte Orts- oder locale Zeit haben.

Will man nun für ein größeres Land an allen Orten dieselbe Zeit einführen, so muß man sich zunächst darüber vereinigen, für welche Mittagslinie dieselbe gelten solle. So hat man in England für diesen Zweck die Mittagslinie gewählt, welche durch die berühmte Sternwarte in Greenwich geht; die Franzosen haben den Meridian von Paris gewählt; und die Deutschen?

Ja, das weiß ich nicht. Ich glaube wirklich, sie haben noch nicht einmal in Bezug auf ihre Zeitmessung einen Einheitspunkt gefunden, so daß man sich nicht wundern kann, warum sie in Münze, Maß und Gewicht noch in der größten Anarchie leben. Was unsere Zeitmesser betrifft, so kann man selbst durch den großen, geraden Längengrad der norddeutschen Hauptstadt, die Friedrichstraße von Berlin, hindurch gehen und an zehn bis zwanzig öffentlich ausgestellten Chronometern der Uhrmacher studiren, daß nicht zwei genau miteinander übereinstimmen. Von den Eisenbahnuhren heißt es nur im Allgemeinen, daß sie absichtlich etwas nachgehen, um den Reisenden Gelegenheit zu geben, jedesmal mit Verwüstung von so und so viel Minuten für jeden Einzelnen noch zu rechter Zeit zu kommen. Diese Zeitverluste zusammengerechnet geben wohl für diese Stadt allein täglich ein paar Hundert verlorene Stunden. Wie viele im Jahre und in ganz Deutschland?

Es wäre interessant, diese Verluste von allen einzelnen Eisenbahnstationen in ganz Deutschland nach Stunden, Tagen und Jahren zusammenzurechnen und, da Zeit Geld ist, dieses Deficit in Thalern auszudrücken. Wir würden sicherlich davor erschrecken, selbst wenn man nur den niedrigsten Tageslohn zu Grunde legte.

Da wir in unseren Sternwarten und den vielen Tausenden von Meilen elektrischer Drähte bereits die Mittel haben, diese Verwüstung von kostbarer Zeit zu sparen und einheitliche, richtige Zeitmessung ein- und durchzuführen, so würden wir im Schrecken vor dieser Verschwendung, zu welcher jeder gebildete Mensch unwillkürlich mehr oder weniger große Summen beitragen muß, gewiß nicht länger anstehen, das in England am vollkommensten durchgeführte System einheitlicher, richtiger Chronometrie auf deutschen Boden zu verpflanzen. Dieses System besteht wesentlich in folgenden Einrichtungen. In der Sternwarte von Greenwich weiß man zu jeder Tages- und Nachtzeit stets mit der größten wissenschaftlichen Genauigkeit bis auf den kleinsten Theil einer Secunde, welche Zeit es nach der Sonne und den Sternen und wie groß der Unterschied zwischen der Sonnen- und der richtigen mittleren Zeit ist. Die Wunder von Instrumenten und Einrichtungen dafür würden, beschrieben, eines der interessantesten und dicksten Bücher füllen. Wir wollen hier nur so kurz wie möglich angeben, auf welche Weise die richtige Greenwich-Mittelzeit von hier aus regelmäßig und genau bis auf die Secunde nach allen Theilen des Landes angezeigt und verbreitet wird. Die populärste Zeittelegraphie besteht in einer großen Kugel, welche allemal punkt ein Uhr mehrere Fuß tief auf der Spitze des Sternwartenthurmes an einem eisernen Stabe herabfällt. Die Kugel ist an hellen Tagen Tausenden von Schiffen auf der Themse und in den Docks und Millionen von Menschen sichtbar. Aber Nebel und Entfernung machen diese Mahnung oft ziemlich unbrauchbar, so daß die Sache nur noch wie eine Spielerei gelten kann.

Die Pulse der Zeitschläge gehen von hier aus in regelmäßigen Zuckungen und in vielen Tausenden von elektrischen Adern durch das ganze Land. Die berühmte Uhr der Greenwich-Sternwarte, welche immer bis auf die Secunde genau die richtige chronometrische Mittelzeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_350.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)