Seite:Die Gartenlaube (1867) 354.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

alten, an welchen sie das männliche Brustbild, Hellwig’s Vater, hing. Es blickte jetzt einsam hernieder, während die Wittwe den Stuhl verließ und, das weibliche Portrait in der Hand, aus dem Zimmer ging. … Felicitas’ gespanntes Ohr folgte ihren Schritten durch die Hausflur, über die erste Treppe – sie stieg immer höher in dem widerhallenden Treppenhause – wahrscheinlich bis in den Bodenraum.

Sie hatte die Thür nicht völlig hinter sich geschlossen, und als ihr letzter Schritt droben verhallt war, da erschien Heinrich’s scheues Gesicht in der Spalte.

„Na, da haben wir’s, Friederike!“ rief er mit gedämpfter Stimme, der man aber den Schrecken anhörte, in die Flur zurück. „Es war richtig der sel’gen Frau Commerzienräthin ihr Bild!“

Die alte Köchin riß die Thüre weiter auf und sah herein.

„Ach, du meine Güte, wirklich!“ rief sie, die Hände zusammenschlagend. „Herr Je, wenn das die stolze Frau wüßte, die drehte sich in der Erde um – und der sel’ge Herr erst! … Na, sie war aber auch zu schrecklich angezogen – so bloß auf der Brust – ein Christenmensch mußte sich schämen!“

„Meinst Du?“ entgegnete Heinrich, schlau mit den Augen blinzelnd. „Ich will Dir ‘was sagen, Friederike,“ fuhr er fort, und legte abzählend den Zeigefinger der Rechten gegen den linken Daumen. „Die alte Frau Commerzienräthin hat’s durchaus nicht leiden wollen, daß unser Herr die ‚Madame‘ genommen hat – das kann ihr die Madame zum Ersten nicht vergessen. Zum Zweiten war sie eine fidele Frau, die gern’ was mitmachte und am liebsten da war, wo lustig aufgespielt wurde, und zum Dritten – hat sie unsere Madame einmal eine herzlose Betschwester geschimpft. … Merkst Du was?“

Während Heinrich’s Beweisführung war Felicitas aus ihrem Versteck hervorgekommen. Das Kind fühlte instinctmäßig, daß es an dem rauhen, aber grundgutmüthigen alten Burschen von nun an die einzige Stütze im Hause haben werde. Er hatte sie sehr lieb, und seinen stets wachsamen Augen dankte es die Kleine hauptsächlich, daß sie bis dahin in glücklicher Unwissenheit über ihre Vergangenheit geblieben war.

„Na, Fee’chen, da bist Du ja!“ sagte er freundlich und nahm ihre kleine Hand fest in seine schwielige Rechte. „Ich hab’ Dich schon in allen Ecken gesucht. … Komm mit ‘nüber in die Gesindestube; denn hier wirst Du nun doch nicht mehr gelitten, armes Ding! … wenn gar die alten Bilder fortmüssen, nachher –“

Er seufzte und drückte die Thür zu; Friederike war bereits eilig in die Küche zurückgekehrt, denn man hörte die Schritte der herabsteigenden Frau Hellwig.

Felicitas sah sich scheu um in der Hausflur – sie war leer; da, wo der Sarg gestanden hatte, lagen zertretene Blumen und Blätter am Boden.

„Wo ist der Onkel?“ fragte sie flüsternd, indem sie sich widerstandslos von Heinrich nach der Gesindestube führen ließ.

„Nu, sie haben ihn fortgetragen; aber Du weißt ja doch, Kindchen, er ist nun im Himmel – da hat er’s gut, besser als auf der Erde,“ antwortete Heinrich wehmüthig.

Er nahm seine Mütze vom Nagel und ging fort, um einen Auftrag in der Stadt zu besorgen.

In der Gesindestube herrschte bereits starke Dämmerung. Seit Heinrich’s Weggang kniete Felicitas auf der Holzbank, die unter den eng vergitterten Fenstern weglief, und blickte unablässig in das Stückchen dunkelnden Himmels droben über den Giebelhäusern der schmalen, steilen Gasse, wo ja der Onkel nun sein sollte… Sie fuhr erschrocken zusammen, als Friederike mit der Küchenlampe eintrat. Die alte Köchin stellte einen Teller mit Butterbrod auf den Tisch.

„Komm’ her, Kind, und iß – da ist Dein Abendbrod!“ sagte sie.

Die Kleine kam näher, aber sie rührte das Essen nicht an; sie griff nach ihrer Schiefertafel, die Heinrich aus des Onkels Zimmer herübergebracht hatte, und fing an zu schreiben. Da kamen hastige Schritte durch die anstoßende Küche, und gleich darauf steckte Nathanael seinen blonden Kopf durch die offene Thür. Felicitas zitterte, denn er war stets sehr ungezogen, wenn er sich mit ihr allein sah.

„Ah, da sitzt ja Jungfer Fee!“ rief er in einem Ton, den Felicitas so sehr an ihm fürchtete. „Hör’mal, Du ungezogenes Ding, wo hast Du denn die ganze Zeit über gesteckt?“

„In der grünen Stube,“ antwortete sie, ohne aufzublicken.

„Du, das probire nicht noch einmal!“ sagte er drohend. „Da hinein gehörst Du jetzt nicht mehr, hat die Mama gesagt … Was schreibst Du denn da?“

„Meine Arbeit für Herrn Richter.“

„So – für Herrn Richter,“ wiederholte er und wischte dabei mit einer raschen Bewegung das Geschriebene von der Tafel. „Also Du bildest Dir ein, Mama wäre so dumm, die theuren Privatstunden noch für Dich zu bezahlen? … Sie wird sich hüten. Das ist Alles vorbei, hat sie gesagt… Du kannst nun wieder dahin gehen, wo Du hergekommen bist – nachher wirst Du das, was Deine Mutter war, und dann machen sie es mit Dir auch so“ – er legte die Hände gegen die Wange, machte die Pantomime des Schießens und schrie: „Puff!“

Die Kleine sah ihn mit weitgeöffneten Augen an. Er sprach von ihrem Mütterchen – das war ja noch nie geschehen, aber was er sagte, klang so unverständlich.

„Du kennst doch meine Mama gar nicht!“ sagte sie halb fragend und ungewiß; es schien, als ob sie den Athem anhielte.

„O, ich weiß viel mehr von ihr, als Du!“ erwiderte er und setzte nach einer Pause hinzu, während sein Blick heimtückisch unter der gesenkten Stirn hervorschielte: „Gelt, Du weißt noch nicht einmal, was Deine Eltern waren?“

Die Kleine schüttelte das Köpfchen mit einer lieblich unschuldigen Bewegung, aber zugleich hefteten sich ihre Augen wie ängstlich flehend an seine Lippen – sie kannte die Art und Weise des Knaben viel zu gut, um nicht zu wissen, daß jetzt etwas kommen müsse, was ihr wehe thun sollte.

„Spielersleute waren sie!“ schrie er mit hämischer Betonung. „Weißt Du, solche Leute, wie wir sie auf dem Vogelschießen gesehen haben – sie machen Kunststücke, Purzelbäume und solches Zeug und gehen nachher mit dem Teller herum und betteln.“

Die Schiefertafel fiel auf den Boden und zerbrach in kleine Stücken. Felicitas war aufgesprungen und stürzte wie toll an dem verblüfften Knaben vorüber hinaus in die Küche.

„Er lügt, gelt, er lügt, Friederike?“ rief sie in schneidenden Tönen und faßte den Arm der Köchin.

„Das kann ich gerade nicht sagen, aber übertrieben hat er,“ entgegnete Friederike, deren hartes Herz bei Anblick des furchtbar aufgeregten Kindes ein menschliches Rühren empfand. „Gebettelt haben sie nicht; freilich – das ist wahr – Spielersleute sind sie gewesen –“

„Und sehr schlechte Kunststücke haben sie gemacht!“ ergänzte Nathanael, indem er an den Heerd trat und forschend in Felicitas’ Gesicht sah – sie weinte ja noch nicht; ja, sie sah ihn so ‚unverschämt wild‘ an mit ihren heißen, funkelnden Augen, daß er in eine förmliche Wuth gerieth.

„Gräuliche Kunststücke haben sie gemacht!“ wiederholte er. „Deine Mutter hat Gott, den Herrn, versucht und deshalb kommt sie auch nie in den Himmel, sagt die Mama.“

„Sie ist ja gar nicht gestorben!“ stieß Felicitas hervor. Ihr kleiner, blasser Mund zuckte fieberisch, und ihre Hand umschloß krampfhaft die Rockfalten der Köchin.

„O, freilich, Du dummes Ding, längst, längst – der sel’ge Papa hat Dir’s nur nicht gesagt… Drüben im Rathhaussaal ist sie bei einem Kunststück von den Soldaten erschossen worden.“

Das gequälte Kind stieß ein herzzerreißendes Jammergeschrei aus; Friederike hatte bei Nathanael’s letzten Worten bestätigend mit dem Kopf genickt – er hatte also nicht gelogen.

In diesem Augenblick kehrte Heinrich von seinem Ausgang zurück. Nathanael machte sich aus dem Staube, als die breitschultrige Gestalt des Hausknechtes auf der Schwelle erschien… Heimtückische Naturen haben stets eine unüberwindliche Scheu vor einem geraden, ehrlichen Gesicht. Auch der Köchin schlug das Gewissen – sie hantirte emsig bei ihrem Heerd.

Felicitas schrie nicht mehr. Sie hatte die hochgehobenen, verschränkten Arme gegen die Wand geworfen und ihre Stirn darauf gepreßt, aber man hörte, wie sie gegen ein heftiges Schluchzen ankämpfte.

Der durchdringende Schrei des Kindes war bis in die Hausflur gedrungen, Heinrich hatte ihn gehört; er sah noch, wie Nathanael hinter der Zimmerthür verschwand, und wußte sogleich, daß hier irgend eine Bosheit verübt worden war. Ohne ein Wort zu sagen, drehte er die Kleine von der Wand weg und hob das

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_354.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)