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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Pästum, die Harmlosigkeit des Gemüthes und wir sehnten uns doppelt nach dem so reizend und lockend daliegenden Inselchen, das bei allen andern gerühmten Schönheiten auch den Vorzug haben sollte, „von Briganten frei zu sein“. Ein Morgen – schön und herrlich, wie jeder dort verlebte – fand uns, d. h. außer meiner Frau noch drei Landsleute, die in Rom mit uns zusammengetroffen waren, ein älteres rüstiges und reiselustiges Ehepaar und einen jungen Künstler, auf dem Wege zur Santa Lucia, von wo das Dampfschiff irgend einer Gesellschaft wöchentlich zweimal die angegebene Tour machen sollte. Eilend, um zur festgesetzten Zeit einzutreffen, wurden wir durch die zum Dampfer überführenden Bootsleute in herkömmlicher und nicht zu umgehender Weise erst geprellt und dann an Bord gebracht. Das Dampfschiff war klein und miserabel, seine Unsauberkeit und Untüchtigkeit hätte uns zurückgeschreckt, wenn man dergleichen Eigenthümlichkeiten nicht als dem Lande besonders charakteristisch bereits kennen gelernt hätte und schnell daran gewöhnt worden wäre.

Auch mit der Pünktlichkeit war es schlecht bestellt; erst nach zweistündigem Warten fuhr unser Fahrzeug ab, um uns durch das azurblaue Wasser dem Ziele entgegenzutragen. Obgleich der Golf von Neapel ein ziemlich geschlossenes Wasserbecken bildet und nur einzelne Oeffnungen zwischen den vorliegenden Inseln die offene See erblicken lassen, gab es doch große, sogenannte todte oder Grundwellen, die im Vereine mit den kurzen stoßenden Schlägen des Schaufelrades die Fahrt weniger angenehm machten, als wohl Jeder erwartet hatte. Bald saßen die Meisten der Reisegesellschaft still und mit ziemlich offen ausgesprochenem Unbehagen auf dem Deck. Nach etwa drei Stunden langsamen Schaukelns hielten wir nahe dem höchsten Theile der Insel, welche mit Ausnahme zweier Landungsstellen als steile, unzugängliche Felsenmasse aus dem Meere steigt. Das Schiff wurde von einer Anzahl sehr kleiner Boote umringt, die auf die Ankunft desselben gewartet, um die Reisenden nach der blauen Grotte zu führen. Hier zeigte sich recht, wie weit die Antipathie gegen die schaukelnde Bewegung vorgeschritten, denn eine Anzahl der Passagiere, die zum Theil der blauen Grotte wegen die ganze Fahrt unternommen, behaupteten hartnäckig, daß die Grotte ihnen sehr gleichgültig sei und sie auf keinen Fall von ihrem Sitze gehen würden. Freilich war es nicht leicht, aus dem schaukelnden Dampfer in die am Lande auf und ab hüpfenden Nußschalen zu steigen, die eben groß genug waren, um außer dem Schiffer zwei bis drei Mann aufzunehmen, und die oft recht maliciös in dem Augenblicke, wo die Fußspitze sie berührte, einige Fuß tiefer sanken, um gleich darauf mit Kraft gegen den tastenden Fuß anzuspringen. Nach einigen Versuchen gelang es doch den von entschiedenem Willen Beseelten in ein solches Fahrzeug zu kommen, und bald darauf tanzte eine kleine Flotte der gegenüberliegenden Felsenwand zu, in der dicht über dem Wasser eine winzige Oeffnung sichtbar wurde. Diese bezeichnete man uns als Eingang zur Grotte. An dem Loche angekommen, sah ich nicht ein, wie unser Fahrzeug durch die kleine Oeffnung dringen sollte, indessen es waren vor uns schon einige Boote darin verschwunden, und so legten wir uns, unser Schicksal dem Schiffer überlassend, auf dessen Geheiß platt auf den Boden und befanden uns plötzlich, von einem Wellenschlage durch die enge Pforte gedrückt, in der wundervollen Zaubergrotte.

„Bei Allem was schön ist, kommt herein, denn wenn nichts in der Grotte ist, als das himmlische Wasser, bleibt sie dennoch ein Wunder der Welt!“ Seit August Kopisch im ersten Augenblick seiner Entdeckung der blauen Grotte den zaghaften Begleitern diese Worte zugerufen – das war im Sommer 1826 –, ist das „Wunder der Welt“ fast ebenso oft geschildert wie besucht worden. Aber so wenig der Gast Neapels, wenn es ihm irgend möglich, die Fahrt nach Capri und zu seiner geheimnißvollen Herrlichkeit versäumt, so wenig mag der Leser, wenn ihm von Capri erzählt wird, eine Beschreibung der blauen Grotte missen. Diesem Verlangen wollen wir, wenn auch nur in der Kürze, zu entsprechen suchen.

Wer die enge Einfahrt hinter sich hat, sieht, sobald das Auge sich an die Dämmerung gewöhnt, sich in einer Höhle, die etwas über hundert Fuß lang, nicht völlig so breit und bis zum höchsten Theile der sehr ungleichen Wölbung etwas über dreißig Fuß über dem Wasserspiegel hoch ist; die Tiefe des Wassers beträgt etwa fünfzig Fuß. An den Hintergrund der Grotte schließt sich eine Fortsetzung der Tropfsteinhöhlen an, die mit einem Gang in Verbindung zu stehen scheinen, welchen man für ein Werk des Tiberius hält und der zu dem Schlosse hinaufgeführt haben mag, welches jener Kaiser oben auf dem Fels sich gebaut hatte. Aber nicht dies, sondern der Azurhauch, mit welchem Alles in der Grotte übergossen ist, hat ihr den Namen und ihre Weltberühmtheit gegeben. Kopisch erzählt von seinem zweiten Besuch, der an einem Abend geschah: „Die Grotte war, da die Abendsonne an den Eingang schien, weit mehr erhellt, als an jenem ersten Morgen, und ihre vielzackige Wölbung zeigte sich in voller Farbenpracht, wo sie heller war, leicht gespiegelt von dem himmelklaren Wasser. Ich ließ die Ruder einziehen; da ruhte das friedliche Element beinahe völlig, man hätte es für den blauen Himmel selbst ansehen können, wären nicht oft silberne Tropfen von der Decke herabgefallen, die es, melodisch tönend und blaue Funken stiebend, mit einem anmuthigen Spiel von wallenden Ringen geschmückt hätten. Dagegen erschienen Schaaren kleiner Fischchen, sonst bunt wie Colibris, hier wie schwarze Schwalben, die in dem Himmel unter mir umherflogen.“ Endlich sah Kopisch die fast gelbbraunen Pfeiler, welche das Höhlengewölbe tragen, bis hinab zum Boden und erkannte nun, daß an der westlichen Wand diese Pfeiler nicht weit hinunterreichen, sondern nur gleichsam in’s Wasser hineinhängen, so daß sie unter dem Wasser nach dem äußern viel tiefern Meer hin eine ungeheuere Oeffnung bilden, ja bei längerem Hinblicken erkannte Kopisch ganz genau das ganze unterseeische Thor zu dem nach außen schroff abschüssigen Abgrund des Meeres, und damit hatte das ganze Farbenwunder seine Erklärung gefunden. Durch dieses Thor nehmen die Lichtstrahlen ihren Weg, und da das Wasser die Beleuchtung in die Grotte fortsetzt, während ihm selbst das tiefere Meer zum dunkeln Hintergrund dient, so muß es als ein erleuchtetes Mittlere, gleich der Luft des Himmels am Tage, nothwendig blau erscheinen und ebenso blaues Licht verbreiten. Ebendeshalb nimmt das Blau auch nach dem Innern der Grotte hin allmählich ab und geht in ein stumpferes Grüngrau über, bis wo die Brandung an den bunten Saum der Felsen anschlägt und das empfangene Licht brillant vielfarbig zurückwirft. –

Gelegentlich eines andern, bei ziemlich heftigem Sturm gewagten Besuchs erzählt Kopisch von sich und seinen Gefährten, daß sie diesmal (wie dies auch bei der Entdeckung geschehen war) wieder in die Höhle schwimmend, mit hohler Woge hineingeschlüpft, jubelnd und jauchzend in dem himmelblauen Aufruhr sich tummelten und daß all’ ihre Rufe des Entzückens vom Donner der Brandung überhallt worden seien. „Das Schauspiel, welches sich unsern Blicken darbot,“ so schreibt er, „war einzig. Zuweilen kamen die Wogen so hohl an, daß sie das unterseeische Thor aufthaten und das Tageslicht unter dem Felsen durchschimmern ließen. Dann war die Brandung im Innern der Grotte furchtbar schön, denn wenn sie anschlug, war Thor und Eingang schon wieder geschlossen, und sie schlug über, wie eine mächtige blaue Lohe, wozu der zerstiebende Schaum sich wie Rauch gehabte. Kam die Woge jedoch voll an, so schoß ein voller silberner Strahl bogenförmig zum Eingang herein und zerstob mit blauem Feuerregen auf dem innen tobenden Gewässer, das ein Geroll von Millionen Edelsteinen darstellte.“

Von so wilder Naturromantik war unser Anblick der Grottenherrlichkeit wohl frei, aber dennoch war der Eindruck des im herrlichsten Blau strahlenden Felsengewölbes mit seinen vielen wunderlichen und geheimnißvollen Nischen und Ecken über uns und der blauen klaren Fluth unter uns ein so gewaltiger, wie die reichste Phantasie ihn nicht hervorbringen könnte. Die Außenwelt war plötzlich vergessen und schweigend gab sich Jedes dem fremden Eindrucke und seinen Gedanken hin. In diese beschauliche Stille sprang und plätscherte ein junger Deutscher, der, einer der ersten in der Grotte angelangt, sich den Genuß eines eigenthümlichen Bades, uns Andern ein prächtiges Schauspiel verschaffte, denn der badende Körper erschien als lebendig gewordene mit hellblauem Oxyd bedeckte Bronzestatue und gewährte in der That eine wahre Augenweide.

Nur zu bald mußten wir uns von dem Orte, an dem nur noch die Bewegung des Wassers an die organische Natur erinnerte, trennen; die Bootführer mahnten zur Umkehr und wir erhielten nach einigen Versuchen von den im Eingange spielenden Wellen die Erlaubniß den Himmel über uns zu sehen und nach dem Schiffe zurückzukehren. Das Besteigen desselben bot wieder einige Schwierigkeiten, doch war es leichter als vorhin das Aussteigen. Am Bord saß die zurückgebliebene Gesellschaft in übelster Stimmung; länger als eine halbe Stunde hatten die Aermsten das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_359.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)