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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

einförmige Schaukeln dulden müssen, ohne durch den Gedanken, dem Ziele näher zu rücken, gehoben zu werden, und es war nicht zu verwundern, daß die Gesichter länger und blässer aussahen. Endlich war Alles an Bord beisammen und das Schiff ging längs der Insel dem etwa noch zehn Minuten entfernten Landungsplatze Capri entgegen. Bald fiel der Anker, Boote kamen vom Lande und Jedes eilte seine Habseligkeiten und sich selbst einem derselben anzuvertrauen, um baldmöglichst auf dem Lande zu stehen. Die Entfernung war gering, ein paar Dutzend Ruderschläge genügten, um diesen letzten Wunsch zu erfüllen und uns in die Mitte der am Strande aufgestellten Bevölkerung, meistens aus Frauen und Kindern bestehend, zu bringen. Als das vor uns fahrende Boot sich dem Lande näherte, stürzte plötzlich die am Ufer versammelte Menge durch das flache Wasser ihm entgegen und es entstand ein fürchterliches Gewühl, das Getöse und Geschrei erschallte lauter und lauter und unmöglich war aus dem damit verbundenen Stoßen, Zerren und Balgen eine friedliche Absicht zu lesen, bis der erste Knäuel sich entwickelt hatte.

In denselben Tumult hinein mußte auch unser Boot, und nur zwei Schritt vom Lande entfernt genossen wir den gleichen Angriff, waren aber nunmehr durch die Erkenntniß beruhigt, daß derselbe nur bezweckte, uns und unsere Reiseeffecten durch die letzten vier Fuß Wasser zu bringen. Zu unsrer Schande muß ich gestehen, daß die Mehrzahl von uns mit dem durch die Fahrt hervorgebrachten Mißbehagen in diesem Eifer eine höchst niederträchtige Frechheit sah, und so wurde es den armen Leuten herzlich sauer gemacht, eine Reisetasche oder einen Schirm zu erhaschen, ja gegen den Versuch die ganze Person auf den Armen an’s Land zu tragen wurde energisch, wiewohl nicht immer mit Erfolg, protestirt. In dem blinden Bestreben einige Centesimi – hier noch Bajocchi genannt – zu verdienen, faßten wohl zehnmal junge Mädchenarme die Beine unseres wohlbeleibten Reisegefährten, der, um sich vor einem Bade zu retten, schließlich seinen Koffer andern Händen preisgeben mußte. Während dieses mit steigender Erregung geführten Kampfes schob eine, wie es schien, officielle Frau eine rohe Bank gegen den Kahn und auf dieser Brücke balancirte denn der noch nicht hinweggeschleppte oder gesprungene Theil der Gesellschaft an das Land. Nachdem den vielseitigen Ansprüchen für die verschiedenen Handgriffe und unliebsamen Hülfeleistungen so gut als möglich genügt war, denn ganz ist der italienische Ruf „zu wenig“ kaum zu stillen, war es uns noch nicht vergönnt frei zu athmen. Kinder und Frauen hielten uns Muscheln vor die Augen, Pferde wurden vorgeführt und angepriesen, Führer drängten sich dazwischen, kurz, Alles, was über diesen Punkt je erzählt wurde, wiederholte sich und verfolgte uns, bis wir am ersten auf dem Treppenwege nach dem Orte Capri gelegenen Gasthause anlangten und dort durch den Wirth von der Begleitung unter Anwendung derber Mittel befreit wurden. Die übrige Reisegesellschaft verließ noch an demselben Tage mit demselben Schiffe die Insel, selbst unser Ehepaar war durch Fahrt und Empfang so mitgenommen, daß sie dem schönsten Stückchen Erde nach ein paar Stunden mißvergnügt den Rücken kehrten. Wir blieben nur zu Dreien zurück und nie werde ich vergessen, was die Natur auf dem kleinen Raume Schönes und Herrliches zusammengetragen und uns in lieblichen und gewaltigen Formen vor Augen geführt hat. Die Leute, die im ersten Begegnen rücksichtslose Zudringlichkeit zeigten, wurden bei weiterem Verkehr harmlose, gute und fast uneigennützige Menschen, und als nach einigen Tagen das Dampfschiff wieder erschien und die Bevölkerung zum Empfange der neuen Gäste dem Landungsplatze zustürzte, befand ich mich mitten in der munteren Jagd, schaute den Ueberfall von der andern Seite, und fand ihn so interessant und lustig, daß mir die Lehre, „man müsse jede Sache von zwei Seiten ansehen,“ niemals wahrer erschien und ich versuchte den Eindruck bildlich festzuhalten.

Bald war unsere Zeit um. Nach acht Tagen, in glücklichem beschaulichen Leben verflogen, kehrten wir nach Neapel zurück und ich verließ den liebgewonnenen Ort mit dem innigen Wunsche, es möge mir vergönnt sein noch einmal dort zu landen können.




Deutsch-amerikanische Lebensläufe.
Von Adolf Douai.
2. Ein Schauspieler.

„Nun muß der Pfarrer erzählen,“ schlug Einer aus der Gesellschaft vor, nachdem der Kaufmann geendet, und alle Augen waren auf S.… gerichtet, einen beliebten Schauspieler der Stadt, von dem allbekannt war, daß er Theologie studirt hatte und sogar Geistlicher gewesen war.

„Meint Ihr mich?“ sagte S. phlegmatisch. „Aber mein Lebenslauf hier zu Lande ist nicht der eines Pfarrers gewesen, sondern eher alles Andere. Und wenn ich alle tollen Streiche hier erzählen sollte, die mir gespielt worden sind und die ich Anderen gespielt habe, so kämen heute Abend die noch übrigen Erzähler nicht an die Reihe.“

„Immer heraus damit!“ rief’s im Chore. „Und wenn die morgende Sonne darüber aufgehen sollte!“

„Nun denn, Ihr habt’s gewollt. Die Folgen habt Ihr Euch selber zuzuschreiben. Ich will’s also nur gestehen, ich bin ein Pfaffe gewesen und in der deutsch-katholischen Bewegung diesem Handwerke, das seinen güldenen Boden hat, abtrünnig worden. Als ich in Amerika landete, überlegte ich einen Augenblick, ob ich in eine kirchliche Anstellung zurückkehren sollte. Ich wäre natürlich mit offenen Armen von der Klerisei aufgenommen worden; denn – Ihr wißt – es ist mehr Freude im Himmel über ein verlorenes Schaf, das zur Hürde zurückkehrt, als über neunundneunzig, die nicht verloren gegangen. Schließlich aber siegte in mir die Leidenschaft zur Hungerleiderei, die vertrackte Ehrlichkeit.

Das Erste, was ich that, um Verdienst und Brod zu suchen, war, daß ich die Zeitungen durchstöberte, um Arbeit zu finden. Da war nichts, was für mich paßte. Nur ganz am Ende las ich eine Anzeige, die meine Aufmerksamkeit erregte. Sie lautete: ‚Gesucht werden eine Anzahl Hunde und Katzen, das Stück zu einem bis anderthalb Dollars da und da‘. Vermuthlich – dachte ich bei mir selbst – ein Arzt, der physiologische Experimente an Thieren anstellt. Dem Manne kann geholfen werden.

Ich hatte mich mit noch einem Seereisegefährten bei einem Bekannten eingenistet, der ein paar Jahre früher eingewandert war und ein elendes Dachstübchen im deutschen Viertel bewohnte. Er hatte keine andere Schlafstelle für uns, als die Dielen, auf welchen wir, in unsere Decken eingewickelt und mit Sorglosigkeit und gutem Gewissen zugedeckt, auch ganz leidlich die erste Nacht geschlafen hatten. Wir gingen also aus, um auf Hunde und Katzen Jagd zu machen. Wir sahen nun wohl auch Hunde und Katzen genug auf den Straßen und hatten uns mit Wurst und dergleichen versorgt, um sie hinter uns her in einen unbeachteten Winkel zu locken, aber es war, als hätten diese Bestien die Absicht gemerkt und wären verstimmt geworden. Ein einziger Köter lief uns nach, den wir aber nicht wollten; denn es war ein räudiger Hund, dem Alles aus dem Wege ging. Ganz spät des Abends erst, beim Nachhausegehen, begegneten wir einem Herren, hinter dem ein hübscher Affenpinscher hertrollte. So flink stürzt sich der Teufel nicht auf eine ihm verfallene Seele, wie ich mich auf das arglose Thier, das ich mit einer mir selbst unbegreiflichen Gewandtheit in den bereit gehaltenen Sack prakticirte, mit welchem ich rasch um die nächste Ecke verschwand. Nach Hause gelangt, sperrten wir das Thier in unsers Gastfreundes Zimmer und kletterten aus einem Fenster des Hinterhauses auf ein benachbartes Dach, wo wir die Stimmen von Katzen gehört hatten. Es war eine lange Flucht von Dächern, welche hier aneinander stießen, und da gerade die Zeit war, wo auch die Katzen ein menschliches Rühren, den Gram der Liebe und die Sehnsucht nach Anerkennung durch ihres Gleichen, fühlen und darüber weder hören noch sehen, so hatten wir bald vier Katzen erobert und in unser Zimmer eingesperrt. Ein ermuthigender Anfang eines neuen Lebenslaufs! Wir legten uns auf die Dielen nieder – unser Gastfreund, ein Schriftsetzer, pflegte erst um Mitternacht nach Hause zu kommen. Die fünf eingesperrten Thiere hockten, ängstlich und jammervoll quikend, in allen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_360.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)