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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ecken. Wir hatten uns vorgenommen, bis zur Nachhausekunft des Gastfreundes wach zu bleiben, damit die Thiere nicht entwischten, wenn er hereinträte. Aber ach! Die lange Jagd hatte uns ermüdet, und trotz aller Schnurren und spaßigen Erzählungen, mit denen wir uns wach zu erhalten versuchten, waren wir bald genug eingeschlafen. Wir erwachten über einem heidnischen Lärm, der im Zimmer entstand. Der Gastfreund war nach Hause gekommen und bei Oeffnung der Thür war die ganze Katzen- und Hundegesellschaft, von deren Anwesenheit er sich nicht das Mindeste träumen ließ, ihm zwischen die Beine und zur Thür hinaus gerannt. Und nun lag er der Länge nach im Zimmer – er hatte einen schweren Fall gethan, zum Glück mit dem Kopfe mir auf den Leib. Er tobte und fluchte und wir jammerten über die fünfmal einen bis anderthalb Dollars, welche uns entwischt waren.

Endlich hatte er Licht angebrannt und wir ihm den Vorfall erklärt. Indeß er sich nun brummend schlafen legte, suchten wir, die Lampe in der Hand, jeden Winkel des Hauses ab, wo sich die Flüchtlinge versteckt haben möchten. O, sie rächten sich an uns, die Bestien, für die unrechtmäßige Art, mit der wir sie uns angeeignet hatten! Glücklicherweise waren die Hausthür und alle Fenster auf den Fluren geschlossen, so daß sie nicht entwischen konnten; aber sie hetzten uns wohl zwei lange Stunden hinter sich her, treppauf, treppab, vier Stockwerke hindurch, ehe wir sie alle wieder hatten. Wir waren barfuß oder in Strümpfen, schon um bei der wilden Jagd die Hausgenossen nicht zu wecken, und so biß der Pinscher uns Beide derb in die Beine, ehe wir ihn in den Sack stecken konnten. Die Katzen zerkratzten uns Hände und Gesicht – es war ein unentgeltlicher Aderlaß, den wir uns aber doch noch lieber gefallen lassen wollten, als einen Aderlaß am Beutel. In dieses Augenblickes Höllenqualen gelobte ich mir’s heilig, nie wieder zu stehlen, meine Herren, nie wieder, und wäre es auch blos Regenschirme oder anderes halb herrenloses Gut.“

„Nun,“ unterbrach hier ein Vorwitziger „und habt Ihr ihn denn gehalten, diesen heiligen Schwur? Ihr wißt ja, der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“

„Pst! pst!“ riefen viele Stimmen. „S. braucht keinen Beichtvater.“

Der Erzähler aber nahm eine Miene an, deren gewichtiger Ernst ungemein lächerlich zu der tiefausgeprägten Komik aller seiner Gesichtszüge stand. „Ich halte es mit Jean Jacques Rousseau und mache aus meinen Sünden kein Hehl; dafür pflege ich aber auch nicht etwa mein Licht unter den Scheffel zu stellen. Auf der Bühne gebe ich mich für das, was in der Rolle steht, überall sonst für das, was ich bin. Nein, dies war mein einziger Diebstahl im Leben, obschon ich Vieles Diebstahl nennen muß, was die Welt ehrlichen Erwerb nennt. Kurz, die Bestien waren endlich wieder eingefangen und am Morgen früh trugen wir sie an die angezeigte Stelle. Es war bei einem Apotheker.

‚Was zum Henker!‘ empfing er uns, ‚immer noch mehr Hunde und Katzen? Einhundert und elf Stück habe ich schon gestern und heute annehmen und bezahlen müssen. Ich halte mich nicht länger für verpflichtet, die mir angebotenen Thiere zu kaufen, da ich blos einige gesucht habe.‘

Wir legten uns auf’s Bitten und sagten, wir hätten kein Geld und nichts zu essen.

‚Das haben sie Alle gesagt, die mir welche gebracht haben. Wo soll denn am Ende das Geld bei mir herkommen? Die Futterkosten allein zehren ja den ganzen Ertrag meiner Apotheke auf. Ich werde ohnehin einige der wenigst werthvollen wieder in Freiheit setzen müssen.‘

Wir erzählten ihm unser Abenteuer der letzten Nacht.

Am Ende gab er uns Jedem einen Thaler als Schmerzensgeld und für unsere Mühe und bat uns, unsere Thiere nur wieder mitzunehmen, ohne sie nur angesehen zu haben. Vor der Thür setzten wir die Katzen wieder in Freiheit; aber den Hund behielten wir, als ein schönes Exemplar, um ihn anderweit zu verkaufen.

Wir postirten uns an die Ecke des Broadway und der Broomestraße, den Hund unterm Arme, und redeten jeden Vorübergehenden in unserem besten Englisch an: ‚Kaufen Sie einem Hund, mein Herr, meine Dame? Wir lassen es billig aus Noth, das treue Thier!‘

Stundenlang hatten wir so dagestanden, Niemand antwortete uns. Einigen schien der Hund offenbar zu gefallen, aber dann mochten sie sich mit einem Blick auf uns überzeugen, daß wir ihn gestohlen haben müßten, und sie gingen trotz aller unserer Bitten kaltsinnig weiter. Das Wetter war rauh, wir zitterten vor Frost und wollten schon nach Hause gehen, als ein Angloamerikaner auf uns zutrat und sagte: ‚Euern Hund mag ich nicht; aber wenn Ihr versteht, einen kranken Hund zu curiren – ich habe einen daheim.‘

‚Ich curire ihn,‘ rief ich zuversichtlich, ‚mag ihm fehlen, was da will.‘

‚So kommt mit!‘ sagte er und führte uns eine kurze Strecke, bis wir in seiner Wohnung, einem kostbar eingerichteten Privathause, ankamen. Im Erdgeschoß, neben der Küche, lag ein mächtiger Neufundländer auf einem Polster. Er war offenbar vergiftet und ich gerieth auf den gescheidten Einfall, aus der nächsten Apotheke ein derbes Brechpulver herbeizuholen. Aber als ich damit zurückkam, war es bereits zu spät. Wir quälten uns vergebens, ihm den eingerührten Wundertrank beizubringen – er starb unter unsern Händen.

‚Was bin ich Euch schuldig?‘ fragte der Amerikaner.

‚Zwei Dollars dem Manne,‘ sagte ich kühn und nahm eine doppelt wichtige Miene an.

‚Ich will Euch was sagen,‘ entgegnete er kurz, ‚ich gebe Jedem von Euch einen Dollar, aber dafür schafft Ihr mir den todten Hund aus dem Hause und der Stadt.‘

Am Ende willigten wir ein, das Verlangte für diesen Preis zu thun. Wir erbaten und erhielten noch einen alten Sack, steckten die Hundeleiche hinein und verließen das Haus.

Das Thier war schwer und die Frage war, wie wir die Bürde am schnellsten los werden könnten. Auch dafür war bald Rath gefunden.

‚Soweit ist es also mit mir gekommen,‘ seufzte ich, ‚daß ich todte Hunde begraben muß! Das dachte wohl mein Vater nicht, als er von früh auf mir’s einprägte: Junge, Du mußt einmal Generalsuperintendent werden.‘

‚Unsinn,‘ versetzte mein Camerad, der schon mehr Feuer- und Wasserproben des Schicksals bestanden hatte, freilich nicht ohne die Spuren davon in einer verdächtig rothen Nase zu behalten. ‚Was meinst Du, wenn wir ein Geschäft ganz neuer Art hier am Platze errichteten?‘

‚Und das wäre –?‘

‚Du weißt doch, Du Grasgrüner (‚Grüne‘ heißen die Neulinge im Lande), was ein Undertaker ist?‘

‚Ein Leichenbestatter, der alle mit einem Begräbniß verbundenen Geschäfte besorgt.‘

‚Richtig. Wir wollen also ein Undertakergeschäft für todte Hunde, Katzen, Pferde, Kanarienvögel und Papageien errichten. Wir werden ungeheuren Zulauf haben, denn wieviel Tausend solche Hausthiere segnen nicht in einer so großen Stadt alle Jahre das Zeitliche und die Eigenthümer wissen nicht, wohin sie mit der sterblichen Hülle ihrer Lieblinge sollen. Wir aber wissen es, wir machen Guano davon, der Centner vierzig Dollars werth, und lassen uns außerdem die Wegschaffungsgebühren theuer bezahlen.‘

‚Weißt Du was,‘ rief ich ärgerlich, ‚hier hast Du gleich den Hund. Mache Guano daraus, soviel Du willst. Ich habe meine Hälfte davon weit genug getragen.‘ Und ich warf ihm das Bündel in die zum Gesticuliren erhobenen Arme.

‚Und da denkst Du wohl,‘ rief er mit hochkomischem Pathos, ‚ich soll meine Hälfte tragen bis an’s Ende der Welt oder bis die Guanofabrik fertig ist? Du irrst, paß’ auf, was Erfindungsgeist vermag!‘

Wir waren an der Ecke der Bowery angelangt. Ein Milchmann fuhr mit leerem Wagen hurtig heimwärts. Wie der Blitz hatte mein Gefährte das Bündel in den Wagen hineingeworfen und ging davon triumphirenden Blickes. ‚So rasch,‘ sagte er, ‚kann man in Amerika einen Dollar verdienen.‘

Der Milchmann aber mußte den Fall des Bündels auf den Boden seines Wagens gehört haben. Ohne im Fahren innezuhalten, drehte er sich langsam mit dem Oberleibe um, erblickte das Bündel und – fuhr mit verdoppelter Geschwindigkeit davon.

‚Siehst Du,‘ sagte mein Gefährte, ‚nebenbei habe ich noch einen Menschen glücklich gemacht. Der brave Kerl meint gewiß Wunder, was für eine Bescheerung ihm da geworden ist.‘

‚Und wenn er den todten Hund findet?‘ sagte ich mit vor krampfhaftem Lachen unterbrochener Stimme.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_361.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)