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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

in diesem Moment die schwarzbewimperten Lider und ein Paar brauner, leuchtender Augen wurde sichtbar. Sie zeugten von einer Seele, die sich nicht überwunden gab, die sich nicht hatte beugen lassen zu widerstandsloser Duldung; es lag Kraft und Opposition in diesem Blick – rollte doch auch polnisches Blut in den Adern dieses jungen Geschöpfes, ein versprengter Tropfen jenes edlen, heißen Stromes, der sich immer wieder erhebt zu erfolglosem Kampfe gegen die Uebermacht.

Wir wissen jetzt, daß das an der Thür stehende junge Mädchen Felicitas ist, wenn sie auch nothgedrungen auf den simplen Namen Caroline hört – den „Komödiantennamen“ hatte Frau Hellwig sofort bei Beginn ihrer Selbstherrschaft „zu dem Theaterplunder in der Dachkammer geworfen“.

Felicitas näherte sich der Herrin des Hauses und legte ein bewunderungswürdig gesticktes Battisttaschentuch auf den Nähtisch derselben. Die Regierungsräthin griff hastig danach.

„Soll das auch verkauft werden zum Besten der Missionscasse, Tante?“ fragte sie, während sie das Tuch entfaltete und die Stickerei prüfte.

„Je nun, freilich,“ versetzte Frau Hellwig; „Caroline hat es ja zu diesem Zweck arbeiten müssen – sie hat lange genug damit getrödelt. Ich denke, drei Thaler wird es doch wohl werth sein.“

„Vielleicht,“ meinte die Regierungsräthin achselzuckend. „Woher haben Sie denn die Zeichnung zu den Ecken, liebes Kind?“

Ein leises Roth stieg in Felicitas’ Gesicht. „Ich habe sie selbst entworfen,“ antwortete sie mit leiser Stimme.

Die junge Wittwe sah rasch auf. Ihr blaues Auge veränderte sich für einen Moment – es schillerte fast in’s Grünliche.

„So, selbst entworfen?“ wiederholte sie langsam. „Nehmen Sie mir’s nicht übel, Kindchen, aber das ist eine Kühnheit, die ich mit dem besten Willen nicht fasse. Wie kann man nur so etwas wagen ohne die erforderlichen Kenntnisse! … Das ist echter Battist, der Tante kostet dies Stück mindestens einen Thaler – es ist verdorben durch die stümperhafte Zeichnung.“

Frau Hellwig fuhr heftig empor.

„Ach, sei nicht böse auf Caroline, liebe Tante, sie hat es gewiß nur gut gemeint,“ bat begütigend mit sanfter Stimme die junge Dame. „Vielleicht läßt es sich doch noch verwerthen… Sehen Sie, liebes Kind, ich habe mich grundsätzlich nie mit Zeichnen abgegeben, der Stift in der weiblichen Hand gefällt mir nicht, aber nichtsdestoweniger habe ich ein sehr, sehr scharfes Auge für eine fehlerhafte Zeichnung… Gott im Himmel, was ist das für ein monströses Blatt hier!“

Sie zeigte auf ein längliches Blatt, dessen Spitze umgebogen war und das sich in täuschenden Umrissen abhob von dem durchsichtigen Gewebe. Felicitas erwiderte kein Wort, doch sie preßte die zarten Lippen aufeinander und sah fest in das Gesicht der Tadlerin… Die Regierungsräthin wandte sich hastig ab und legte die Rechte über die Augen.

„Ach, liebes Kind, jetzt hatten Sie wieder einmal Ihren stechenden Blick!“ klagte sie. „Es schickt sich wirklich nicht für ein junges Mädchen in Ihren Verhältnissen, Andere so herausfordernd anzusehen. Denken Sie nur an das, was Ihnen Ihr wahrer Freund, unser guter Secretär Wellner, immer sagt; ‚Hübsch demüthig, liebe Caroline!‘ … Sehen Sie, da haben Sie nun gleich wieder einen verächtlichen Zug um den Mund – das könnte Einen beinahe ärgern! … Wollen Sie sich denn wirklich auf die Romantische spielen und das Anerbieten dieses Ehrenmannes hartnäckig zurückweisen, weil – Sie ihn nicht lieben? … Lächerlich! Da wird schließlich mein Vetter Johannes doch einen Machtspruch thun müssen!“

Wie mußte sich das junge Mädchen in der Selbstbeherrschung geübt haben! Bei den letzten Worten der Regierungsräthin fuhr sie empor; man sah, wie ihr das rebellische Blut nach dem Kopfe stürmte; das plötzlich hoch empor gerichtete Haupt erhielt für einen Augenblick etwas Dämonisches durch den Ausdruck des Hasses und der Verachtung. Dennoch sagte sie gleich darauf ruhig und kalt: „Ich werde es darauf ankommen lassen.“

„Wie oft soll ich Dich denn noch bitten, Adele, diesen widerwärtigen Handel nicht mehr zu berühren!“ sagte Frau Hellwig erbittert. „Bildest Du Dir denn ein, in wenig Wochen diesen Starrkopf, dieses Stück Holz zu brechen, nachdem ich’s neun Jahre umsonst versucht habe? Sobald Johannes kommt, wird die Sache ein Ende nehmen, und ich mache meine drei Kreuze… Jetzt geh’ und hole mir Hut und Mantille,“ herrschte sie Felicitas zu. „Ich hoffe zu Gott, daß diese Stümperei,“ sie warf das Taschentuch verächtlich bei Seite, „die letzte ist, die Du Dir in meinem Dienste hast zu Schulden kommen lassen!“

Felicitas ging schweigend hinaus. Bald darauf schritten Frau Hellwig und ihr Gast über den Marktplatz. Die schöne Frau führte ihr krankes Kind mütterlich zärtlich an der Hand. Verschiedene Köpfe fuhren aus den Fenstern und sahen der reizenden Erscheinung nach, die für Alle ein sanftes, kinderfrohes Lächeln hatte. Rosa, ihr Dienstmädchen, und Friederike folgten mit Körben am Arm; das Abendbrod sollte draußen im Garten gegessen werden, zugleich wollte man Kränze und Guirlanden binden. Morgen wurde der junge Professor nach neunjähriger Abwesenheit im Elternhause erwartet, und obgleich Frau Hellwig über die „Alfanzereien“ brummte, ließ es sich die Regierungsräthin doch nicht nehmen, das Zimmer des Ankömmlings zum Willkommen zu schmücken.


(Fortsetzung folgt.)




Die Dorfsibylle.


Ich hörte, der Winzer, bei dem ich in der Nähe Dresdens wohne, sei bei einer Somnambule gewesen, um sich Rath und Hülfe für seine kranke Frau zu holen. Ich ließ ihn herauf kommen, und er mußte mir erzählen.

„Glauben Sie denn an das Zeug, das Ihnen die Frau vorschwatzte?“ frug ich.

„Ei ja,“ erwiderte der Mann ernsthaft, „wenn man nicht dran glaubt, hilft’s auch nichts, und die Schlafende merkt auch gleich den Ungläubigen heraus.“

„Was hat sie Ihnen denn gesagt?“

„Nun, erst hielt sie eine Predigt so schön, wie sie nur der Prediger auf der Kanzel halten kann, und dann sprach sie von den Welthändeln, daß die Türken noch in diesem Jahre nach Deutschland kommen, aber an der Elbe geschlagen würden, und daß die Pferde bis an die Fesseln im Blut waten, und die Kinder an die Hausthüren genagelt würden.“

„Welche Mittel gab sie Ihnen für Ihre Frau?“

„Ja, das darf ich Niemand sagen, sonst hilft’s nichts.“

„Und wo wohnt die Wahrsagerin?“

„Sie fahren mit der Bahn bis Meißen, dann müssen Sie zu Fuße durch das T..…sch-Thal, und auf dem S……berg wohnt sie, das Haus zeigt Ihnen jedes Kind. Sonntags, Dienstags und Freitags hat sie ihre Stunden. Doch Sonntags bin ich nicht dort gewesen, dann ist es immer so voll, in der Woche ist’s besser – aber sie ist auch viel auf Reisen und wird meilenweit geholt.“ –

Die Schwindlerin fing an mich zu interessiren, und ich beschloß, ihr ebenfalls eine Visite abzustatten. Ich hatte nach einem tüchtigen Marsche das erwähnte Thal hinter mir und frug, in einem öden Dorfe angekommen, einen Jungen nach dem S……berg. „Sie wollen wohl zur Schlafenden?“ „Gewiß!“ „Dann gehen Sie nur den Leuten dort nach, die wollen auch hin.“ – Vor mir schritten fünf Männer, die ich binnen Kurzem erreichte und alsbald in ein Gespräch verwickelte. Der Eine von ihnen ging besonders bereitwillig auf meine Fragen und Bemerkungen ein, die Andern verhielten sich schweigend, wie Bauern, die sie waren, zu thun pflegen, da selbst das vorsichtigste Ausholen sie mißtrauisch macht. Aber jener Eine war vorurtheilsfreier, er schien mir seines Handwerks ein sogenanntes Pfuschergenie zu sein, das Uhren reparirt, Bäume oculirt, Fensterscheiben einzieht, in Blech und Messing arbeitet und überall aushilft, wo es an dem betreffenden sonstigen Fachmanne fehlt.

„Ja gewiß, gnädiger Herr,“ (so betitelte er mich) „das ist eine ganz besonders merkwürdige Frau,“ gab er mir zur Antwort und dabei blieb er stehen und stampfte zur Bekräftigung seinen braunpolirten Stock tief in die lehmige Erde, „ganz wunderbar merkwürdig, sage ich Ihnen! Denken Sie nicht, weil Unsereins ein gemeiner Mann

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_374.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)