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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

junge Mädchen hob sie vom Boden auf und nahm sie auf den Arm.

„Thun die Leute nicht, als ob morgen eine Copulation im Hause wäre,“ sagte Heinrich halblaut und geärgert, „und derweile kömmt Einer, der nicht rechts, noch links sieht und den ganzen Tag ein Gesicht macht, als ob er Essig verschluckt hätte.“ … Er hob das eine Ende der Guirlande auf. „Gucke da, Blümelein Vergißmeinnicht ist auch drin … na, die das Dings da gebunden hat, die wird schon wissen warum. … Aber, Feechen,“ unterbrach er sich ärgerlich, als er sah, daß das Kind seine Wange an Felicitas’ Gesicht legte, „thue mir doch den einzigen Gefallen und nimm das kleine Scheusälchen nicht immer auf den Arm – es hat ja keinen gesunden Tropfen Blut im Leibe, und vielleicht steckt’s doch an.“

Felicitas legte rasch die Linke um die kleine Gestalt und drückte sie voll tiefen Erbarmens an ihre Brust. Das Kind fürchtete sich vor Heinrich’s feindseligem Blick und versteckte sein häßliches Gesichtchen, man sah nur den kleinen Lockenkopf, und so war das junge Mädchen mit dem Kind auf dem Arm in diesem Augenblick das schönste Madonnenbild.

Sie war eben im Begriff, unwillig zu antworten, als die bekränzte Thür aufging, sie mochte nur angelehnt gewesen sein, denn langsam und allmählich fiel sie zurück und ließ die Draußenstehenden in’s Zimmer sehen. Es war in der That, als solle eine junge Braut ihren Einzug halten, auf dem Sims des einzigen Fensters da drin standen Vasen voll Blumen, und die Regierungsräthin hatte eben eine lange Guirlande in zierlichen Festons über den Schreibtisch gehangen. Sie trat zurück, um das Werk ihrer Hände von fern zu betrachten, dabei wandte sie den Kopf und erblickte die draußen stehende Gruppe. Vielleicht mißfiel ihr die Madonnenähnlichkeit, sie runzelte mißmuthig die feinen Brauen, rief ihr Dienstmädchen herbei, das mit dem Staubtuch über die Möbel fuhr, und zeigte nach der Thür.

„Wirst Du denn gleich ‘runtergehen, Aennchen,“ schalt Rosa herauseilend, „Du sollst Dich ja von Niemand auf den Arm nehmen lassen, hat die Mama gesagt… Die gnädige Frau sieht es gar nicht gern,“ sagte sie schnippisch zu Felicitas, während sie die Kleine nahm und auf den Boden stellte, „wenn Aennchen zu allen Leuten geht und sich küssen und hätscheln läßt – es sei nicht gesund, meint sie.“

Sie führte das bitterlich weinende Kind in’s Zimmer und schloß die Thür.

„Ei, Du heiliges Kreuz, ist das ein Volk!“ knirschte Heinrich, indem er die Treppen hinabstieg. „Siehst Du, das hast Du nun von Deinem guten Willen, Feechen! … Solche Leute denken, ihre Krankheiten sind ebenso vornehm, wie sie selber, und man muß Gott danken, wenn man mit seinen gesunden Händen ihre elenden Leiber anrühren darf.“

Felicitas schritt schweigend neben ihm. Als sie die Hausflur betraten, rollte draußen ein Wagen über den Marktplatz und hielt vor dem Hause. Ehe Heinrich die Thür erreichen konnte, wurde sie mit einem kräftigen Ruck geöffnet. Es dämmerte bereits stark in der Flur; man konnte nur an den Umrissen erkennen, daß es eine gedrungene Männergestalt war, welche auf die Schwelle trat. Mit wenigen, raschen Schritten stand der Herr vor der Thür des Wohnzimmers, die von innen aufgemacht wurde. Ein Ausruf der Ueberraschung von Frau Hellwig’s Lippen, und die trockenen Worte: „Ei, Du bist unpünktlich geworden, Johannes, wir erwarteten Dich erst morgen!“ schollen heraus, dann wurde die Thür geschlossen, und nur der draußen harrende Wagen und das zurückgebliebene Aroma einer feinen Cigarre bewiesen, daß die Erscheinung wirklich gewesen war.

„Das war er!“ flüsterte Felicitas und legte die Hand auf ihr erschrockenes Herz.

„Nun kann’s losgeh’n!“ brummte Heinrich zu gleicher Zeit, aber er schwieg alsbald wieder und horchte lächelnd nach dem Treppenhause.

Da droben kam es herabgebraust wie die wilde Jagd. Die Regierungsräthin flog förmlich über die Stufen, die blonden Locken flatterten, und das weiße Kleid umwogte die schwebende Gestalt wie eine Wolke. Sie ließ Rosa und das langsam herabpolternde Kind weit hinter sich und stand nach wenigen Augenblicken im Wohnzimmer.

„Gelt, Feechen, nun wissen wir doch auch, warum Blümelein Vergißmeinnicht in der Guirlande steckt?“ lachte Heinrich und ging hinaus, um die Effecten des Ankömmlings in Empfang zu nehmen.


12.

Am anderen Morgen – es war noch ziemlich frühe – benutzte Felicitas einen freien Augenblick und schlüpfte hinauf zu Tante Cordula, um ihr mitzutheilen, daß Heinrich’s Expedition bei der armen Tischlerfamilie geglückt sei. Auf dem Vorplatz des zweiten Stockes kam ihr Heinrich entgegen, er schmunzelte seelenvergnügt und deutete mit dem Daumen über die Schulter zurück nach der Thür, die er gestern bekränzt hatte. Der Blumenschmuck war verschwunden; ein förmlicher Knäuel von Guirlanden lag am Boden, und an der Wand hin reihten sich verschiedene Blumenvasen.

„Hui, das flog ‘runter!“ flüsterte Heinrich. „Eins, zwei, drei, da lag das Blümelein Vergißmeinnicht auf der Erde – ich kam gerade dazu, wie er auf der Leiter stand.“

„Wer?“

„Nun, der Professor… Er machte ein schreckliches Gesicht, ich hatte aber auch das Dings für alle Ewigkeit festgenagelt – er hat fürchterlich reißen und zerren müssen… Aber denke Dir nur, Feechen, er gab mir die Hand, wie ich ihm guten Morgen wünschte – das hat mich doch gewundert.“

Felicitas’ Lippen kräuselten sich – sie war im Begriff, etwas Herbes zu sagen, aber plötzlich huschte sie um die Ecke in den dunklen Corridor; drin im Zimmer hatten sich rasche Schritte der Thür genähert.

Als sie später aus der Mansarde zurückkehrte und die Treppe hinabgehen wollte, da klang die Stimme der Regierungsräthin aus dem ersten Stock herauf, sie sprach in sanft klagenden Tönen – es gab wohl nicht leicht etwas Melodischeres, als das Organ dieser Frau.

„Die armen Blumen!“ klagte sie.

„Wie hast Du mir aber auch das anthun können, Adele!“ antwortete eine männliche Stimme. „Du weißt doch, daß mir dergleichen Verherrlichungen ein Gräuel sind.“

Es war dieselbe kalte Stimme, die einst auf die kleine Fee einen so unausbleiblich schlimmen Eindruck gemacht; nur klang sie tiefer und hatte in diesem Augenblick eine Beimischung tadelnden Verdrusses. Felicitas bog sich über das Geländer und sah scheu, mit angehaltenem Athem hinab. Da schritt er, vorsichtig die kleine Anna an der Hand führend, langsam Stufe um Stufe hinunter! Es lag nichts, auch gar nichts in dieser Erscheinung, was sich hätte in Einklang bringen lassen mit dem Professortitel. Diese Vertreter des Gesammtwissens hatten für das junge Mädchen den Nimbus des Vornehmen und der Erhabenheit; hier aber suchte sie vergebens nach diesen Eigenschaften. Eine kernige, wie es schien, eisenfest zusammengefügte Gestalt mit eckigen Bewegungen und von, wenn auch sicherer, doch nichts weniger als eleganter Haltung, gerade in ihr lag etwas Hartnäckiges, Unverbindliches; man hätte meinen können, dieser Nacken habe sich noch nie, nicht einmal im Gruß gebeugt. Und wie wenig war der Kopf geeignet, diese Meinung zu widerlegen! Er bog einen Moment das Gesicht aufwärts, dies unschöne Gesicht, das einst der Vorstellung des Kindes vom fernen Johanneskopfe so wenig entsprochen, es war nicht wohlwollender geworden in seinem Ausdruck. Ein röthlich blonder, sehr starker, krauser Bart bedeckte das Kinn und den unteren Theil der Wangen und fiel fast bis auf die Brust herab, und zwischen den buschigen Augenbrauen, die in diesem Moment wohl auch noch finsterer zusammengezogen wurden im Verdruß über die übel angebrachte Verherrlichung, lagerte eine tiefe Falte. Allein diese nichts weniger als aristokratisch und einnehmend gebildete Außenseite hatte trotzdem etwas Bedeutendes und zwar durch den unwiderleglichen Ausdruck männlicher Kraft und eines starken Willens.

Und jetzt bog er sich nieder zu der mühsam hinabkletternden Kleinen und nahm sie auf den Arm.

„Komm’ her, mein Kind, es will doch nicht so recht gehen mit den armen Beinchen,“ sagte er. Das klang überraschend mild und mitleidsvoll.

„Es ist aber auch kein Spielerskind, zu dem er spricht,“ dachte Felicitas, und ihr Herz schwoll voll Bitterkeit.

Die Morgenstunden wurden sehr geräuschvoll für das stille

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_388.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)