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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Des Handwerksburschen Toilette vor der Stadt.
Nach dem Oelbilde von A. Karst.

Haus; die Glocke an der Hausthür hörte fast nicht auf, zu klingeln. Es gab auch in dieser kleinen Stadt, so gut wie in jeder anderen, Leute genug, die ihre Alltagsgesichter gar zu gern von der Glorie eines berühmten Mannes mitbeglänzen lassen, ohne zu bedenken, daß gerade dieser Strahl ihr armes Ich unerbittlich beleuchtet. Diese Besuche kamen übrigens für Felicitas sehr erwünscht, denn obgleich sie nichts sehnlicher erhoffte, als eine rasche Entscheidung, so bebte sie doch vor dem ersten Zusammenstoß, und plötzlich fühlte sie, daß sie noch nicht gesammelt und ruhig genug sei – jede Stunde Zeit schien ihr deshalb ein Gewinn. Allein die Machthaber in der Wohnstube hatten jedenfalls den Wunsch, die Katastrophe möglichst rasch in Scene zu setzen, denn kaum nachdem das Mittagsessen abgetragen war, kam Heinrich in die Küche, er betrachtete Felicitas’ Anzug aufmerksam, klopfte ein wenig Mehlstaub von ihrem dunklen Aermel und sagte mit einem etwas unsicheren Blick: „Da am Ohr ist der Zopf ein wenig aufgegangen, Feechen – das steck’ erst fest, der da drin darf so etwas nicht sehen, das weißt Du… Du sollst nämlich gleich ‘nüber in dem sel’gen Herrn sein Zimmer kommen – dort sind sie … na, na, wer wird denn gleich so erschrecken – bist ja kreideweiß geworden. Tapfer, Feechen – den Kopf kann er Dir doch nicht abreißen!“

Felicitas öffnete die Thür und trat leise in das ehemalige Zimmer des Onkels. Noch lag es schneebleich vor ihren Lippen und Wangen, dadurch erschien aber auch ihr Gesicht für den Augenblick fast geisterhaft still und unbeweglich.

Genau wie vor neun Jahren, an jenem stürmischen Morgen, saß Frau Hellwig im Lehnstuhl, nahe dem Fenster. Neben ihr, den Rücken nach der Thür gewendet und die gefalteten Hände rückwärts gekreuzt, stand Er, der dies Geschöpf dort eigenmächtig auf den Weg der Dienstbarkeit gedrängt und nie und nimmer geduldet hatte, daß diese dunkle Linie sich auch nur die kleinste Ausbiegung erlaube, der es stets von weiter Ferne unerbittlich gestraft hatte, ohne zu fragen: „Bist Du auch schuldig?“

Felicitas hatte mit Recht vor dieser ersten Begegnung gezittert, denn jetzt, bei seinem Anblick, fühlte sie, wie Groll und Erbitterung übermächtig in ihr wurden, und doch war ihr Selbstbeherrschung nie nöthiger gewesen, als in diesem entscheidenden Augenblick.

„Da ist Caroline,“ sagte Frau Hellwig.

Der Professor drehte sich um und zeigte ein sehr erstauntes Gesicht. Wahrscheinlich hatte er nie daran gedacht, daß das Spielerskind, welches einst auf derselben Stelle mit dem kleinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_389.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)