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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Der aber, dem der alte Förster diese bunten Geschichten erzählte, ist auch mittlerweile nicht jünger geworden. Gar manchmal ist er über die Wartburg und den Rennstieg hinübergewandert nach der traulichen Stube, sich zu erbauen an der köstlichen Waldeinsamkeit und an den wundersamen Geschichten des Försters, welche dieser mit stets denselben Worten, aber stets neuer Lust vorbrachte. Ein Theil dieser Geschichten ward damals im frischen Eindruck der Gegenwart und möglichst getreu niedergeschrieben und darf wohl als wahr und echt gelten; freilich der gemüthliche Ausdruck der Worte und die behagliche Breite der Thüringer Mundart lassen sich nicht wiedergeben, sowenig als des Graukopfes glänzendes Auge, wenn er von seinem Herzog sprach, der nun schon fast vierzig Jahre todt ist und so viel Liebe hinterlassen hat, um solch ein altes Herz mit jugendlicher Gluth zu beleben. Das kleine Enkelkind, das damals die Freude des Alten war, ist unterdeß wohl ein großes Mädchen geworden; ob der alte Förster noch lebt, weiß der Berichterstatter nicht, der noch nach Jahren für seine stillen einsamen Stunden warmen Dank nachfühlt.

„Ja wohl,“ fuhr der graue Förster fort, „ich habe ihn gekannt, unseren Alten. Er mochte nur Leute um sich leiden, in denen Kern war. Fällt mir da sein Leibjäger ein, der Schnell; von dem könnt’ ich Geschichtchen erzählen und von seinem Herrn; ein närrischer Kerl, ja das war er. Auf eine merkwürdige Art war der Schnell zum Herzog Karl August gekommen. Droben in Salzungen war einmal in den siebziger Jahren eine große Jagd; dazu kamen die Herzöge von Gotha und von Weimar und viele andere große Herren zusammen, die Alle schon lange todt sind. Ueber der Jagd kehren die Herren einmal bei dem Förster Schnell ein und lassen sich’s wohl sein, wurden lustig und der Meininger fragte: ‚Schnell, wieviel Jungen hast Du eigentlich?‘ ‚Ja,‘ sagte der Schnell, ‚so viel, daß ich jedem Herzoge von Sachsen einen zum Leibjäger geben könnte,‘ sagt’ er. Es waren aber damals noch mehr da als jetzt. ‚Es soll ein Wort sein!‘ sagte der Herzog von Weimar und dann der Gothaer und der von Hildburghausen. ‚Gottlob! drei Jungen bin ich jetzt schon los!‘ sprach der Schnell. Die drei sind später auch Leibjäger geworden; der Herzog von Weimar aber hatte den besten bekommen.

Der Schnell war so ungefähr achtzehn Jahre alt und der Herzog zwanzig. Wenn einer ein gescheidter Kerl war und nicht zur unrechten Zeit kam, der durfte sich beim alten Herrn schon was herausnehmen; dafür genirte sich unser Herr auch nicht. Der Schnell war sein Leibjäger, bis er alt wurde und nicht mehr mitmachen konnte. Er verstand sich besonders gut auf das Dressiren der Hunde und Pferde, Karl August aber hatte schöne und kluge Jagdhunde über Alles gern. Wenn der Leibjäger ausritt, so sah es immer aus wie eine Menagerie; zuerst er selbst auf seiner schönen Stute, dann ein großer Wasserhund, dann ein Fohlen, dann ein Hund, dann ein zahmer Hirsch, endlich wieder ein Fohlen und ein Hund. Die liefen alle, eines streng hinter dem Anderen, und wenn eines ein bischen aus der Reihe ging, so brauchte der Schnell nur die Gerte rechts oder links hinauszuhalten, so gab’s gleich Ordnung. Wenn er so durch Berka ritt mit seinen Fohlen und Hunden, so lief ihm die halbe Stadt nach. So führte er sie spazieren in schöner Ordnung, und so ritt er auch in den Schloßhof vor den Herzog. Es war ein närrischer Kerl, der Schnell!

Die Jagd hatte unser alter Herr vor Allem gern; auch kam es ihm nicht drauf an, wer tüchtig schießen konnte, der durfte mit ihm auf die Jagd gehen, und wenn’s ein Bauer war. So hielt er einmal droben im Wald ein großes Kesseltreiben. Die Treiber jagten ihnen das Wild zu, die Leibjäger standen bei den Herrschaften und luden die Büchsen. Es waren viele Hasen im Trieb. Nun stand neben dem Herzog ein Bauer aus Lengefeld, mit einem alten Kuhbein von Gewehr, lud langsam, und wenn ein Hase herbeilief, plautz! schoß der Bauer den Hasen auf hundert Gänge dem Herzog vor der Nase weg. So ging es fünfmal, und der Herzog kam nicht zum Schuß vor dem Bauer. Da drehte sich der Büchsenspanner, der hinter dem Herzog stand, nach dem Bauer zu und winkte ihm, er solle zu schießen aufhören. ‚Was giebt’s?‘ fragte der Herzog. ‚Durchlaucht,‘ sprach der Schnell, ‚der Bauer schießt alle Hasen weg.‘ – ‚Aber er trifft sie! dort liegen sie alle fünf auf einem Haufen, und hat jeder seinen richtigen Purzelbaum gemacht. Schieß Du nur immer fort!‘ So sprach der Herzog.

Als die Jagd zu Ende war, trat er zum Bauer, nahm das Gewehr in die Hand, und sagte: ‚Kerl, Du schießt gut!‘

‚Durchlaucht,‘ sagte der Bauer, ‚mit einem guten Gewehr ist auch gut schießen.‘ Das Gewehr war ein altes Kuhbein mit einem Steinschloß, aber so lang wie der Tisch da. Es ist kein Wunder, meinten die Leute, daß der Kerl auf hundert Gänge trifft, sein Gewehr ist schon fünfzig Gänge lang.

‚Weißt Du was, Bauer,‘ sagte der alte Herr, ‚wir wollen tauschen. Da hast Du meine Büchse für das alte Ding da!‘

‚Durchlaucht,‘ sprach der Bauer, ‚ich möcht’ es nicht gern, ich bin einmal daran gewöhnt, aber wenn Ihr’s so gern habt und es sein muß –‘

‚Dummer Kerl, nichts muß sein. Willst Du Dein Kuhbein behalten, so behalt’s; weil Du aber gut schießt, so will ich Dir meine Büchse dazu schenken, kannst auch immer mit auf die Jagd kommen.‘

So ein Herr, mein’ ich, könnte gar nicht wiederkommen!

Einmal war große Jagd drüben im Werragrund. Jetzt hat man eine Brücke dort gebaut; aber dazumal mußte man durch die Werra oder hinten in Gerstungen über das Wasser. Dort jagte der Herzog gern, weil man das Wild so schön in’s Wasser treiben und darin abfangen konnte. So zog er auch eines Morgens von Wilhelmsthal aus mit vielen Herren vom Hofe bei Gerstungen über die Werrabrücke. Den Tag über war droben hinter Bach ein starkes Gewitter niedergegangen, so daß das Wasser mächtig groß wurde, wie fast noch nie. Da kam ein reitender Bote und meldete dem Herzog, daß drüben in Wilhelmsthal vornehmer Besuch eingetroffen sei, und daß die Herzogin ihn zur Mittagstafel erwarte. Da war guter Rath theuer! Ueber die Gerstunger Brücke, das war ein Umweg stundenweit, und der Herzog wär’ erst spät am Abend heimgekommen. Durch die Werra konnte man sonst wohl durchfahren und durchreiten, aber das Wasser war so wild und hoch, wie es noch niemand erlebt hatte. ‚Und ich muß nach Wilhelmsthal,‘ rief der Herzog zornig, ‚und wenn’s durch die Werra geht!‘

‚Durchlaucht,‘ sagte ein alter Bauer, der dabei stand, ‚durch die Werra könnten wir schon, aber nicht gerade durch, sondern erst steif gegen den Fluß und dann stromab, damit das Wasser die Kalesche nicht umwirft. Aber mit Euren verfluchten Schindmähren kann ich’s nicht,‘ sagt’ er, und wies auf des Herzogs stattliches Gespann.

‚Gut,‘ sprach lachend der Herzog, ‚schaff’ mich nach Wilhelmsthal wie Du willst!‘ Er schnarrte so, wenn er sprach, und sprach kurz und barsch; dabei trug er die Hände auf dem Rücken oder er legte sie vorn über einander und kräbbelte sich so im Aermel. So that er diesmal auch, denn die Zeit wurde ihm lang.

Der Mann kam endlich wieder mit vier prächtigen Hengsten und spannte sie vor die Kalesche. ‚Donner,‘ sagte der Herzog, ‚das sind freilich andere Pferde als meine Schindmähren!‘

Nun fuhren sie fort, der Bauer und der Herzog ganz allein, in Gottes Namen gradaus in die wilde Werra. Dem Herzog wurde es doch ein wenig bange zu Muthe, als die Pferde bis an den Bauch hineinfielen, und das Wasser durch die Räder schoß. Der Bauer hieb wie wüthend auf die vier Hengste, denn es ging gerade gegen den Strom an. Jü! Jü! Jü!

Das Wasser trat zum Kutschenschlag herein, und der Herzog mußte die Beine auf den Sitz heraufziehen. ‚Kerl,‘ sagte er, ‚die Sache geht schlimm!‘

‚Jü! Jü! Jü! Was an Galgen soll, versifft net im Wasser! jü! jü!‘

Jetzt waren sie in der Mitte, und der Bauer drehte rasch um nach dem rechten Ufer und fuhr im rauschenden Fluß stromab. Die Bäuche der vier Hengste und die Räder der Kalesche traten gemach wieder aus dem Wasser, und der Herzog kam glücklich zur rechten Zeit nach Wilhelmsthal.

‚Ich bin doch froh,‘ sagte er, ‚daß ich nicht noch einmal zurück muß.‘ Hat auch dem Bauer nachher einen stattlichen Rappen zu seinen vier Hengsten geschenkt.

Drüben an der Werra ist der alte Herr oft auf der Jagd gewesen, hat in des Försters Haus gewohnt, seine Stube wie hier die, einfache bürgerliche Möbel, hölzerne beschlagene Stühle. Bei ihm war der Schnell, denn wo der Herzog Karl August war, mußte auch der Leibjäger sein. Der Herr wird wohl wissen, wie es dazumal mit der Parforsch-Jagd war. In den älteren Zeiten war mehr Wild in den Wäldern, als heutzutage, so daß einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_394.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)