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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

die Hirsche nachliefen und aus dem Reff fraßen, wenn ich das Grummet heimtrug im Herbste. Dem Herzog mußte der Schnell die Hunde dressiren, dabei gilt es, daß der Leithund dem angeschossenen Thiere nachläuft und nicht von der Fährte abgeht; das verstand der Leibjäger aus dem Grunde den Hunden beizubringen.

So kam er einmal zum Förster in Berka, Ißleib hieß er. ‚Ißleib,‘ sprach er, ‚Du sollst heute Abend einen Hirsch waidwund schießen, daß wir morgen die Hunde auf die Spur bringen können.‘ Nun war zu jener Zeit ein strenges Regiment; die Förster schossen dazumal noch besser als jetzt, wo nur noch Eichhörnchen und Holztauben zu schießen sind; und wenn es hieß, ein Schmalthier soll geliefert werden oder ein Spießer für des Herzogs Küche, so konnte einer kurzerhand fortgeschickt werden, wenn er einen Zehner schickte. Der Ißleib geht also in den Wald und beschleicht einen Bock. Vorsichtig! denkt er, damit er bloß schweißt! zielt bedachtsam, und paff! da liegt der Bock und ist hin. Denn solch ein Thier stürzt schon von einem kleinen Posten, der es an der rechten Stelle trifft, und so geschah es diesmal. Der Förster kommt zum Leibjäger und wehklagt: ‚Schnell, ich hab’ den Bock todtgeschossen. Sag’s dem Herrn, aber daß er nicht böse wird. Auf die Hauptwache mag er mich schicken, nur nicht vom Brod weg.‘

‚Hm,‘ sprach der Schnell, ‚das ist eine ärgerliche Geschichte! Der Herzog wird gewaltig wild werden, wenn er’s erfährt.‘ Geht also hinein: ‚Durchlaucht,‘ spricht er mit so recht kläglicher Stimme und macht sich klein, denn er war ein langer schöner Mann; ‚Durchlaucht, der Ißleib steht draußen und jammert; er hat den Bock todtgeschossen. Aber er ist mit Allem zufrieden, nur sollen Durchlaucht ihm nicht ungnädig werden!‘ Der Herzog machte ein böses Gesicht, stand auf, legte die Hände auf den Rücken und brummte ärgerlich in sich hinein; so ging er in der Stube auf und ab; dann sagte er kurz und rauh: ‚der Ißleib soll morgen besser schießen, sonst geht’s ihm schlecht!‘

Am folgenden Abend geht der Förster wieder auf den Anstand. Nun ist es leicht, einen Hirsch waidwund zu schießen, wenn man nicht will, aber schwer, wenn man’s drauf anlegt. Dort steht nun der Ißleib, aber die Hand zittert ihm vor Angst, und er schießt den zweiten Hirsch richtig auf dem Platz todt.

Der Förster wollte sich die Haare ausraufen. Ich will froh sein, wenn ich mit vier Wochen Hauptwache davonkomme, dachte er. Der Leibjäger wollte nicht daran, es noch einmal dem Herzog zu sagen, aber endlich that er es. Der gnädige Herr ward sehr zornig. ‚Morgen soll sich der Ißleib auf der Hauptwache melden, auf vier Wochen,‘ brömmelte er zornig. ‚Heute aber soll er mir noch einen Hirsch anschießen, aber diesmal!‘

Und der Ißleib ging hinaus, und schoß in der Angst seines Herzens den dritten Hirsch todt.

Jammernd kam er zu dem Leibjäger. ‚Ich geb’ Dir Alles, was ich habe, wenn Du mir Verzeihung schaffst vom gnädigen Herrn; nur fortjagen soll er mich nicht und mir nicht böse werden!‘

‚Bist selber ein armes L–,‘ sagte der Leibjäger, ‚und hast nicht viel zu geben, wenn Du auch Alles zusammennimmst. Das ist eine böse Geschichte, und es ist das letzte Mal, daß ich Dir aus der Patsche helfe, das sage ich Dir, – wenn ich Dir helfen kann.‘

Er ging also hinein zum Herzog, der saß und arbeitete. ‚Durchlaucht,‘ sprach er, und machte den Rücken krumm, und ein weinerliches Gesicht und eine weinerliche Stimme, so erbärmlich, als er sie auftreiben konnte, ‚Durchlaucht, der Ißleib hat wieder Unglück gehabt. Er hat richtig gezielt, aber die Kugel hat sich auf dem Mastdarm verschlagen und ist dem Hirsch durch das Herz gefahren.‘

Der Herzog schwieg lange still und machte grimmige Augen. Dann sagte er:

‚Wenn sich die Kugel auf dem Mastdarm verschlagen hat und durch’s Herz gegangen ist, so kann der Ißleib freilich nichts dafür. Morgen will ich selbst hingehen und mir einen Bock anschießen. Den Hirsch aber schicke ich nach Jena auf die Anatomie und wenn sich die Geschichte mit dem Mastdarm nicht genau so herausstellt, so geht es dem Ißleib nicht gut!‘

Selbigen Abend aber hatte der Förster einen Hirsch richtig waidwund geschossen, und ist nicht einmal auf die Latten gekommen, und war doch nur der Schnell mit seiner Geschichte von dem Mastdarm schuld daran.

Bei Weimar ist ein Dorf, heißt Pfiffelbach. Dort ist ein kleines Fichtenwäldchen, in dem unzählige Raben nisten; mancher Baum trägt seine sechzig bis siebenzig Rabennester. Da wurde denn alle Jahre ein großes Schießen gehalten; der Herzog war dabei und der ganze Hof und was von Besuch bei Hofe war. Ein Theil der Raben wurde weggeschossen, Rabenbulliong gekocht und noch viel mehr Wein getrunken.

So war einmal ein fremder Fürst zu Weimar auf Besuch zu der Zeit, als gerade das Rabenschießen war, und der große Herr war natürlich auch dabei. Bei solcher Gelegenheit lädt nicht der Leibjäger des Herzogs Flinte, sondern er wählt sich sonst einen; der Schnell aber bediente den fremden Fürsten; wer es war, weiß ich nicht mehr.

Als nun die Rabenjagd zu Ende ging, fiel es dem Herrn ein, er müßte seinem Büchsenspanner doch auch ein Douceur geben. Er fragte also seinen Nachbar, einen Herrn vom Hofe auf französisch, was bei solcher Gelegenheit wohl zu geben üblich sei. Der andere sagte, das werde nach Belieben gehalten, ein Laubthaler oder ein Kronenthaler, ein Ducaten oder auch mehr, je nachdem. Der Schnell verstand auch französisch, denn sein Vater war aus Frankreich in den Thüringerwald gekommen; also verstand er Alles, was die zwei mit einander redeten. Nun weiß ich nicht ob der fremde Herr besonders sparsam war, oder ob er blos dazumal dachte: wozu einen Ducaten ausgeben, wenn’s ein Laubthaler auch thut? genug, er zog den Beutel, in dem ein paar Goldstücke blitzten. Aber diese Ecke zog er behutsam zu, holte einen Laubthaler hervor und gab den dem Leibjäger zum Trinkgeld.

Der Schnell zog ein schiefes Gesicht, sagte aber gar nichts, griff in die Westentasche, holte auch einen Laubthaler hervor, und rief laut: ‚Heda, ihr Burschen! Habt euch den ganzen Tag geschunden, da kommt, da habt ihr zwei Laubthaler, dafür trinkt einmal auf meine Gesundheit.‘

Der fremde Herr riß die Augen gewaltig auf und machte selbigen Tag bis zum Abend ein ärgerliches Gesicht. Noch spät ließ der Herzog Karl August seinen Leibjäger kommen. ‚Schnell,‘ sagte er grimmig, und der Zorn sah ihm aus den Augen heraus, ‚was hast Du mir da heute für Dummheiten gemacht? Bist Du nicht ein Flegel, daß Du meinen Besuch so in’s Gesicht zum Narren hast? Was soll der Herr von mir denken, daß ich solch’ einen groben Leibjäger habe? Heut bist Du zum letzten Male mit auf der Jagd gewesen.‘

‚Durchlaucht,‘ sagte der Schnell dagegen, ‚das habe ich Ihnen nicht zur Schande, sondern zur Ehre gethan. Soll der Kerl wohl gar meinen, des Herzogs von Weimar Leibjäger seien so schlecht gehalten, daß man sie mit einem schäbigen Laubthaler abfüttert? Wahrhaftig, Durchlaucht, es ist mein letzter gewesen, nicht einen rothen Mops habe ich mehr im Sack; aber ehe ich mir von so einem einen Laubthaler schenken lasse, als ob ich ein Hungerleider wäre, und nicht Euer Durchlaucht Leibjäger, eher schenke ich das Geld den Jägerburschen.‘

Karl August griff in die Tische, zog einen Louisd’or heraus und sprach recht brummig, aber inwendig freute er sich doch und lachte aus den Augen: ‚Da, Schnell, um Deine zwei Laubthaler sollst Du nicht kommen, aber sei mir nicht mehr so grob gegen meine Gäste.‘

Daß der Herzog Karl August ein lustiger Herr war in seiner Jugend und besonders mit Goethe zusammen manchen lustigen Streich ausführte, ist bekannt, die Gartenlaube selbst hat aus der Ilmenauer Zeit verschiedene seiner Stückchen erzählt. Auch in Berka[1] und Tannroda, zwei reizend gelegenen kleinen Orten, nur zwei Stunden von Weimar entfernt, hielt er sich gern auf, und dort, namentlich im Tannroder Forst, auf einem dazu eigens ausgehauenen Platz, tanzte er oft mit den hübschen Bauermädchen mitten unter seinen Förstern, Bauern und Hofherren.



  1. Berka durch seine vor Nordwind geschützte Lage, seine reizenden Umgebungen, prächtigen Fichten-, Kiefern- und Buchenwälder, ist seitdem ein sehr besuchter Badeort geworden, der besonders von Brust- und Asthmakranken mit großem Erfolg besucht wird. Ringsum von bewaldeten Anhöhen umgeben, liegt der Ort, dessen Anpflanzungen von Goethe herrühren, in einem reizenden Wiesenthale, an dessen einem Ende das Bade-, Cur- und Logirhaus dicht am Walde in geschmackvoller Weise angebaut sind. Berka ist zugleich ein billiges und von Modegästen noch wenig besuchtes Bad.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_395.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)