Seite:Die Gartenlaube (1867) 396.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Diesseits und jenseits der Alpen.
Illustrirte Erinnerungen von L. Löffler.
I.
Zürich. – Rapperschwyl. – Chur. – Thusis. – Via mala. – Der Präsident als Postillon. – Splügen. – Splügenpaß. – Lirathal.– Chiavenna. – Comersee.


Milchverkauf in Chiavenna.

Die Gesellschaftszimmer des Hotel Baur au Lac in Zürich wimmelten von einer bunten Schaar Reisender beiderlei Geschlechts. Elegante Französinnen, nachlässig im Lehnstuhl liegend, conversirten lebhaft mit den anwesenden Landsleuten, blond weißlockige Töchter der grünen Insel blätterten mechanisch in den ausliegenden Albums, und wenige Deutsche, mit und ohne Bart und Haupthaar, zischelten schüchtern in den Ecken. Die Stimmung im Allgemeinen war eine trübselige für den Aufenthalt an dem Ufer des herrlichen See’s, Grund hierzu ein anhaltender dichter Regen. Weder das glänzende Diner noch die rauschende Musik konnten den Humor aus seinem Verstecke locken, und die Absicht einer Aenderung der Verhältnisse äußerte sich in den verschiedensten Mundarten durch den Ausruf: „partir,“ „parting“ – „Abreise.“ Letzterer Sprachlaut war auch der unsrige und am nächsten Morgen schwamm der Dampfer St. Gotthard mit uns durch den grauen Nebel, hinter welchem, nach den Vorspiegelungen des guten Bädeker, die lange Kette der schneebedeckten Alpen, der Hauptreiz der Landschaft liegen sollte. Die zwei Stunden in der öden Wartestube der Eisenbahn zu Rapperschwyl waren nicht geeignet uns der Behauptung „welche Lust gewährt das Reisen!“ zugänglicher zu machen. Erst die Ufer des wunderbaren Wallensee, an dem wir späterhin vorüberfuhren, setzten uns wieder in den Stand uns den Eindrücken der großartigen Natur zu überlassen. Wie ein Opal breitet sich der vier Stunden lange See zwischen den himmelanstrebenden Bergwänden aus, von denen die angeschwellten Gebirgswässer in reicherem Maße und massenhafter als gewöhnlich herabfielen, der einzige Vortheil der uns durch den Regen wurde. Mit den verschiedenen Stationen verändert sich der Charakter des mitreisenden Publicums. Allmählich wird die breite schweizer Sprechweise von dem volltönenden Italienisch unterbrochen, – die bäurischen Gesichtszüge machen intelligenten, schwarzäugigen Südländern Platz und die Sammetjacke fängt an eine Stellung zu gewinnen. Unser Ziel für jenen Tag war Chur, die Hauptstadt Graubündens. Ich kann wohl sagen, daß ich dort auf dem Balcon des Hotels stehend, dem unteren Fenster die Därme geopferter Hühner mit einer gewissen Beruhigung in die dem Rheine zurauschende Plessur entfliegen sah. Sie ließen in mir eine Ahnung des bevorstehenden Diners auftauchen. Dasselbe entsprach, was die Küche betrifft, meinen Erwartungen, nur war bezüglich der Gesellschaft ein junges englisches Ehepaar allzu nachsichtig gegen die Albernheiten des verzogenen Sprößlings, während ein schwarzhaariger Seelsorger desselben Landes die verschiedenen Nationalitäten auf Kosten der Fremden zu erforschen suchte.

Nächtlicher Fischfang mit Harpune am Comer See.

Einer Reise in die Wolken glich die am nächsten frühesten Morgen fortgesetzte Fahrt durch das Rheinthal. Hinauf in die Berge ging es; über Reichenau, wo Louis Philipp im Winter 1793 seine Hauslehrerstelle antrat, – über dumpfdröhnende, von allen Seiten bedeckte Holzbrücken durch Wolken und Gestein nach Thusis. Jupiter pluvius schmollte nicht mehr! Phöbus durfte sein „flammenhufiges Gespann“ schirren. Bald strahlte die Sonne auf unsere frischen munteren Pferde; in offner Chaise, die feuchte kühle Luft einathmend, gelangten wir zwischen die starren Felswände, welche die Via mala bilden. Noch einen Blick thut man zurück. Am Eingang der Schlucht liegt, als gigantischer Hüter derselben, ein Felsblock mit den Resten einer der ältesten Burgen (Hohen-Rhätien), und hinter ihm das sonnige Thusis.

Die schaurige Großartigkeit der Via mala ist hinlänglich beschrieben und besungen, denn oft war sie der Schauplatz weithin klagender Verbrechen und Unglücksfälle.

Als unvermeidlicher Tributabtreiber karrt ein Bursche an der zweiten Rheinbrücke, die ihren Bogen über einen vierhundertachtzig Fuß tiefen Abgrund spannt, schwere große Steinblöcke auf dieselbe und schleudert sie von dort in die Tiefe. Erst nach langer Zeit hört der waghalsige Reisende das Krachen der unten angekommenen.

Wie wohlthuend wirkt auf die einsame Schlucht das Schamser Thal, das sich, mit seinen grünen Matten und weidendem Vieh, hinter derselben ausbreitet. Andeer liegt darin, vor dessen „Hotel Fravi“ wiederum der Pferdewechsel stattfand.

Schweizer Postillone in blauen Schooßjacken hatten uns bis

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_396.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)