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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Ja Euch, gerade Euch! Macht keine Flausen! Ich habe so manches Tüchtige von Euch gelesen – Ihr habt das rechte Zeug, zum Herzen des Volkes zu sprechen, und seid ein ganzer Mann, wenn Ihr auch in einer Dachkammer wohnt. Nun, wollt Ihr?“

„Welche Frage!“

„Schlichte Worte, ehrlich, deutsch, kräftig, Camerad. Wann erhalte ich das Ding?“

„Morgen, vielleicht noch heute.“

„Abgemacht! Aber – nichts für ungut, Camerad – wenn Ihr da auch mit Zeus in seinem Himmel lebt, möchte ich Euch doch lieber auf der Erde sehen. Was treibt Ihr denn? Die Scheere der Censur kann die Flügel der Phantasie nicht mehr stutzen, – warum schreibt Ihr denn nichts mehr für die Bühne, die Euch doch manches gute Volksstück verdankt?“

Der Dichter deutete mit einem tiefen Seufzer auf das Manuscript, das vor ihm auf dem Tische lag.

„Das Parlament im Dorfe,“ las Blum. „Wahrscheinlich eine Parodie?“

„Bewahre! Eine ganz harmlose Studenten-Komödie.“

„Nun, warum laßt Ihr sie denn nicht los?“

„Die Directoren machen Schwierigkeiten. Es ist kein Königsmord, keine Minister- und Priesterhetze, kein Barricadenkampf, ja nicht einmal eine Katzenmusik in dem Stück. Man findet es nicht zeitgemäß. Zudem ist der Held in meinem Stück ein Fürst.“

„Ein Fürst?“

„Und noch dazu ein edler Fürst.“

„Ah, das ist gefehlt. Man findet zwar noch Edelmuth auf dem Throne, aber selten, sehr selten, Freund. Greift in’s Volk hinein, wenn Ihr Helden sucht – warum die Fürsten glorificiren? Was haben denn die Fürsten für Euch gethan? Verkümmern ließen sie Euch in Eurer Dachkammer wie viele tausend Andere, die in Wort und Schrift für sie gewirkt. Der deutsche Schriftsteller ist für die Herren Gesalbten ein Paria; krümmt er sich, wenden sie sich mit Ekel von ihm ab; erhebt er sich, nehmen sie ihm Freiheit und Vaterland, wenn sie ihn nicht zermalmen können.“

„Nicht alle, nicht alle.“

„Haben Sie vielleicht da einen zweiten Karl August oder einen neuen Joseph geschaffen?“

„Wenn auch keinen Joseph, doch einen ‚Schützer der Menschen‘.“

„Aller Menschen, will ich hoffen, nicht blos der Menschen, die Fürst Windischgrätz erst beim Baron anfangen läßt. Vertraut mir Euer Manuscript auf ein paar Tage an. Wenn in Euerem ‚Parlament‘ mehr gesprochen als geschnattert, und mehr gereinigt als gewaschen wird, werde ich es in Leipzig eröffnen lassen, und dann wird es seinen Weg schon weiter machen. Laßt nur mich und die Leipziger Studenten dafür sorgen.“

„Ach, zu welchem Dank werden Sie mich verpflichten!“ rief freudig der Schriftsteller, indem er sein Manuscript in einen Umschlag hüllte und es dem berühmten Volksmann reichte.

„Armer Camerad!“ sagte dieser mit warmer Theilnahme, „wenn Ihr ein Franzose wäret, würdet Ihr schwerlich gegen diesen Katzenjammer des Lebens zu kämpfen haben. Ja, ja, auch die deutsche Schriftstellerwelt hat ihre Sclavenketten, und das Schicksal ist ein Tyrann, dem die junge Freiheit noch immer nicht die Sclavenpeitsche aus der Hand winden kann. Auf Wiedersehen, Camerad! Morgen erwartet Euch der Kritiker, aber ein gerechter Kritiker. Ihr dürft schon etwas geben auf mein Urtheil. Ich habe mich auch ein wenig herumgetummelt in der Künstlerwelt, und meine Fühlhörner so ziemlich geschärft auf der Bühne.“

Der wackere Volksmann verließ den armen Poeten, beschenkte dessen Kinderchen mit blanken sächsischen Silbermünzen, sprach von den vier Kindern, die in Leipzig des Vaters harrten, und eilte in die Aula, um durch feurige Rede die akademische Legion zur Ausdauer und zum Kampfe auf Leben und Tod zu begeistern.

Wie versprochen, überbrachte ihm schon am nächsten Morgen der Schriftsteller das bestellte Gedicht und empfing ein Honorar von sechs Ducaten dafür, die für die junge Frau des armen Poeten Manna in der Wüste waren. Auch Blum war fleißig gewesen. Er hatte über Nacht das „Parlament im Dorfe“ gelesen.

„Euer Fürst ist ein Freund des Volkes,“ sprach er den Verfasser an, „und macht selbst auf die alte Fledermaus Jagd, die mit ihren gewaltigen Flügeln Jahrhunderte lang die Sonne der Wahrheit deckte. Es bleibt dabei – ich lasse Euer Stück in Leipzig in Scene setzen, Camerad!“[1]

„Ach, ich wünschte Ihnen im Interesse meines Stückes, aber mehr noch in Ihrem eigenen Interesse, bald, recht bald Lebewohl sagen zu können,“ antwortete traurig und ahnungsvoll der Dichter.

„Ach bah! Ich halte aus mit Euch bis auf den letzten Mann. Ich fürchte weder Euern Generalissimus, noch den Belagerungszustand. Das Reichsparlament ist meine Garde und mein Mandat der Schild, der mich deckt. Meine Person ist unverletzlich – also auf Wiedersehen, Camerad!“

„Auf Wiedersehen!“ seufzte der Dichter aus beklommenem Herzen.

Ein böses Fieber warf den armen Poeten auf’s Krankenlager. Er verträumte die schönen Tage, in welchen die kaiserlichen Truppen in Wien einrückten, Fürst Windischgrätz seinen Marschallstab wie eine Geißel Gottes schwang und sein Blutgericht eröffnete.

Es war am neunten November, als ein Soldat in die Wohnung unter dem Dache trat und der Gattin des kranken Schriftstellers ein Stückchen Papier überreichte, auf welches flüchtig folgende Worte hingeworfen waren: „Director Stöger hat Ihr Stück. Ich kann nichts thun für Ihr ‚Parlament‘ – muß mich für das blaue Parlament dort oben vorbereiten. Adieu, Camerad!“

„Was bedeutet das?“ flüsterte die junge Frau erbleichend.

„Weiß nicht,“ antwortete der Soldat phlegmatisch. „Herr Robert Blum ist heute früh in der Brigittenau erschossen worden.“

„Allmächtiger Gott – todt?“ hauchte die junge Frau entsetzt.

„Todt und als Mann gestorben!“

Der Soldat entfernte sich, die junge Frau betete leise vor sich hin und der arme Poet flüsterte träumend: „Ein deutsches Schwert – ein deutsches Herz – ein deutscher Mann!“

Es war Robert Blum’s Grabschrift, die der Fieberkranke flüsterte.




Episode aus dem letzten deutschen Kriege. Wenige Tage nach der Schlacht von Langensalza besuchte ich mit meinen Kindern eines der größten Lazarethe der Stadt, – im Heinemann’schen Kaffeehaus und Garten – um Labungen aller Art, namentlich Wein, Fruchtsäfte, Eingemachtes, Citronen u. dgl., den dortigen Verwundeten persönlich zu überbringen und zu vertheilen. Es waren milde Spenden barmherziger Menschenfreunde in der Ferne, die man zu meiner Verfügung gestellt hatte. Die Kinder sollten sich an den Anblick des Elends gewöhnen, im Dienste der leidenden Menschheit selbst mit Hand anlegen und durch die Praxis lernen, wenn diese auch schrecklich genug war, daß selbst eine Kinderhand Gutes thun, Freude bereiten kann.

Die Mädchen trugen außerdem noch eine Menge selbstgewundener Kränze von weißen Rosen – es war ja die Rosenzeit und Rosen gab es Tausende und aber Tausende – um die Särge der täglich Nachsterbenden zu decoriren oder sie in die Hände der Todten zu legen. Es war damals unter die lieben Kinder eine wahre Sucht nach Blumen und Kränzen gekommen und keinen Sarg, kein Grab ließen sie ohne diesen Schmuck. Man wird sich noch lange Zeit ihres sinnigen Thuns erinnern und unserer Jugend nicht vergessen.

Die Knaben hatten sich mit rothen Rosen und allerlei andern duftenden Blumen versehen, um den Lebenden damit eine Freude zu bereiten und gleichzeitig die Luft in den dunstigen Räumen mit angenehmen Gerüchen zu erfüllen. Es wurde dies sowohl von der Sanitätsbehörde gewünscht, als besonders von den auf das Schmerzenslager gebannten armen Kranken, und rührend war ihre Freude und Dankbarkeit über einen frischen Blumenstrauß.

Wir durchschritten das Vorderhaus, um zunächst die Kränze für die stillen Leute, für die Todten, welche in einem entfernten Gartenhäuschen bis zum Begräbniß auf Stroh gebettet lagen, abzugeben. Eine mit der Krankenpflege betraute fromme Klosterschwester nahm die Kränze in Empfang. Den Anblick der Todten entzog ich den Kindern; sie hatten ja ohnehin des Schrecklichen genug um und neben sich.

Die Knaben machten sich bereit, ihre Schätze ebenfalls auszukramen und an die nächstgelegenen Verwundeten im offenen Garten zu vertheilen, als wir urplötzlich einen markdurchdringenden Schrei vernahmen. Er kam aus der zu einem leichten Lazarethe eingerichteten, überbauten Kegelbahn, in welcher man die Schwerverwundeten, meist Amputirte, niedergelegt hatte. Es war der Garde-Kürassier-Corporal Hartmann aus Northeim, den ein Säbelhieb in die Stirne tödtlich getroffen und welcher seit mehreren Tagen mit dem Tode rang – das Ende, dessen die Gartenlaube bereits vorübergehend erwähnt hat.[WS 1] Alles strömte nach seinem Lager und auch wir traten näher.

Eine Dame stand neben dem Schwerverwundeten; blaß, bleich, selbst todesmatt, hielt sie seine zuckenden Hände und wehrte die Fliegen ab. Es war die Braut des Armen, seit sieben Jahren mit ihm verlobt, aus weiter Ferne hierher geeilt, um den Leidenden selbst zu pflegen. Als wir in seine Nähe kamen, trat eben ein geistlicher Herr zu der Schmerzerfüllten, ergriff theilnehmend ihre Hände und sprach: „Beten Sie, mein Fräulein! Verzweifeln Sie nicht, Gott wird helfen!“

„Gott?“ rief sie bitter, „es giebt keinen Gott, sonst würde er das Schreckliche nicht zugelassen haben. Beten soll ich? Habe ich nicht Tag und Nacht gebetet, und was hat es geholfen? Da liegt der Arme unter Höllenqualen, er kann nicht leben, kann nicht sterben. Lassen Sie jedes Trostwort; es giebt keinen Gott, und ich will nicht beten!“

Da hob der Geistliche die Rechte in die Höhe und sprach ernst: „Wohl nur der Schmerz, mein Fräulein, läßt Sie Dinge sagen, die Sie nicht verantworten können. Wollen Sie noch länger Gottes Gegenwart und Barmherzigkeit leugnen, so betrachten Sie jetzt das Antlitz Ihres Verlobten!“

Bei diesen Worten richteten sich ihre Blicke nach diesem; eine große Veränderung war in dem Augenblick mit ihm vorgegangen. Die dunkle Gluth der Wangen war der tiefsten Blässe gewichen, die wahnsinnigen Augen lächelten, die zuckenden Hände falteten sich wie im Gebete; ein wahrer Himmelsglanz leuchtete über ihn hinweg; es war ein freundlicher Sonnenstrahl aus der brechenden Gewitterwolke und mit ihm trat ein letzter Gedankenblitz wiederkehrenden Bewußtseins ein: „Anna, liebe Anna!“ flüsterte sein Mund und schloß sich mit den treuen Augen für immer.

Tief ergriffen und lautlos standen wir vor dem Todten und entblößten mit den Hunderten um uns her in Demuth die Häupter, falteten die Hände und beteten mit dem Diener des Herrn für die Seele des Frühvollendeten. „Es ist ein Gott!“ sprach der Geistliche noch einmal mit feierlicher lauter Stimme, und wir Alle sagten in unseren Herzen dazu ein Ja und Amen.

In einer nahen Seitenhalle stand ein Flügel, welcher bei der Ausräumung des großen Gartensalons, behufs Einbringung der Verwundeten, einstweilen hierher gestellt worden war. Einer der Besucher des Lazareths öffnete ihn in der Stille, schlug die Saiten an und begann mit lauter sonorer Stimme das schöne Lied zu singen: „Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten, was man hat, muß scheiden etc.“[WS 2] Die ganze große Versammlung fiel nach und nach in den Gesang mit ein und sang das schöne, bedeutungsvolle Lied bis zu Ende, unter strömenden Thränen zwar und tief ergriffen, aber gehoben und getröstet und unter Jammer und Elend voll freudigen Glaubens und Friedens.

Ehe das Lied zu Ende ging, hatte sich mein Töchterchen Elvire von

  1. Das Stück ist später unter dem Titel: „Die Studenten von R–stadt“ mit vielem Glück über mehrere Bühnen gegangen.
    D. R.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. 1866, Heft 31/32: Noch einmal vom Langensalzaer Schlachtfelde
  2. Gedicht von Ernst Feuchtersleben, vergleiche dazu ADB:Feuchtersleben, Ernst
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_399.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)