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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Der Kaiser und der Schnitter.
Erstes Bild aus Kaulbach’s Todtentanz.



ganz gewiß nicht in einer Seele, die, undankbar genug, bisher nur danach gestrebt hat, die Fesseln der Moral und guten Sitten abzuwerfen… Uebrigens wollen wir, die wir das Glück haben, von gesitteten Eltern abzustammen, nicht zu streng mit ihr in’s Gericht gehen – der Leichtsinn steckt im Blut… Wenn Sie in Jahr und Tag wieder auf Reisen gehen, Herr Frank,“ wandte sie sich scherzend an den Rechtsanwalt, „so kann es sich schon ereignen, daß Sie unter einem fremden Himmelsstriche Tantchens ehemalige Hausgenossin als Grazie auf dem Seil oder im Circus bewundern dürfen.“

„So sieht sie nicht aus!“ sagte plötzlich der Professor in seinem ruhig entschiedenen Tone. Er hatte bis dahin consequent geschwiegen; sein Widerspruch, der sehr mißbilligend klang, mußte mithin doppelt auffallen. Frau Hellwig wandte sich jäh und zornig um nach ihrem Sohn, und die Augen der jungen Wittwe verloren für einen Moment die stereotype Sanftmuth; gleich darauf schüttelte sie jedoch gutmüthig lächelnd den Lockenkopf und öffnete die Lippen, ohne Zweifel, um Liebes und Freundliches zu sagen; aber sie wurde verhindert – ein lautes Weinen Aennchens scholl über den Kiesplatz, und infolge dessen, was die Regierungsräthin im Umdrehen erblickte, stieß sie selbst einen Schrei des Entsetzens aus. Das Kind lief, so schnell es sein schwerfälliger Körper gestattete, auf seine Mutter zu; in der angstvoll emporgestreckten Rechten hielt es krampfhaft ein Päckchen Schwefelhölzer fest, das Röckchen aber stand in hellen Flammen. Wir sagten, die Mutter stieß einen Schrei des Entsetzens aus, zugleich irrte ihr verstörter Blick über die eigene leicht feuerfangende Toilette – wie geistesabwesend, mit tödtlich erblaßtem Gesicht streckte sie abwehrend ihre Hände dem Kind entgegen und war mit einem Sprung hinter der schützenden Taxuswand verschwunden.

Die „in Duft“ gekleidete Damengesellschaft zerstob wie eine aufgescheuchte Taubenschaar unter lauten Angstrufen nach allen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_405.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)