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eine Manipulation vorgenommen, welche unter dem Namen der „Rapiotage“ verrufen war. Man untersuchte sie nämlich ohne Rücksicht auf Schicklichkeit und Schamhaftigkeit und nahm ihnen Alles weg, was sie bei sich trugen. Man gestattete ihnen keine Scheere und kein Messer, sondern nur ein hölzernes Besteck, so daß sie beim Essen genöthigt waren, das Fleisch mit den Fingern zu zerreißen. Jeder Verkehr mit der Außenwelt war streng untersagt und unmöglich gemacht. Aber Einzelhaft gab es auch hier nicht: diese Grausamkeit haben ja erst die „Frommen“ unserer eigenen Tage methodisch ausgebildet und in Anwendung gebracht.

Eine ganze Reihe von Gefängnißbeamten hat sich zur Schreckenszeit durch Milde, Schonung und freundliche Fürsorge für die Gefangenen berühmt gemacht. So der Ministerialsecretär Grandpré, der Polizeicommissär Biquet, der Schließer Huyet im Port-Libre, der Schließer Benoit im Luxembourg, die Schließerin Bouchaud in Saint-Pelagie, der Schließer Vaubertrand und seine Frau in den Madelonnettes, die Schließerin Lebau in La Force, der Schließer Fontenay, die Schließerin Richard und deren Magd Rosalie Lamorlière in der Conciergerie, welche beiden Frauen Alles thaten, was nur immer sie thun konnten, um der armen Marie Antoinette die schreckliche Bürde ihrer letzten Tage und Stunden zu erleichtern.

Das strengste Gefängnißregiment wurde, wie gesagt, in Du Plessis gehandhabt. Schon weniger herb und hart ging es her in der Conciergerie, in Sainte-Pelagie, in La Force und in den Madelonnettes. Was vollends die Gefängnisse im Luxembourg, im Port-Libre, bei den Carmelitern, bei den englischen Benedictinern und Saint-Lazare betrifft, so waren das „Stutzer-Gefängnisse“ (prisons muscadines), „allwo“ – meldet Einer, der es mit angesehen – „die Gefangenen keine anderen Fesseln kannten, als die der Liebe, und wo ihnen die Tage inmitten der Gärten und Gebüsche im süßen Getändel mit ihren schönen Mitgefanginnen verflossen.“ Mit Stegreifdichtung, mit Ariengeträller, mit Gesellschaftsspielen, mit Klatsch und mit Musik vertrieb sich hier der französische Leichtsinn die Zeit und wußte es sogar zu einer neuen Art Zeitvertreib zu machen, wenn die eiserne Anklägerhand Fouquier-Tinville’s von Zeit zu Zeit in das Getändel, Getriller und Gelächter hineingriff, um aus dem in Fülle vorhandenen Vorrath einen seiner täglichen „Schübe“ (fournées) für das „rothe Ding“ auf dem Revolutionsplatz zu vervollständigen.

In den zuletzt genannten Gefängnissen verwandelten sich die Kerker förmlich in Salons, wo graziöse Frauen die Honneurs machten, wie sie früher in ihren Empfangzimmern im Faubourg Saint-Germain oder in der Rue Saint-Honoré gethan hatten. In den Madelonnettes ließ sich das Ancien Régime in der ganzen wohlgebürsteten Grandezza seiner Höflichkeit sehen. Hier schwirrte die Luft von Monseigneurs und Mesdames. Der weiland Polizeiminister machte in wohlgepuderter Perücke und Glanzschuhen, den Hut unter dem Arm, den weiland Ministern Latour du Pin und Saint-Priest seine Morgenvisite, welche ceremoniösest zurückgegeben wurde. Falls, wie zuweilen geschah, in die vornehme Gesellschaft dieses aristokratischen Gefängnisses ein armer Teufel von Spießbürger hineingewürfelt ward, nahm ihn der altfranzösische Witz zur Zielscheibe. Ein unglücklicher Krämer Namens Cortey saß mit den Herren Laval-Montmorency, de Pons und Sombreuil in der gleichen Zelle. Eines Tages machte er durch das Corridorfenster der vorübergehenden weiland Prinzessin von Monaco verliebte Zeichen und warf ihr Kußhände zu, worauf der Marquis de Pons ernsthaft zu ihm sagte: „Ihr müßt schlecht erzogen sein, weil Ihr Euch mit einer solchen Person gemein macht. Es ist ganz in der Ordnung, wenn man Euch mit uns guillotinirt, da Ihr uns als Euresgleichen behandelt.“ Die weiland großen Herren in den Madelonnettes erhoben übrigens ein großes Geschrei, als sie in Folge der Anordnung eines griesgrämigen Visitators vorübergehend genöthigt waren, von ihren Freundinnen sich zu trennen. „Il fallut donc nous séparer de vous, maîtresses adorées!“ (man mußte sich also von Euch trennen, angebetete Freundinnen) jammerte Einer. „On ne connut plus, dans notre prison, les douces étreintes de l’amour!“ (man kannte in unserm Gefängniß die süßen Banden der Liebe nicht mehr.)

Der heiterste und zugleich anständigste Ton herrschte im Port-Libre. Auch war hier die republikanische Gesinnung und Stimmung obenauf. Die Bürger Vigée und Matras dichteten und componirten Freiheitshymnen im Stile der Zeit, die Bürgerinnen Betisy und Lachabeaussière sangen dieselben und der Baron von Wittersback begleitete sie mit seiner meisterhaft gespielten Violine. An den Tagen, wo die Republik auf den Plätzen von Paris ihre antiken Feste feierte, ging es auch im Port-Libre festlich zu. Aus im Gefängnißhof aufgelesenen Ziegeln wurde der „guten Göttin Natur“ ein Altar errichtet und die Bürgerinnen sangen die eigens zu diesem Zwecke verfertigte Festcantate. Dann gaben sie den Bürgern die Hände und es wurde in großer Runde die Carmagnole getanzt, unter Anstimmung der Marseillaise. Am leichtfertigsten, geradezu lüderlich führten sich die Gefangenen beiderlei Geschlechts im Luxembourg auf. Es verging da kaum ein Tag ohne Histörchen und Abenteuer, welche ganz gut im „Decamerone“ oder im „Faublas“ stehen könnten. Auch in der ernsteren Conciergerie fehlte es nicht an solchen Geschichten. Ließ sich doch daselbst Madame de ***, welche „an Schönheit und Reinheit einer Madonna Rafaels glich“, in der Furcht vor dem Tode zu einem unglaublich scandalösen, aber ebenso wohlbezeugten wie erfolglosen Abenteuer herbei, von welcher Thatsache Notiz genommen werden muß, weil sie einen der wenigen, sehr wenigen Ausnahmefälle bildete, wo die Standhaftigkeit und der Heldenmuth, welche die weiblichen Opfer der Revolution so sehr schmückten, niedrigeren, ob zwar natürlichen Gefühlen gewichen ist. Erwähnenswerth ist wohl auch eine andere Thatsache, nämlich diese, daß im Mai von 1794 eine Durchsuchung der Gefängnisse angeordnet wurde, wobei sich herausstellte, daß die Gefangenen mitsammen im Besitze von 864,000 Livres waren, den Werth ihrer Möbeln und Schmucksachen ungerechnet. Daraus ersieht man, daß von Noth in diesen Gefängnissen keine Rede war.

Zu den Haushaltgebräuchen in der Conciergerie gehörte es, neuangekommene Gefangene so zu sagen einzuweihen, indem man, und zwar in Numero 13, die furchtbaren Scenen der Procedur vor dem Revolutionstribunal und der Guillotinirung travestirend vor ihnen aufführte. Die Mitspieler und Mitspielerinnen dieser gräßlichen Possen trugen in Ringen oder Knöpfen verborgen die berühmten von Cabanis erfundenen Opiumpastillen bei sich, womit der Doctor Guillotin, der Vater der „Dame Guillotine“, aus Mitleid die Gefangenen versorgte, damit sie „nach Belieben über ihr Schicksal verfügen könnten“. Selbstmordscandidaten also carikirten und travestirten die Tragödie der Zeit, und während die Wände der bezeichneten Kerkerkammer von Gelächter widerhallten, schrieen unter dem Fenster derselben Ausrufer die Liste derjenigen aus, „welche heute in der Lotterie der heiligen Guillotine das große Loos gezogen haben“, das heißt hingerichtet worden sind.

An der Conciergerie haftet noch eine düsterste Erinnerung. Sie war ja recht eigentlich die „Vorhalle des Todes“. Denn hierher wurden neben den ordentlichen Insassen des Gefängnisses auch außerordentliche gebracht, nämlich alle vom Revolutionstribunal Verurtheilten, um ihrer letzten Stunde entgegenzuharren. Die Schreibstube (le greffe) im Untergeschoß war das Toilettezimmer der „Dame Guillotine“. Am Eingange dieses schrecklichen Gelasses, dessen Thür füglich die Aufschrift von Dante’s Höllenpforte hätte tragen sollen – („Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!“) – erschien Morgen für Morgen der rothbemützte Huissier, die infernalische Liste derer abzulesen, welche zu den draußen vorgeführten Todeskarren gerufen wurden. Wie Jedermann weiß, hat diese Liste ihre schrecklichste Länge erreicht (38–50–54–60–67 Personen) während der Zeit, als sich Robespierre aus dem Wohlfahrtsausschuß zurückgezogen hatte und mit seinem geliebten Hunde Brount in den Champs-Elysées und im Thale von Montmorency spazieren ging, die Hamletfrage „Sein oder Nichtsein?“ grüblerisch erwägend. … Das fahle Morgengrauen des 7. Thermidor (25. Juli) von 1794 erblickte in der Vorhalle des Todes eine zahlreiche Gesellschaft, achtunddreißig Verurtheilte. Darunter den General Beauharnais, den Gatten der künftigen Kaiserin Josephine – sie selbst war bei den Carmelitern eingekerkert –, den Herzog von Clermont-Tonnerre, den berühmten Sachwalter Lachalotais, den Fürsten von Salm-Kyburg, den Baron Trenck, den rastlosen Maulwurf von Glatz und Magdeburg, der sich schließlich in diese Sackgasse hineingewühlt hatte, aus welcher kein Entkommen mehr war. Seht ihr dort den Mann, welcher mit vorgebeugtem Oberkörper das Blatt Papier beschreibt, das er auf seinen zusammengepreßten Knieen hält? Neigt euch! Es ist Einer, den der Kuß der Muse geweiht hat,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_425.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)