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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Schaffotheroismus jener Zeit geworden. „Dieses Gefängnißleben langweilt mich unerträglich“ – sagte Lauzun-Biron – „möchten sie mir doch einmal den Kopf abschlagen, damit der schlechte Spaß zu Ende wäre!“ Um den Bleidruck dieser Kerkerlangweile fern zu halten, ersannen und übten die Gefangenen die insipidesten Spiele. Herault de Sechelles z. B. spielte beharrlich „à la galoche“, bis er zum Todeskarren gerufen wurde.

(Schluß folgt.)




Die Reformatoren in der Gießhütte.


Als wenn die Erfahrung, daß unsterbliche Menschenwerke nur in der Stille und Abgeschiedenheit zu Stande gebracht werden, nicht blos für Dichter, Künstler und Gelehrte, sondern auch für die eisenzähmenden Männer der großen Industrie-Werkstätten Geltung hätte, so zurückgezogen vom Lärm der Welt, so abseits von den donnernden Straßen des modernen Verkehrs liegt der Kranz von Schornsteinen, aus deren Feuern die ehernen Heldenbilder des Wormser Lutherdenkmals hervorgingen: das alte berühmte Eisenhüttenwerk Lauchhammer. Welche Eisenbahn uns auch in dessen nächste Nähe führe, immer bleibt von der letzten Station aus noch ein stundenlanger Weg vor uns, den wir mit dem Wanderstab in der Hand oder im Wagen zu bewältigen haben, bis wir in den Winkel vordringen, welchen der preußische Regierungsbezirk Merseburg da bildet, wo er mit den Provinzen Brandenburg und Schlesien an der sächsischen Grenze zusammenstößt. Und welchen Wegen muthet man hier die Aufgabe zu, wöchentlich Hunderte von Centnern Last tragen zu müssen![WS 1] Man hat ein Straßenbild des vorigen Jahrhunderts vor sich, wenn man hier einem Lauchhammerer Frachtwagen begegnet. Lange, lange Reihen von Zugthieren, umschwärmt von peitschenknallenden und unaufhörlich zurufenden Fuhrleuten und Knechten, mühen sich ab, die oft bis an die Achse versinkenden Räder vorwärts zu bringen, und andere Arbeiterschaaren eilen mit Balken und allerlei Werkzeug voraus, um die schwachen Holzbrücken zu stützen, damit sie nicht unter der Last zusammenbrechen. Wahrlich, die wendische Bevölkerung jener Gegend hatte Recht, als sie dieses Hüttenwerk den „Hammer im Moor“[1] nannte.

Um so mehr überrascht uns das Landschaftsbild, das uns, je näher dem Ziele, mit seinen tannendunklen Hügeln, grünen Gründen und Weiherspiegeln immer idyllischer anmuthet, ohne uns übrigens von den Eisenwerken, deren Großartigkeit uns doch bekannt ist, das geringste Anzeichen zu verrathen. Erst wenn wir den letzten Hügel überschreiten, liegt Lauchhammer mit seinen zum Theil sehr stattlichen Hüttenwerks-, Wirthschafts- und Wohnungsgebäuden, die überragt sind von einem Dutzend dampfender Essen, reizend umgeben von Gärten und Wiesen, Teichen und Seen und umrahmt von sanften Waldhügeln, vor uns in seinem Thale. Wir sind durch eine Wegeswüste zu einer Oase gelangt; da wir aber den weit über Europa hinaus bekannten, von so Vielen genannten und doch von so Wenigen betretenen Ort heute vor Allem als die Geburtsstätte unseres größten Nationaldenkmals begrüßen, so thut die feierliche Einsamkeit uns wohl.

Aus dieser Stimmung werden wir allerdings herausgerissen durch das, je näher wir dem Ziele kommen, immer lauter erdröhnende Hämmern, Pochen, Klappern und Brausen, das uns in die einzelnen Werkstätten verlocken möchte; wir aber eilen mit Sehnsucht dem Raume zu, in welchem wir die Helden und Zeugen der Reformation in ihrer ehernen Wiedergeburt sehen sollen.

Die Thür öffnet sich, wir stehen in dem großen Ciselirsaal, den unsere Abbildung uns zeigt. – Armer Rietschel! – Daß Deine Augen um diesen Anblick gekommen sind! – Der Eindruck dieser Gestalten ist ein gewaltiger und doch ein eigenthümlich traulicher. Wie im Vorsaal zu einer Festversammlung stehen und sitzen sie da, die Reformatoren, fürstlichen Helden, Zeugen und Märtyrer des Evangeliums, zufrieden duldend, daß die rührigen Arbeiter ihren Schmuck vollenden, und noch Jedem nahbar, so daß man sie mit der Hand berühren kann, alle diese guten alten Bekannten von den Jahren unserer Kindheit an. Es ist uns ja so viel von jedem Einzelnen erzählt, und da sind sie nun alle, die durch Jahrhunderte Getrennten, so traulich beisammen! Wir können von Einem zum Andern laufen und bei Jedem, in seine Vergangenheit blickend, voll Ehrfurcht stehen bleiben und ihm, die Hand drücken – bis der Augenblick kommt, wo Luther auf sein hohes Postament hinaufsteigt, um noch einmal und in Ewigkeit allem Volke mit der Faust auf der Bibel zuzurufen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ – Dann setzen sich zu seinen Füßen am Postamente nieder seine vier Vorkämpfer aus vier Nationen, zum Zeichen, daß nicht Luther und seine Zeit allein, sondern seit Jahrhunderten die unterjochte Christenheit mit Rom um den reinen Glauben gerungen. Da ist Petrus Waldus, der Bürger von Lyon, welcher schon im zwölften Jahrhundert die Rückkehr zur heiligen Schrift und eine Kirche nach dem Evangelium gefordert und Beides seinen eben darum vertriebenen und verfolgten „Waldensern“ gegeben hatte. In diesem Saale sitzt er dort an der Säule des Krahns, den einst vielgebrauchten Wanderstab nun ruhend in seinem Arm. Ihm zur Rechten, im Hintergrund, hat Johannes von Wycliffe Platz genommen, der Mann aus York, welcher als Professor von Oxford seine Reformation auf das Evangelium in heimischer Sprache, als das Gemeingut Aller, gründete. Er starb zwar im Frieden 1384, aber die Universität hatte ihn ausgestoßen und das Concil zu Constanz verfluchte sein Andenken. – Vom Geiste dieses Concils ist der Mann ein Zeuge, welcher seine Stelle am Postament bereits eingenommen hat und wie sinnend und betend auf das Crucifix in seinen gefalteten Händen blickt: Johannes Huß, der Professor von Prag, dessen Asche am 6. Juli 1415 in den Rhein geworfen wurde. Er ist der Unglücklichste seiner Denkmalgenossen, denn er hat kein Vaterland mehr, das sein Andenken ehrte, seitdem die Jesuiten ihn aus dem Geist und Herzen seines böhmischen Volkes gerissen und an seine Statt eine Puppe gesetzt haben, den Johannes von Nepomuk, der nie existirt hat. – Um so freudiger kann in die lichtverheißende Zukunft seiner Nation der Mann blicken, der, des Huß Postamentnachbar, den mahnenden Finger hier uns entgegenstreckt, wie einst seinen Italienern: Savonarola. Die Priester verbrannten ihn in Florenz am 23. Mai desselben Jahres 1497, wo Melanchthon geboren ward und Luther als vierzehnjähriger Knabe gen Magdeburg zur lateinischen Schule wanderte, um „ein studirter Mann“ zu werden.

Diese Fünf werden einst den Kern des Denkmals bilden auf und an dem ehernen Postament, wie es auf der Drehscheibe in des Saales Mitte hier vor uns steht. Um diesen Kern wird zu Worms sich ein steinerner Mauerbau im Viereck erheben, dessen vordere Seite, wo Luther’s Antlitz niederschaut, für den Treppenaufgang frei und offen ist. An den vier Ecken werden, gleich Thürmen einer Burg, auf hohen Postamenten die Ecksteine der Reformation stehen: vorn zur Rechten Luther’s Friedrich der Weise von Sachsen und zur Linken Landgraf Philipp der Großmüthige von Hessen; hinter jenem Reuchlin, der hochgelehrte Humanist, und hinter diesem Reuchlin’s Schüler, der sinnig bescheidene Melanchthon. – Zwischen diesen Eckbildsäulen erheben sich, durch hohe Mauerzinnen mit jenen verbunden, noch drei Postamente für drei sitzende symbolische Frauengestalten, welche die Städte Speier, Augsburg und Magdeburg bedeuten: Speier, weil dort die Evangelischen sich den Ehrennamen Protestanten erworben, Augsburg, mit der Palme des Siegs und dem inhaltschweren Blatt der Augsburgischen Confession in den Händen, und Magdeburg, als Blutzeuge der neuen Kirche.

Auch diese Mauerzierden sehen wir im Saale zu Lauchhammer vor uns: zur Rechten die Modellstatue Melanchthon’s und vor derselben am Boden den ehernen Abguß, doch ohne Haupt, unter der Hand des Ciseleurs; zur Linken reihen sich an der Wand hin neben Luther Spalatin, Friedrich der Weise und Philipp von Hessen,[2] Luther zu Füßen sitzt die trauernde Magdeburg mit gebeugtem Haupt und zerbrochenem Schwert, und hinter Philipp ist die triumphirende Augsburg zu erkennen. Nur Speier harrt noch der Modellvollendung durch J. Schilling in Dresden.


  1. Lug oder Lauch, wendisch, Sumpf, Moor.
  2. Diese Drei waren im Saale durch ihre Modelle repräsentirt, während ihre Erzstatuen auf Ausstellungen zur Schau standen, Friedrich der Weise und Landgraf Philipp in Paris, Spalatin in Chemnitz.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. dazu Nachtrag und Berichtigung in der Fußnote 1 in Das Leben in Eisen und die Kunst in Holz und Stein. Heft 34.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_427.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)