Seite:Die Gartenlaube (1867) 431.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

besteht darin, dem Gußstück in starrem Metall dieselbe Schönheit, Weichheit, Correctheit zu geben, wie der Bildhauer dies im Modell von bildsamem Thon gethan und wie er den Effect des Ganzen sich gedacht hat. Der Bildhauer ist der strengste Kritiker des Ciseleurs: kein Fältchen, kein Härchen des Modells schenkt er ihm. Aber der Ciseleur steht ihm nahe als Künstler. Seht, hier glättet er eine Fläche, daß sie sammetweich erscheint und doch ohne störenden Glanz, und dort kämmt er mit graciösen Zügen eine starke Haarpartie; hier markirt er einen Pelz mit leichten Flöckchen, und dort schafft er ein seidenes oder härenes Gewand; hier rectificirt er eine gebogene Schnalle und dort schmückt er den Purpurmantel mit Goldstickerei. Die höchste Sorgfalt verwendet er aber auf die Fleischtheile; ihnen weiß er eine so feine, an die Hautporen erinnernde Schraffirung zu geben, daß sie ganz den Ausdruck annehmen, welchen der Bildhauer ihnen geben wollte. Sehen Sie nun, wie unsere Ciseleure ihre Kunst verstehen!“

Mit diesen Worten öffnete unser Führer eine Thür, und – wir standen wieder in dem Saal, von dem wir ausgegangen waren, – vor den Reformatoren. Es lag ein feiner Wink in dieser Ueberraschung. Wir hatten vorhin nur die dargestellten Männer selbst bewundert, darum für die Arbeit der Künstler noch das Auge nicht frei gehabt. Jetzt betrachteten wir mit mehr Verständniß ihren Antheil am Denkmalwerke, freuten uns des Fertigen, sahen mit Theilnahme dem schweren Kampfe zu, den die Ciseleure hier mit Meißel und Feile gegen das harte Metall zu führen hatten, und verließen den Raum und das Haus mit hoher Achtung vor den Händen, die hier wirken, und den Geistern, die sie leiten.

Wenn im Mai des kommenden Jahres im idyllischen Thale von Lauchhammer das große Denkmal der Reformation öffentlich zur Schau gestellt wird, erinnert sich vielleicht mancher Leser der Gartenlaube des heutigen Artikels und beeilt sich, „die Reformatoren in der Gießhütte“ mit eigenen Augen zu sehen.

F. Hfm.




Pariser Weltausstellungs-Briefe.
Von Michael Klapp.
2. Eine Ausstellungsfahrt.


Das Lied vom Fahren. – Leiden eines Wagensuchers. – Pariser Cochers. – Speculative Milchweiber. – Milch und „Exposition“. – Aus einem Sechssitzigen. – Expositionsmenschen. – Keine Pariser in Paris. – Deutsch geschwängerte Luft. – Meine fünf Nachbarn. – Der höfliche Mann. – Glockengießer und „Trumpetenmacher“. – Der Türke von Grenelles.


Wir fahren auf’s Marsfeld! Wir fahren – ja, das ist leichter gesagt, als gethan. Wagen genug die stolzen, prunkenden alten Boulevards entlang, aber bekommen muß man einen! Wir stehen an der Ecke der Chaussée d’Antin, lauernd nach einem Gefährte, wie und was immer für eines es auch sei. Aber wo wir immer um uns blicken, sehen wir Concurrenten. Am Marsfelde hängt, nach dem Marsfelde drängt doch Alles; ach, wir Armen! würde Gretchen sagen, wenn sie zur Ausstellung gleich vielen ihrer Landsleute nach Paris gekommen wäre. Wie stolz diese Droschken und Remisewagen an uns vorüberfahren! Und wie selig lächeln die in ihnen Untergebrachten! Sie haben das harte Werk vollbracht, wir haben es noch zu vollbringen. Ruhelos rollt es an uns vorüber, hinauf, hinab – ja, giebt es denn gar keine leeren Wagen heute in Paris? Da kommt ein geschlossener Einspänner mit unbeflügeltem Trabe heran, seinem Tempo nach ist er unbesetzt. Wir springen ihm entgegen, zehn Andere thun es mit uns; wir rufen: „Cocher!“, zehn Andere rufen auch noch „Cocher!“ Der Cocher aber lächelt uns Alle so impertinent schadenfroh mit der Miene eines Foppers an und zeigt mit der Peitsche nach dem Innern seines Wagens, wo in die Ecke zurückgelehnt ein alter Herr eben eingenickt ist. O, es kommen auch leere Wagen, aber die wollen uns erst recht nicht aufnehmen; sie lassen sich lieber von reichen Engländern und Russen auf den ganzen Tag miethen, das paßt ihnen viel besser. Ich berufe mich auf die vielfachen Erlässe der Pariser Polizei, die gerade erschienen und von denen der letzte jedem offenen Wagen auf der Straße das Halten gebietet, sobald er von irgendwem begehrt wird. Aber ein Pariser Kutscher sein und sich um Kundmachungen der Polizei kümmern – „is nicht!“ wie der Berliner sagt. So ein Kerl läßt sich, wenn Du seine Nummer hast, auf der Präfectur abstrafen, und den Morgen darauf triffst Du ihn leer und er fährt Dich wieder nicht.

Die Exposition macht Widerspenstige aus ihnen Allen, es giebt in diesem Ausnahmszustand, in dem sich das Paris der Ausstellung jetzt befindet und dessen ganzer Drakonismus sich gegen die Taschen der Fremden richtet, kein Gesetz für den Cocher und kein Recht für Dich. Ja, aber es giebt doch Omnibusse? Freilich giebt es deren und nicht wenige. Da kommt einer dieser Kolosse, mit den starken, kräftigen, unschönen Schimmeln bespannt, daher gerollt. „Porte St. Martin – Exposition“ steht auf seinem breiten Schilde. Das ist gleich der rechte, aber es steht noch etwas Anderes auf einem kleinen Täfelchen, oberhalb des Conducteurplatzes, angeschrieben: „complet“, und dieses eine Wort vernichtet Hunderte von Hoffnungen in jeder Viertelstunde. Da kommt ein anderer Omnibus, aber wieder „complet“, und ein dritter abermals mit dem Täfelchen, „complet“. – Wir geben das Warten auf und gehen der Madeleine zu, dort wie am Palais Royal ist ein Specialdienst für die Exposition eingerichtet. Alle fünf Minuten geht ein Wagen, mit achtundzwanzig Menschen beladen, von hier ab, aber Geduld wird hier wieder mehr von uns verlangt, als wir haben. Wir bekommen eine Nummer, wenn wir sie wünschen, und können, sobald diese Nummer die herrschende wird, den Omnibus besteigen. Aber wann wird diese Nummer die herrschende? Wir haben Nummer 18 und soeben ist erst Nummer 8 in einen Omnibus gestopft worden. Zehn Omnibusse müssen wir an uns vorüberfahren sehen, ehe wir selbst darankommen. Und da sind wir noch nicht die eigentlichen Spätlinge dieser Omnibusschöpfungen. Und so wie hier, so geht es Tag auf Tag an allen Standplätzen der Expositionsomnibusse, geht es auf dem Bahnhofe St. Lazare, geht es am Quai des Pont Royal, von wo alle Viertelstunden ein langweiliges Dampfboot losgelassen wird. Und dabei sind in den letzten Tagen noch eine ziemliche Anzahl provisorischer Expositionsfahrer aufgetaucht: Britschken sehr unbequemer Natur und holperigen Aussehens, Tapezierer- und Möbelwagen, die von den Besitzern rasch mit Sitzen versehen worden sind und mit der großen Aufschrift „Exposition“ und die nun bepackt auf’s Marsfeld kutschiren.

Ist ja die Speculationswuth sogar in die Pariser Milchweiber gefahren! Da sah ich unlängst eine von diesen auf ihrem kleinen Wägelchen Morgens durch die Champs Elysées[WS 1] kutschiren. Sie hatte ihre Milch verkauft und da, wo diese gestanden, standen nun vier kleine Rohrstühle ohne Lehne in dem Wägelchen, alle besetzt, und draußen hing ein Täfelchen mit der stolzen Aufschrift „Exposition“. Mit Milchtöpfen kam die Frau vor einigen Stunden hier durchgefahren, jetzt fährt sie mit Expositionsreisenden, die froh waren, einen Milchwagen besteigen zu können, wieder zurück! Das wird man doch „die Milch speculativer Denkungsart“ nennen dürfen, bei der dieses Milchweib aus Passy aufgewachsen! Aber die Massen von Fremden, die sich nun in Paris herumtreiben, können es der Speculationslust der Pariser nur danken, wenn sie auf’s Marsfeld gelangen.

Da kommt gerade, während wir der Nummer 18 entgegenseufzen, so ein kleiner, sechssitziger Omnibus Freiwilliger sehr unternehmend an uns heran. Er ist leer und winkt allen, die Vertrauen zu ihm haben. Unsere Nummer 18 in Stich lassen und in das Wägelchen springen, ist das Werk eines Augenblicks. Fünf Herren haben das Gleiche gethan; wir sind auch „complet“, man nimmt uns unser Frankenstück ab und fort geht es über den Madeleine-Platz nach dem Platze „de la Concorde“ und weiter, weiter den langen, langen Weg über die elysäischen Felder der Jenabrücke zu. Nun sehen wir uns einmal unsre Reisegesellschaft näher an. Es ist nun einmal meine schwache Seite, daß mir Menschen über Dinge gehen und daß mir sogar Expositionsmenschen noch über die Exposition gehen. So oft ich in Paris einen Omnibus jetzt besteige, überkommt mich ein gewisser Drang nach anthropologischen Studien. Ein jeder Pariser Omnibus ist heute an und für sich eine recht ansehnliche Exposition, eine Exposition von Menschen, die man, ganz so wie sie es auf dem Marsfelde gethan, in Gruppen und Classen theilen könnte. So wie ich in einer solchen Exposition sitze, beginne ich meine Studien. Ich habe nämlich den gegründeten Verdacht – und ich lasse mir ihn auch nicht ausreden, so sehr man sich auch Mühe giebt – daß es in Paris derzeit keine Pariser giebt. Wo ich immer stehe, gehe, sitze, kommen mir offene und verkappte Deutsche, Engländer, Amerikaner, Oesterreicher etc. unter die Augen und Ohren. Die Luft der Boulevards ist mit berlinerischen, schwäbischen, sächsischen, wienerischen Accenten geschwängert. Du sitzest an einem der Tischchen vor dem Café riche und rauchst deine Cigarre. Neben dir sitzen zwei Herren an einem zweiten Tischchen und der eine von ihnen hat den „Figaro“, der andere die „Gazette des Etrangers“ in Händen. Du denkst nichts Schlimmes und bist aufgelegt, die beiden Herren für Kernfranzosen zu halten, denn sie trinken Absynth trotz einem Franzosen und schauen bei den vorüberwandelnden Damen zwar nicht auf Herz und Nieren, aber auf den Fuß, auch wie ein Franzos. Nun willst du auch den „Figaro“ und sagst zu einem der Herren verbindlich lächelnd: „Monsieur après vous!“ Es dauert nicht lange und er reicht dir mit der Phrase „voilà, Monsieur“ den „Figaro“. Also richtig, es sind Franzosen! Man hat sich einmal nicht getäuscht, es giebt doch noch Pariser in Paris. Da stehen die beiden Herren auf und was hörst du? der Eine von ihnen sagt: „Weißt was, fahren wir heute nach ‚Versaillch‘!“ und der Andere ruft darauf: „Garçong!“ – „Versaillch“ und “Garçong“ – du fällst plötzlich aus dem siebenten französischen Himmel zurück in den vierten preußischen. Geh nur ein paar Schritte weiter und eine Sündfluth süddeutschen Dialekts schlägt sich über dir zusammen. „Wolle mer in den Louvre gehe, müsse mer uns spute. Es ischt sonscht zu spät“ hörst du rechts von dir; links schmunzelt ein wohllebiger anderer deutscher Mund in anderer Art und sagt: „Auf’n Dreher sein Bier loß ich net schimpfen, des is Eisen!“ Und noch ein anderer und noch weniger rein deutscher Mund sagt gar neben dir: „Und nix. Pereles!“ Und dabei soll man nicht allen Glauben verlieren, daß es noch Pariser in Paris giebt? Ich habe ihn verloren und ich kann nun, so oft ich unter Expositionsmenschen bin, den Verdacht nicht lassen, es seien Alles, nur keine Franzosen unter ihnen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Champs Elysés
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_431.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2020)