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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die Insel-Republik deutscher Künstler.
Von Erwin Förster.

Zur Zeit, als sich die hohen Herren eine Allongeperücke über den Kopf stülpten und die Bäume ihrer Gärten mit der Scheere in barocke Formen zustutzten, konnte der Sinn für die Alpennatur und ihre Schönheit nicht aufkommen. Sie war zu wild, zu groß und frei für diese engherzigen, verschnörkelten Caricaturmenschen; diese bauten sich mit dem Gelde ihrer „getreuen Unterthanen“ lieber ihre sonderbaren Schlösser in Gegenden, welche dadurch nicht zu verderben waren, so in den Sumpf nach Schleißheim oder auf die sterile Ebene Forstenrieds bei München. Was hohe Herren thaten, ward natürlich Mode bei dem Volke, und so kam es, daß dies die heute so viel besuchten bairischen Alpen „eine horrible Landschaft und arme Gegend“ nannte. Erst viel später, erst als in den zwanziger Jahren München die Heimath deutscher Kunst und Künstler durch Ludwig den Ersten wurde, ging den Münchnern der Sinn für die Alpenscenerie allgemein auf; da schnallte nun Jeder im Sommer vergnügt sein Ränzlein und zog nach der lange gemiedenen Gegend im Süden.

So kamen im Jahre 1828 auch vier junge Gesellen, von denen zwar nur der eine sich durch die damals noch übliche Leinenblouse, durch Farbekasten und Feldstuhl als Maler kennzeichnete, über den Wendelstein, dem Inn entlang bis zu einem großen See, zu dem einst so frommen Chiemsee oder, wie ihn überschwengliche Nativisten getauft haben, zum „Bairischen Meere“.

Dort liegen drei Inselchen, die eine, wohl über eine Stunde lang, trägt ein großes Kloster, das aber schon damals säcularisirt war und statt frommer und gelehrter Augustinermönche kräftige Bräuknechte, Jäger und Holzhauer beherbergte; hier vom Garten der Bräu- und Schloßschenke Herrenchiemsees sahen sie hinüber nach der schwimmenden Perle des Sees, nach Frauenwörth, dessen Häuser, Bäume und Nonnenkloster sich so friedlich in der glatten Fläche abspiegeln, daß wohl Jeder, wie unsre Wandrer, tiefe Sehnsucht fühlt hinüberzufahren nach dem reizenden Eiland. Als sie dort am Morgen im gastlichen Hause der Frau Dumbser erwachten, sahen sie sich an und stillschweigend wurden sie einig, den Wanderstab in die Ecke zu stellen und hier zu bleiben auf dieser göttlichen Isola bella. Ist’s ein Wunder? Säße der Leser, wie ich jetzt, im duftenden Schatten der hohen Wirthslinde Frauenchiemsees, blickte hinüber über die weite, weite Wasserebene mit ihren waldigen Ufern, aus denen friedliche Dörfer wie Edelsteine blitzen und blinken, oder gar hin nach Süden, wo sich frisch und stolz die zackige Kampenwand, der Hochgern mit seinen Schluchten, Felsen, Wäldern und Almen erhebt, oder endlich hin nach dem weiten Thale, aus dem der gewaltige Riese, der Watzmann, so freundlich herübergrüßt oder den Salzburger Untersberg herablassend anschaut, als glaube er nicht, daß in seinem Innern Carl der Große schläft – ich sage, erblickte er all die Herrlichkeit und wölbte sich wie heute der reine blaue Aether über ihm: er würde mich wohl billig einen barbarischen Einfaltspinsel nennen, wollte ich ihm vom Fortgehen reden.

Ja, ich sitze hier an derselben Stelle, wo auch unsere Wanderer am anderen Tage saßen, und vor mir liegt ein heiliges Vermächtniß einer schönen Zeit, ein äußerlich schlichtes Buch, aber werthvoller, als mancher Foliant, der in Bibliotheken ruht und erzählt, wie sich die Menschen mordeten und brandschatzten, um einen Purpur zu bereichern. Ich schlage den Deckel des unscheinbaren Buches auf und werde zu meinem Schrecken gewahr, daß ich meine Erzählung zwar sehr plausibel begonnen, damit aber der hier gegebenen Nachricht von der „Entdeckung von Frauenchiemsee“ geradezu vor den Kopf gestoßen habe, denn danach war die Sache so einfach bei Weitem nicht, sondern eine gefahrvolle, wunderbare Fahrt todesmuthiger Argonauten. Es steht nämlich verzeichnet: „Als man schrieb 1828 nach unseres Herrn Geburt, geschah es, daß ein gar wackerer Hauptmann, Maxen Haushofer geheißen, sich mit seiner Knappschaft, den edlen Jungherren Franz Trautmann und den Gebrüdern Carl und Joseph Boshart, auf den Weg nach Abenteuern aufmachten. Item geschah es, daß, als sie in einem Schifflein auf dem Schliersee fuhren, sich ein groß Windsbraut erhob, also, daß die Wogen immer höher und höher stiegen; gleichzeitig öffnete der Himmel alle seine Schleußen, daß die Wasser wuchsen,“ bis der tapfere Anführer und seine Gefährten keine Ufer mehr sahen. Endlich nach drei Tagen erreichten sie „ein grün Eiland, wo ein wild Volk hausete“, sich ihnen aber freundlich zeigte, auch von seiner „rohen Kost“ brachte, als es Geld bei ihnen sahe; die letztere aber bestand „aus Kartoffelsalat und frischem gehackten Fleisch, welches sie zuvor säuberlich in Fett buken und Coteletten nenneten“. Als der Sturm aufgehört hatte zu toben, die Wogen sich besänftigten, auch die Sonne wieder schien, erkannten die Argonauten erst, daß sie in einem fremden See seien, „den die wilden Eingebornen in ihrer ungeschlachten Sprache den Chiemsee benamsten.“

Somit war die Insel entdeckt. Entdeckt? höre ich fragen und ich antworte: Ja! so gut Amerika von Columbus für die alte Welt entdeckt wurde, so gut wurde es Frauenchiemsee von Haushofer und seinen Begleitern für die Maler; wie die goldgierigen Spanier nach Westindien zogen, um reich beladen heimzukehren, so zogen nun die Künstler hierher und hoben Schatz auf Schatz aus der unerschöpflichen Gegend, wo Land und Leute gleich reichen Stoff zu Bildern gaben. Wer kennt nicht die „Mittage am Chiemsee“ des leider in diesem Jahre verstorbenen Prager Professors Max Haushofer? Wer hat noch nie ein Bierglas im Wirthshause bekommen, auf dessen Deckel das „Ave Maria“ nach Ruben’s trefflichem, nur etwas gar zu fromm-sentimentalem Bilde mehr oder minder schlecht gemalt gewesen wäre?

Die Freunde, als sie endlich die gastliche Insel verlassen mußten, um wieder die Collegien zu besuchen oder zu schwänzen, je nachdem, nahmen doch die Sehnsucht nach ihr mit und priesen ihre Tugenden allerorts. Man hörte, staunte, überzeugte sich im andern Jahre selbst, und schon 1830 galt Frauenchiemsee bei Natur- und Kunstfreunden als ein Eldorado; selbst Fremde lockte schon der Ruf, denn das Fremdenbuch weist aus, daß die Maler C. Himler aus Dresden, Rices aus Dornbirn und Aloys Gatterer aus dem nachbarlichen Tirol hierher kamen. Jetzt begann eine blühende Zeit für die Insel und ihre Gäste. Da gesellten sich der Schlachtenmaler Ludw. Wendling und sein Bruder Georg, welcher später seine spärliche ärztliche Praxis mit der behäbigeren Stelle eines königlichen Schloßverwalters in Nymphenburg vertauschte, zu Max Haushofer und seinen Gefährten und „bildeten die Kneipe weiter“ und sich selbst wohl auch aus. Der Maler Löschhorn kam und führte „die Edeltrinkkunst“ ein, eine Errungenschaft seiner Universitätsjahre. Da wurden kühne Fahrten auf dem See unternommen, aber die schönsten waren jene, welche Trautmann vorgeschlagen. Wenn die Sonne von den Zinnen des Watzmanns den letzten Scheidegruß gesandt, der Himmel sich dunkler und dunkler färbte und ein Stern nach dem andern erwachte, dann zog die Schaar aus dem Hause der Frau Dumbserin mit brennenden Kienfackeln, stieg in die bereitstehenden Einbäume[1] und fuhr hinaus in Mondenschein und See und sang ein Lied, daß die kleinen unsichtbaren Wassergeister heraufschwammen und lautlos zuhörten und den Wellen verboten zu plätschern.

Mit jedem Jahr mehrten sich die Künstlerschaaren auf dem Eilande. Da war 1834 Ruben da, dessen Bildes ich oben erwähnte, welcher aber oft den Pinsel mit dem Stutzen oder der Angel vertauschte, Dr. Carl Noodt, „der seltsame Mensch und Hundsfreund“, wie ihn die Chronik nennt, welcher die Insel bald wie seine Heimath ansah und im Fremdenbuche zweiundzwanzig Jahre später der Erinnerung jener schönen Zeit rührende Worte weiht, sich aber als „Hofrath Dr. Noodt aus Tiflis mit Familie“ unterschreibt; seit 1862 ist auch er todt. Dann der kleine Mann mit dem ungeheuren Baß, C. Altmann, der uns in seinen Bildern das Leben der Wilderer und Schmuggler schildert, ein ebenso vortrefflicher Mensch, wie wunderlicher Heiliger, welcher für seine Freunde Alles wagen, für sich aber nie rasch zu einem Entschlusse kommen konnte. So, um nur Eines zu erzählen, besuchte er in seinem fünfundfünfzigsten Jahre, als er durch den Tod seines Vaters ein anständiges Vermögen geerbt hatte, Trautmann und sagte: „Höre, alter Freund, ich habe da einen dummen, aber sehr gescheidten Gedanken; was meinst Du, sollt’ ich nicht heirathen?“

  1. Einbäume nennt man zum Kahne ausgehöhlte Eichen, wie dies im Oberlande üblich ist.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_441.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)