Seite:Die Gartenlaube (1867) 442.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Ei versteht sich, Du hast ja Geld, auf was willst Du denn noch warten?“ frug sein Freund.

Nach einiger Zeit, in welcher Altmann das Zimmer mit raschen Schritten maß, antwortete er: „Ich muß mir’s doch noch überlegen, weißt Du, ich möchte eigentlich mir lieber ein Reitpferd halten.“[1]

Das nächste Jahr wurde die Republik der Künstler, welche sich hier zu den königlichen Aufträgen die nöthige Kraft holten, durch den liebenswürdigen Genremaler Heinrich Varr vermehrt; er kam eben aus England, noch voll des Entzückens nicht sowohl über die Werke van Dyk’s, als über die dortige kräftige Kost, so daß er zur Befriedigung sämmtlicher Zunftgenossen „denen wild Köchinnen die Kunst der Beefsteakbereitung lehrete“. Vor Allem aber that er damit dem sehr langen, hagern Maler Adolph Mende einen Dienst, denn dieser war ebenso gewaltig im Essen, wie im Stil seiner großen Genrebilder, für welche aber die edlen Patricier in Basel, unter denen er längere Zeit lebte, so wenig Sinn hatten, daß er dieselben sammt und sonders in Caricaturen feierte. Man erzählt sich, daß, als sich in Basel für diese aus leicht begreiflichen Gründen kein Verleger fand, er sie in München erscheinen ließ und die guten Geschäftsleute dadurch zwang, die ganze Auflage aufzukaufen – der Posten mag sich in den dicken Hauptbüchern gut ausgenommen haben: „Für Ankauf meines Zerrbildes neun Franken fünfzig Centimes“. Das war der Zorn eines gelangweilten Künstlers!

Weiter berichtet die Chronik von ihm, daß er Anno 37 sich drei Viertel Jahre auf Frauenchiemsee aufhielt, „also daß unter den Eingebornen eine arg Hungersnoth entstand, sintemalen vorbemeldeter Mende ihren ganzen Vorrath aufgezehrt hatte“. Allein er fand seinen Rivalen. Bernhard Fries kam mit schwer beladener Mappe und mit verdorbenem Magen aus Italien – den letzteren mochte er den Pommeranzen und Trauben zu verdanken haben – kurz er war entzückt, als am Donnerstag Frau Dumbserin die Terrine mit den kräftigen, nahrhaften Leberknödeln auf den Tisch setzte, und machte so gefährliche, beutelustige Angriffe auf die letzteren, daß den staunenden Tischgenossen nicht viel mehr als das Nachsehen blieb. Sie rächten sich aber und nannten ihn, der uns mit keckem, breitem Pinsel die ganze Gluth und den ewigen Reiz des vielbesungenen und vielgemalten Italiens zu hinreißendem Entzücken auf die Leinwand zaubert, den „Knödelgeier“. Auch dem Maler tiefernster Wald- und Bergeinsamkeit, Eduard Schleich, begegnen wir seit 1833 hier auf dem gebenedeiten Eilande; seinem Vetter August oder besser „Gustel“ widmete kürzlich die Gartenlaube einen längeren Nachruf, der Feder eines jener Argonauten entsprungen, deren Namen ich eben nannte.

Schwer bleibt es, all’ die lustigen, übermüthigen Streiche zu schildern, die hier von geistig hochbegabten, freiheitgewöhnten Männern vollführt wurden; da geschah nichts in der Umgegend oder auf der Insel, das sie nicht für sich auszubeuten wußten; ja später (1839) wurde sogar ein besonderer „Unsinn brütender Rath“ gewählt und Engelbert Seiberts,[WS 1] der Urheber der nicht sehr glücklichen Illustrationen zu Goethe’s Faust, zu dessen Vorredner gewählt. Wendling, der Arzt, veranstaltete ein großes Scheibenschießen, dann „Sacklaufen und Milchfressen für die Nachkommenschaft der wilden Insularen“. Daß aber die edle Wirthin mit Fackelständchen und Liedern vor Allem gefeiert wurde, versteht sich wohl von selbst, und mehr oder weniger mißlungene Illustrationen und Verse geben in der Chronik davon Kunde. Hülfreiche Hand leistete dabei der Stiefelputzer, ein Mann, der mit philosophischer Würde das harte Loos trug, das ihn getroffen. Früher Hauptmann in der baierischen Armee, wurde er wegen eines Duells, in welchem er seinen Gegner erschoß, cassirt und suchte nun hier in der niedrigsten gesellschaftlichen Stellung seinen Unterhalt. Der zweite Liebling aber war der Bauer „Steckafazi“; er lebt noch und renommirt gern von seinem Wildschützenleben und wie oft er habe Modell stehen müssen. Er rächte sich für die vielen Neckereien mit gleichen Waffen; so wußte er z. B. sehr geschickt die Künstler auf die kleine Krautinsel zu locken und dann mit dem Kahne zu entfliehen; nun konnten sie warten, bis er wiederkam, und das geschah erst, wann Mittag längst vorbei und sie tüchtig ausgehungert und ausgedürstet waren.

Kein Kind kann sich auf den Weihnachtsabend mehr freuen, als damals die Künstler auf die schöne, warme Sommerszeit, welche sie nach Frauenchiemsee rief; sie mochten reisen wohin sie wollten, einmal wenigstens mußten sie hier im Jahre einkehren. Ich kann diese Sehnsucht nicht besser kennzeichnen, als wenn ich sage, daß Trautmann einmal spät Abends von München fortging; durch die dunklen Wälder, vorbei an den ausgedehnten Mooren des Vorlands, weiter und weiter ohne Rast, bis er bei Stock das ersehnte Ufer erreichte. Er hatte den sechszehn- bis siebzehnstündigen Marsch zurückgelegt, ohne etwas Anderes genossen zu haben, als ein Glas schlechten Bieres, und fand erst Ruhe, als er das gastliche Dach der Dumbser erreicht hatte! Und Trautmann konnte doch nichts anziehen, als die Gegend und seine Freunde, die er dort wußte. Ja, wäre es Max Haushofer oder Meister Ruben gewesen! das wäre erklärlicher. Ueberall und allerorts spielt sich ein Roman ab, warum nicht hier, wo fünf Töchter der Wirthin der Jungfrau entgegenreiften? Schon 1828 und 1830 thut die Chronik der zarten Gefühle Erwähnung, welche Haushofer zu dem gemüthreichen „Meerfräulein“ Anna oder Nanni hegte; allein erst 1838 führte er sie heim, als sein Künstlerruf ein wohlbegründeter war. Abwechselnd lebte er dann mit seiner Familie in München und auf Frauenchiemsee; selbst als er einem ehrenden Rufe nach Prag als Professor folgte, zog es ihn immer wieder an die geliebten Gestade, und als uns die Nachricht von dem Tode dieses edlen, herrlichen Menschen und Meisters überraschte, bewunderten wir eben wieder im Locale des neuen Kunstvereins einen „Mittag am Chiemsee“, denn in Wiedergabe der heißen, gewitterschweren Sommerluft war Haushofer unübertrefflich, wie auch, ich glaube, sein letztes Bild, „die Aussicht vom Hohentwiel“, es von Neuem bewies. Golden in seinem Charakter, war Haushofer ein poetisch angelegtes Gemüth; heiter bis zur Lustigkeit, verletzte er in seinen gutmüthigen Scherzen doch nie, sondern fesselte dadurch seine Freunde unzertrennlich an ihn und erwarb damit, wie mit seinen Werken, in Jedem, der ihm näher kam, neue Freunde und Verehrer. Seine Wittwe lebt wieder mit ihren beiden Söhnen in München, welch’ letztere den guten Klang des väterlichen Namens jetzt in der Literatur zu erhalten streben.

Ein anderer der Argonauten, Franz Trautmann, hatte als Kind häufig in dem alten (1802 aufgehobenen) Kloster Wessebrunn frühzeitig ebenso die Liebe zu alten, dunklen Geschichten, wie zu den hohen Firnen der Alpen gewonnen. Zeitig entwickelte sich sein schriftstellerisches, wie malerisches Talent, allein erst, als er 1840 das große Künstlerfest im Stil des sechszehnten Jahrhunderts besang und das Büchlein raschen Absatz fand, wandte er sich der Literatur zu, ohne jedoch den Pinsel ganz auf die Seite zu legen. Sein „Herzog Christoph“, „Eppelin von Gailingen“ etc. wurden Volksbücher im besten Sinne; allein nicht nur die Erzählung wurde sein Fach, auch dem Studium der Culturgeschichte widmete er sich mit einem Eifer, der ihn mehrmals in Lebensgefahr brachte. So steht ein tiefer Ziehbrunnen auf der Insel; Trautmann vermuthete Gott weiß was für historische Schätze in der unheimlichen Tiefe und ließ sich hinab. Als er sich vom Gegentheil überzeugt hatte, gab er dem oben harrenden Steckafazi ein Zeichen, welcher ihn heraufwand; als aber T. oben ankam, durchlief ihn ein eiskalter Schauer, wie er sah, daß das eine Glied der Kette bis auf einen bindfadenstarken Draht gerissen war – ein Zug mehr und er wäre hinabgestürzt und zerschmettert. Trautmann durchzog später Europa vom hohen Norden Schottlands bis zum tiefsten Süden, von Ost nach West, aber überall hin begleitete ihn die Sehnsucht nach dem Künstlereiland. Jetzt lebt er hier in München ganz dem Studium der Kunstgeschichte und vornehmlich der des Kunstwerkes im Mittelalter zugethan, über welches er, angeregt durch die übergroßen Schätze des hiesigen Nationalmuseums, soeben ein umfangreiches Werk vollendet hat, wie ich erfahre. – Die schönste Tochter der Frau Dumbser war Susanna. Noch heute sprechen die Leute von den prachtvollen dunklen Haaren, der weißen, feinen Gesichtsfarbe und dem fast classischen Profil; dabei war sie schlank und hoch gewachsen, so daß sie einen Verehrer des Schönen, wie Ruben, leicht fesseln konnte, und wieder (1840) feierte die Republik eine Hochzeit auf der Insel mit Glockengeläute, Böllerschüssen, Gedichten, Sang und Seefahrten in bekränzten Kähnen. Susanna Dumbser wurde Ruben’s bewunderte Gattin; sie folgte ihm nach Prag, wohin er ein Jahr später als Director der Akademie berufen wurde, bis er diese Stelle an Meister und Freund A. Zimmermann, den gewaltigen Landschafter, abtrat, um eine gleiche in

  1. Buchstäblich wahr.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint: Engelbert Seibertz (1813–1905)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_442.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)