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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

sagte er sarkastisch, obwohl er mit sichtbarem Interesse ihrer eigenthümlichen Definition der Musik gefolgt war. „Also mein Schluß war falsch und Ihre sehr auffallende Beklommenheit vorhin überflüssig,“ fügte er nach einer Pause scharf hinzu. „Es muß das ein merkwürdiges Geheimniß sein! … Ich hätte fast Lust, schließlich doch noch kraft meines Amtes als Vormund auf eine Darlegung Ihres Lebensplanes zu dringen.“

„Das würde umsonst sein,“ erwiderte sie ruhig und entschieden. „Ich werde nicht sprechen… Sie haben es mir selbst freigestellt, nach Verlauf von zwei Monaten zu handeln, wie ich wolle.“

„Ja, ja, der Fehler ist leider gemacht,“ versetzte er gereizt. „Aber ich finde es denn doch – gelind gesagt – verwegen, in Ihrem noch sehr jugendlichen Alter Lebensfragen ganz nach eigenem Belieben, ohne jedweden Rath und Beistand eines Verständigen, entscheiden zu wollen… Ich setze den Fall, es handle sich um den wichtigsten Schritt im Leben des Weibes – um ein Gebundensein für immer –“

„In einem solchen Fall wäre mein Vormund der Letzte, den ich um Rath bitten würde!“ unterbrach ihn Felicitas flammendroth im Gesicht. „Ich wäre bereits gebunden, und zwar an einen verhaßten, charakterlosen Menschen, besäße ich nicht eben die Verwegenheit, in meinen Lebensfragen selbst entscheiden zu wollen. … Sie hätten getrost Ja und Amen zu jenem sogenannten ehrenvollen Antrag Wellner’s gesagt, wenn ich schwach genug gewesen wäre, mich durch vorhergehende schlechte Behandlung und Drohungen einschüchtern zu lassen!“

Dieser Vorwurf traf wie ein zweischneidiges Schwert, denn er war gerecht. Der Professor biß sich auf die Lippen – sein Blick irrte einen Moment unsicher über die Steinplatten zu seinen Füßen.

„Ich habe freilich gemeint, die mir von meinem Vater gewordene Aufgabe so am besten zum Abschluß zu bringen,“ sagte er nach einer peinlichen Pause – seine Stimme hatte bei Weitem nicht die gewohnte Festigkeit. „Es war ein Irrthum; aber durchaus kein hartnäckig behaupteter, wie Sie wissen. Wenn ich auch auf den Rath und das Zeugniß meiner Mutter hin ohne nähere Prüfung meine Einwilligung gegeben habe, so bin ich doch weit entfernt gewesen, Ihren Entschluß durch Zureden oder wohl gar Strenge beeinflussen zu wollen… Uebrigens sollen meine Worte von vorhin der letzte Versuch gewesen sein, mein Vormundrecht zu gebrauchen,“ fuhr er nicht ohne Bitterkeit fort. „Ich muß Sie Ihrem Schicksal überlassen… Sie gehen ihm froh und hoffnungsvoll entgegen?“

„Ja!“ antwortete das junge Mädchen mit leuchtenden Augen.

„Und glauben, in dem neuen Verhältniß glücklich zu werden?“

„So gewiß, als ich an ein schöneres Jenseits glaube!“

Er hatte bei seiner letzten Frage einen jener durchdringend prüfenden Blicke auf ihr ruhen lassen, wie er sie wohl bei seinen verstocktesten Patienten anzuwenden pflegte; als aber ihr Gesichtsausdruck immer strahlender wurde, wandte er wie verletzt oder geärgert den Kopf weg. Er sagte kein Wort mehr. Zerstreut reichte er Aennchen die Hand, griff leicht grüßend an seinen Hut und ging langsam nach dem Hause zurück. –

An demselben Abend saß Rosa in der Gesindestube. Ein zartblauer, duftiger Stoff bauschte sich auf ihrem Schooße und ihre Finger handhabten die Nähnadel mit beinahe fieberhafter Geschwindigkeit. Friederike leistete ihr Gesellschaft. Das Kammermädchen sah sich genöthigt, bis nach Mitternacht zu arbeiten, und da hatte die alte Köchin den vortrefflichen Einfall gehabt, einen „steifen“ Kaffee zu kochen „nur von wegen des Munterbleibens“.

Es hatte längst Zehn geschlagen. Felicitas war in die Schlafkammer gegangen, um sich zur Ruhe zu begeben, aber das unaufhörliche Geplauder der nebenansitzenden Kaffeetrinkerinnen machte ihr den Aufenthalt in dem dumpfen, schwülen Raum unerträglich. Sie öffnete das Fenster weit, setzte sich auf den Sims, die gefalteten Hände um die Kniee legend, und sah hinaus in den Hof. Er war nicht ganz dunkel. Auf den Vorsälen des ersten und zweiten Stockes brannten noch die Astrallampen. Durch die hohen Fenster fielen lange Lichtsäulen auf das Steinpflaster; sie streiften den silbern aufblitzenden Wasserstrahl des rauschenden Röhrenbrunnens, ließen in unheimlichen Ecken trübe Glasscheiben aufglühen und warfen schließlich noch einen falben Schein auf die ziemlich weit entfernte Façade des Hinterhauses. Ueber das große Viereck der Gebäude aber spannte sich der flimmernde Nachthimmel. Unverändert, wie vor längst verrauschten Zeiten, sahen seine Sternbilder herein in den Hofraum, den die Sage mit haarsträubenden Gespenstergeschichten bevölkerte – sie hatten Diejenigen, die jetzt als wehklagende Schemen hier angstvoll umherschweben sollten, in blühender Leibesgestalt gesehen, edle Ritter und stattliche Handelsherren, vornehme Damen in seidener Schleppe und die ehrbar im Leinenkleid einherschreitende bürgerliche Hausfrau; zu ihnen hatten Augen aufgeblickt, aus denen Weltlust glühend begehrlich sprühte, auch solche, die im aufgeblasenen Eigendünkel kalt und theilnahmlos an Gottes wundervollster Schöpfung vorüberstreiften, scheue Augen, hinter denen das Verbrechen lauerte, und in Thränen schwimmende, bang blickende Kinderaugen – der Glanz war verlöscht, sie alle moderten; aber die große Lehre der Natur, daß Alles vergehen müsse, bleibt unbegriffen. Geschlecht nach Geschlecht that die Augen auf und schloß sie wieder, und was zwischen diesen zwei Momenten lag, das war Kampf und Ringen um ein Stück Erde, Titel und Würden, volle Kästen und Kleiderpracht gewesen. Und ein die Welt bewegender Zug im Menschencharakter, er trat auch hier hervor: die Herrschsucht, der unheimliche Trieb, andere Menschenkinder hinabzudrängen und ihnen den Fuß auf den Nacken zu stellen; und wo äußeres Ansehen und eigenes Geistesvermögen nicht ausreichte, da hüllte man sich in die Weihrauchswolke des Glaubens – Nichts ist mehr verdreht und ausgebeutet worden im Interesse weltlicher Zwecke, als Gottes Wort, nie ist mehr gesündigt worden, als in Gottes Namen!

Während diese Gedanken hinter der Stirn des jungen Mädchens kreisten, wechselten drüben in der Gesindestube Friederikens blecherne Stimme und der schneidend hohe Sopran der Zofe unaufhörlich im Zwiegespräch.

„Ja,“ sagte Rosa, plötzlich auflachend, „meine Gnädige fiel aus den Wollen, als der Professor heute gegen Abend zurückkam und erzählte, daß er mit verschiedenen Herren und Damen übermorgen eine Partie auf den Thüringer Wald machen wolle – der und eine Partie! Gott im Himmel! In Bonn hockt er Jahr aus, Jahr ein hinter den Büchern, geht zu seinen Patienten und auf die Universität – das ist Alles! Kein Ball, keine Soirée… Gräulich! An den Männern kann ich nun einmal das Frommthun nicht ausstehen!“

„Pfui, schämen Sie sich, Rosa!“ schalt Friederike entrüstet. „Wenn das Ihre gnädige Frau hörte!“

„Na ja, Alles hat seine Grenzen… Im Institut ist er so gewesen, daß er am liebsten nicht mehr gegessen und getrunken hätte, um heilig und selig zu werden – damals hat ihn kein Mitschüler ausstehen können!“

„Die Menschen sind zu schlecht! – Da können sie ihn wohl jetzt auch noch nicht leiden?“

„Ach nein – jetzt wird er vergöttert… Wie er’s angefangen hat, weiß ich nicht, aber seine Studenten hätscheln ihn wie ein Wickelkind, und die Damen – na, das ist geradezu schauderhaft – die küssen ihm wo möglich die Hände, wenn er ihnen ein Recept verschreibt. Meine Gnädige macht’s ja nicht besser – ich möchte mich manchmal grün ärgern! Ja, wenn er noch hübsch wäre! Aber so ein häßlicher Mann mit dem rothen Bart und den ungeleckten Manieren! Mir sollte er kommen, der ungeschliffene Bär! … Der curirt Alles mit Grobheit. Meine Gnädige liegt z. B. in Krämpfen; da tritt er an das Bett, sieht sie an, als ob er sie mit den Augen spießen wolle, und spricht: ‚Nimm Dich zusammen, Adele! Auf der Stelle stehst Du auf! Ich werde einen Augenblick hinausgehen, und wenn ich zurückkomme, wirst Du angekleidet dort auf dem Stuhle sitzen – hast Du mich verstanden?‘ Und er kam wieder herein, und sie saß richtig da – die Krämpfe sind auch weggeblieben; aber sagen Sie selbst, ob das nicht scheußlich ist, eine Dame von Stande so zu behandeln?“

„Er hätte es höflicher machen können, freilich!“ meinte die alte Köchin.

„Er tyrannisirt sie überhaupt fürchterlich… Ihre ganze Freude ist, sich gut anzuziehen. Ich sage Ihnen, Friederike, wir haben in Bonn Schränke voll Kleider, daß man sich nicht satt sehen kann, und was die Mode bringt, das wird mitgemacht. Weil aber der Herr Brummbär immer salbungsvoll von der Einfachheit predigt, da läßt sich meine Gnädige nie in einem eleganten Anzug vor ihm sehen – Mull, nichts als Mull! … Wenn er nur wüßte, wie theuer die weißen Fähnchen kommen! … Er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_451.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)