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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und ja keine Minute des Unterrichts, kein Wort des Lehrers versäumen wollen.

Weit gefehlt! Nicht um einen Cursus, sondern um die neuesten Curse zu hören, stehen die Männer da, nicht Wissen, sondern Haben ist ihr Zweck; die kleinen Händler und Pfuschmäkler und die kleinen Getreidespeculanten und -Mäkler, die noch vor Beginn der Börse die „Stimmung“ zu erforschen versuchen, keine Philosophie ist diesen Allen bekannt, als unbewußt die pythagoräische, nach welcher die Welt aus Zahlen besteht (obwohl auch Manche unter ihnen entschieden nur durch Nicht-Zahlen bestehen). Sie unterhalten sich über die letzten Ereignisse, ob der Kaiser von Oesterreich wirklich constitutionell regieren wird und welches Papier dabei am meisten in die Höhe gehen dürfte; ob durch das polnische Attentat „Russen flau oder fest“ sein werden; ob man nicht süddeutsche Actien „fixen“ (d. i. zu einer gewissen Zeit liefern) sollte, da die Einigung mit Norddeutschland doch größere Militärlast und nothwendigerweise auch neue Anleihen nach sich ziehen müßte. Wahrlich, sie verstehen es, die Weltgeschichte zu taxiren!

Es schlägt Zwölf. Die Pforte öffnet sich, der Schwarm dringt in das Innere und vertheilt sich. Es ist noch still. Die alten und die neuen Bankiers – ich werde diesen Ausdruck später genau erklären – sind noch nicht angelangt, das Geschäft ist unentwickelt. Sehen wir uns ein wenig um. Der herrliche Saal ist durch eine Reihe von einhundert achtundzwanzig Granitsäulen, die längs den Wänden gehen und ihn dann in der Mitte durchschneiden, in zwei Räume getheilt; in dem vordern wird die Fondsbörse, in dem andern die Fruchtbörse abgehalten.

Oben erblicken wir zuerst prachtvolle Wandgemälde von Klöber: die Sinnbilder der Landescultur, Holzhauer, Fischer, Erntewagen, in der Mitte die altgriechische Göttin der Naturkräfte, Kybele – für welche schon die römischen Kornhändler und -Wucherer besondere Ehrfurcht hegten – endlich Amor und Venus. Ueber der Fondsbörse schwebt Vulcan als Geldpräger, Mercur, der Gott der Kaufleute, ein feuriges Roß als Sinnbild der Dampfkraft, endlich in einer Ecke – bedeutsames memento! – eine Gruppe, welche die Fabrikation des Papiergeldes darstellt. Im Saale selbst stehen rechts und links Bänke, auf deren Rückseite Metallplatten die Namen der Bankiers und Kaufleute anzeigen, welche hier ihre Plätze fest gemiethet haben. In dem Raume zwischen den beiden Reihen bewegen sich die Kleinen, Kleineren und Kleinsten. Es ist ein Viertel auf Eins. Die Bankiers, die beeidigten Makler sind eingetroffen und sitzen auf ihren Plätzen, das Geschäft ist entwickelt, überall zeigt sich Bewegung; ich treffe einen jungen Bankier, Freund der Tonkunst und Literatur, er bietet sich mir als Cicerone an, und wir beginnen eine Wanderung durch den Tempel Mercurs.

Die kleinen Makler und Händler laufen hin und her mit ihren Bleistiften und Notizbüchern, sie fragen fast Jeden, dem sie begegnen, ob er irgend etwas zu kaufen oder zu verkaufen hat. „Dollars geb’ ich,“ ruft der Eine. „Dollars, Dollars!“ – „Italiener nehm’ ich,“ ein Zweiter. – „Wie sind Mecklenburger zu haben?“ schreit ein Dritter. Russen, Oesterreicher, Franzosen, Lombarden, alle Nationen werden hier ausgerufen und verhandelt. Die Bietenden und Nehmenden drängen sich, schieben sich, stoßen einer den andern bei Seite – mitunter sogar etwas unsanft – doch hierüber entsteht kein Streit, „in diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht“[WS 1] – nur’s Geschäft.

Wir gehen etwas weiter und beobachten einige ergötzliche Scenen. Da sprechen Zwei über einen wichtigen Handel; dabei kann der Eine nicht unterlassen, des Andern schwere goldene Kette zu prüfen, er faßt sie an, wiegt sie in der Hand, und in dem Augenblick, als er die Lieferung und den Curs des Papieres feststellt, kann er nicht umhin zu fragen: „Was kost’ die Kett’?“ Neben diesen Beiden erblicke ich eine Gruppe, würdig, durch den Griffel unseres Hogarth’s vom Kladderadatsch verewigt zu werden. Ein junger Bankier sitzt an seinem Platze und zeigt seinem Nachbar zwei Ringe; vor ihm steht ein Mann mit eifrigster Rede und Geberde. Er bewundert den Glanz, das Feuer der Steine, die Schönheit der Fassung, die Vortrefflichkeit des Goldes, die enorme Billigkeit des Preises; er ruft alle Götter zu Zeugen, daß in der ganzen Stadt kein ähnlicher Ring um so weniges Geld zu haben ist. Der Mann aber – so erklärte mir mein Mentor – will gar kein Geld, sondern ein Börsengeschäft abschließen. Er betreibt eine höchst originelle Industrie: er kauft und verkauft die billigsten Prämien[1] auf der Berliner Börse. Er ist Juwelenhändler, kennt die Wege der Gelegenheitskäufe, erwirbt Steine und Pretiosen zu sehr billigen Preisen und bietet sie den Bankiers für Prämien, die er dann sofort wieder verkauft. Man muß ihn sehen, wie er seinen baumwollenen Regenschirm bald in die rechte, bald in die linke Hand nimmt, um mit der frei gebliebenen kräftiger gesticuliren zu können; wie er vor einem zu niedrigen Angebot zurückprallt, als wollte man ihm an’s Leben; wie er sich dann ein wenig entfernt, mit sich zu Rathe geht, mit den Fingern Zahlen in die Luft schreibt, um zu berechnen, wie viel er noch ablassen könne vom geforderten Preise; wie er darauf wieder an den Käufer tritt, neuerdings handelt und feilscht, bis das Geschäft abgeschlossen ist und er gleich weiter rennt, um nun für die Prämie einen Abnehmer zu finden. Der Preis, um welchen er die Ringe erstanden hat, ist jedenfalls viel geringer, als der Werth der für diese eingetauschten Prämie, er kann daher die letztere mit kleinstem Gewinnste – ja vielleicht unter dem Einkaufspreise – abgeben, und wird noch immer „ein gutes Geschäft machen“.

Neben seiner wirklich genial erdachten und ausgeführten Industrie bietet der Mann mir noch die interessante Erscheinung, daß er als Juwelier die geschmackloseste Busennadel trägt, die mir je untergekommen ist. Während ich ihn noch betrachte, um mir sein Bild genau in’s Gedächtniß zu prägen, vernehme ich hinter mir eine bekannte Stimme; ich wende mich und erblicke Herrn X., einen der elegantesten jungen Börsenhelden, der sich vom Buchhalter eines Großmaklers durch große Geschicklichkeit als „Agent“ zum Chef eines eigenen Comptoirs, zum „neuen Bankier“ emporgeschwungen hat. Er fährt in einer sehr hübschen Equipage, verkehrt sehr viel mit Künstlern und Schriftstellern, am liebsten allerdings mit berühmten und schönen Schauspielerinnen; er hat den Ruf eines liebenswürdigen und gefälligen jungen Mannes, und nur der eine Vorwurf wird gegen ihn erhoben, daß er zu viel schwört; er thut dies auch in jenem Augenblicke.

„Was,“ ruft er, „ich soll mit drei geben, mich kosten sie drei und ein Achtel; bei meinem Leben! Gott der Gerechte! eine Stange Gold kann man verlieren bei solchen Geschäften“ – in diesem Augenblick sieht er mich an der Seite meines freundlichen Führers – „Ah,“ meint er, „ich habe Sie heute Morgen mit dem Legationsrathe X., dem Vertrauten unseres allmächtigen Ministers, gesehen; Sie wissen gewiß etwas Wichtiges und kommen hierher, um einen Coup auszuführen.“

„Ja wohl,“ antworte ich, „einen Auftrag zu vollführen bin ich allerdings hier, für das Haus Keil; wollen Sie mir das Geschäft abkaufen? es ist kein schlechtes.“

„Was haben Sie zu machen?“ fragt Jener.

„Ich kann Ihnen das nicht mittheilen, nur das darf ich sagen, Sie können das Geschäft ungeprüft abkaufen.“

„Das heißt man kein Gebot stellen, auf Wort! Heute könnte man schon alle Geschäfte aufgeben!“ mit diesen Worten will der Elegante sich entfernen, doch die Neugierde ist stärker als sein Unwille; er flüstert meinem Begleiter die Frage zu: „Weiß er denn etwas Neues? Hat er etwas erfahren?“ Der Gefragte zuckt geheimnißvoll die Achseln – ich muß mich einige Schritte entfernen, um nicht in helles Lachen auszubrechen. Horch! Ein Kunstgespräch trifft mein Ohr; es „handelt“ von einer neuengagirten Sängerin.

„Ich sage Ihnen,“ meint Einer, „ich habe sie gestern gehört; sie singt faul, es ist nichts aus ihr zu machen.“

„Das können Sie noch nicht so sicher behaupten,“ entgegnet ein Anderer, „sie hat eine sehr schöne Stimme; übrigens eine Lucca ist sie natürlich nicht.“

Bei diesem Namen verklären sich die Gesichter der Beiden. Wer sind sie, diese Männer, die mitten im Geräusche und der Bewegung noch Zeit und Sinn haben für Kunst und Künstler? Es sind kleine Makler, die nebenbei mit Theaterbillets handeln, sich deren für jede Vorstellung verschaffen, wo der Andrang des Publicums voraussichtlich groß ist, und sie dann mit bedeutendem

  1. Prämie kaufen ist ein Geschäft, bei welchem der Käufer durch Vorausbezahlung einer gewissen Summe das Recht erwirbt, an einem bestimmten Tage eine Anzahl Actien zu einem festgestellten Curse zu nehmen: Die Summe ist quasi als Reugeld zu betrachten, wenn die Actien nicht übernommen werden, dafür ist auch kein weiterer Verlust zu decken.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. aus der „Zauberflöte“, Text von Emanuel Schikaneder (1751–1812)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_457.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)