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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Rechtsgelehrte Hitzig, der bekannte Architekt des gleichen Namens, sie entstammen reichen Geschäftsleuten. Und wenn alle die Genannten jüdischen Ursprunges waren, so ist dies nur ein Beweis mehr, daß nicht der Geldbesitz und dessen Vermehrung, nicht der Glanz durch Reichthum dem Berliner Bankier das Höchste ist, daß er vielmehr die persönliche Geltung noch höher würdigt.

Dieses Bewußtsein prägt sich in der Haltung und dem Gebahren des alten Berliner Bankiers aus; im gesellschaftlichen Leben macht er kein Haus, ist gewöhnlich zurückhaltend, wenig liebenswürdig, im Geschäft geht er immer sehr vorsichtig zu Werke und giebt ihm nicht einmal die Ausdehnung, die von einem großen Hause zu erwarten ist, – aber er genießt als Persönlichkeit große Achtung und seine Accepte betrachtet der vorsichtigste Londoner bill-broker (Wechselmakler)[1] als first-rate (erster Classe).

Seit etwa fünfundzwanzig Jahren ist ein neues Geschlecht im Werden, das in vielen Dingen die Traditionen verlassen hat, ja geradezu einen Gegensatz bietet: es sind die Leute, die ich im Anfange dieser Skizze als „die neuen Bankiers“ bezeichnete. Sie sind meistens ehemals kleine Makler oder Speculanten gewesen und durch glückliche Combinationen zu Vermögen gekommen. Gar Mancher von ihnen ist verschwunden, nachdem er eine Zeit lang sein Schifflein auf der Oberfläche glänzenden Lebens herumgetummelt hatte, Mancher ist wieder emporgetaucht, als man ihn ganz versunken wähnte, nur einige Wenige haben den Weg des bürgerlichen freundlich-bequemen Lebens eingeschlagen, den die „Alten“ gegangen sind und haben sich und ihren Familien einen festen Grund gesichert. Die Mehrzahl eifert den französischen und Wiener Modellen nach; man rühmt von ihnen, daß sie meistens sehr gutmüthige und liebenswürdige Leute sind und daß sie mehr Kühnheit, mehr „Genie“ besitzen als die „alten Philister“.

E. H.




Kaukasische Civilisation.


Die große Slavenwallfahrt nach Moskau, von welcher erst vor wenigen Wochen die politischen und unpolitischen Pilgrime in ihre weitvertheilten Heimathen zurückkehrten, hat im germanischen Europa noch mehr als im romanischen (Italien, Frankreich, Pyrenäische Halbinsel) mancherlei Bedenken über die drohende Zukunftstellung des „Panslavistischen Weltreichs“ wach gerufen, welche durch unsere Tagespresse noch nicht völlig beseitigt worden sind. Oft trägt aber der Einblick in ein einzelnes Haus mehr zur genauen Kenntniß über Charakter und Bedeutung einer Stadt bei, als der schönste Ueberblick über dieselbe vom höchsten Kirchthurm. Das lassen wir uns auch für diese panslavistische Bewegung zur Lehre gereichen, indem wir einen dieser Stämme des großen Russenstaates genauer betrachten. Erwägen wir, daß Rußland unzählige solcher Stämme zu beherrschen und zu civilisiren hat, wie das folgende Lebensbild aus dem Kaukasus uns einen vorstellt, so wird der einfachste politische Hausverstand uns sagen, daß noch Jahrhunderte vergehen müssen, ehe aus solchem Brockenwerk das feste Conglomerat einer bewußten Nationaleinheit entsteht, wie trefflich auch die Natur aller einzelnen Bruchtheile desselben sei.

Bei dem bewegten und regen politischen Leben in ganz Europa während der letzten zehn Jahre sind die kaukasischen Völker und namentlich die ernsten und einst mit so großer Begeisterung geführten Freiheitskämpfe der Bergvölker des östlichen Kaukasus heute fast vergessen, und nur zuweilen, wenn der Name des alten Imam Schamyl, des berühmten Lesghierhäuptlings, hie und da noch erwähnt wird, tauchen uns alte Erinnerungen daran wieder auf. Derselbe lebt jetzt in der russischen Provincialstadt Kaluga, erhält vom Kaiser Alexander eine jährliche Pension von zehntausend Rubel Silber und wird fürstlich behandelt.

Ob sich dieser kühne Krieger, dieser Stifter einer neuen Religion, der es verstanden hatte, sich aus dem Volke heraus, von einem gewöhnlichen Muriden bis zum Häuptling, zum Propheten seines Volkes zu erheben, der die Kraft besaß, eine ganze Unzahl verschiedener Stämme des kaukasischen Volkes nicht nur zu vereinigen, sondern auch zusammen zu halten und sie die lange Reihe von fast dreißig Jahren zum Kampfe gegen die ungeheure Uebermacht der Russen zu führen – ob sich dieser gewaltige Mann, trotz aller durchaus edlen Behandlung, die ihm widerfährt, und trotz seiner häufigen Loyalitätserklärungen in Kaluga wohl fühlen mag, ist eine andere Frage.

Wenn man die Sache im Großen und Ganzen vom Standpunkt der Civilisation aus betrachtet, so lag es nach einmal angefangenem Kampfe und dem Recht der Eroberung zufolge in Rußlands Beruf, die wilden und halbwilden Bergvölker des Kaukasus der europäischen Cultur zugänglich zu machen, und wenn auch ein großer Theil dieser Stämme heute die Wohlthaten dieser Cultur noch nicht einzusehen vermag, so ist dies in der Natur der Sache begründet und kann erst die Zeit etwas hierin ändern.

Betrachtet man die große Menge der einzelnen Volksstämme im Kaukasus, so findet man sie in Sprache, Sitten, Religion, Tracht und Gebräuchen von einander verschieden, und nur eine Sitte besitzen sie alle, die Adighés (die eigentlichen Tscherkessen) wie die Kabardiner, die Lesghier wie die Tschetschenzen, die Mingrelier wie die Abchasen, Osseten, Georgier, Grusiner und wie sie alle heißen, – Eins haben sie Alle miteinander gemein: die Blutrache. Die Ursachen zu dieser viele hundert Jahre bestehenden Sitte geben die fortwährenden Streitigkeiten über Grund und Boden, die oft zu völligen Fehden eines Stammes gegen den andern ausarten, – oder auch der Raub von Weibern und Sclaven, das Stehlen von Vieh etc. etc. Gerade diese Fehden von Stamm gegen Stamm aber waren es, die es der russischen Regierung leicht machten, im Kaukasus festen Fuß zu fassen, denn unter dem Vorwande, dem schwächern Stamme beizustehen, der auch diese Hülfe stets gern benutzte, drangen die Russen immer weiter in’s Land, errichteten überall Festungen und waren dann stets Herren des einmal beschützten Gebiets.

Auf diese Weise wurden die Russen schon im vorigen Jahrhundert Herren der Kabarda, die, von einem der begabtesten Stämme des Kaukasus bewohnt, ganz im Norden des letztern, östlich vom Beschtau-Gebirge und südlich unter den russischen Bezirken von Pjätigorsk und Mozdok gelegen, viel flaches Land bietet, welches den Russen das Eindringen um so mehr erleichterte, als dies kleine Heldenvolk auf solchem Terrain dem Andrang regulärer Armeen auf die Dauer nicht widerstehen konnte. Die Kabardiner, deren Land vom Terek durchströmt und durch denselben in die kleine und große Kabarda getheilt wird, zeichnen sich durch schönen Körperbau und ritterliche Sitten ebenso wie die Tscherkessen vortheilhaft vor den andern kaukasischen Stämmen aus. Nächst der Blutrache ist ihnen vor Allem die Gastfreundschaft heilig. Den Armen wie den Reichen nehmen sie mit stets gleicher Freundlichkeit in ihrem Hause auf; der Hausherr weist dem Gaste den besten Platz an, setzt ihm die besten Speisen vor und nimmt selbst nicht eher wieder Platz, als bis Jener sich gesetzt hat, – ja sogar ihr Feind genießt dieselben Rechte, sobald er die Schwelle des Hauses einmal überschritten hat. So lange er im Hause weilt, hört die alte Feindschaft auf; der Wirth schützt seinen Gast gegen jede Unbill, und mag derselbe seinen eigenen Sohn getödtet haben – so lange er sein Gast, ist er auch unter seinem Schutz. Sobald er jedoch den ihm feindlichen Aoul (Dorf) verlassen hat, treten auch die alten Rechte der Feindschaft wieder in Kraft. Draußen vor dem Aoul erwartet der kühne Eindringling seinen Wirth zum ritterlichen Zweikampf, und da derselbe, schon durch den Besucher herausgefordert, sich selten zweimal bitten läßt, so entspinnt sich bald außerhalb des Aouls ein Kampf auf Tod und Leben, der an Wildheit, Ausdauer und Gewandtheit, mit der beide Gegner aufeinander eindringen, nicht seines Gleichen hat. Die

  1. Von dieser englischen Specialität und deren Bedeutung hat man auf dem Festlande keinen Begriff. Ich traf im Jahre 1857 in London einen Schulcameraden, der seit fünfzehn Jahren in der englischen Residenz lebte. Er genoß großes Vertrauen in der Handelswelt und erwarb jährlich fünfzehn bis zwanzigtausend Thaler als Wechselmakler, wobei er etwa für zwei Millionen Thaler Wechsel in Umsatz brachte. Und wohlgemerkt, der Mann nahm nie das Accept von Privatleuten an, ja nicht einmal für Kaufleute (merchants) arbeitete er! Sein Geschäft bestand darin, daß ihm große Banken aus den Landbaudistricten baares Geld zum Placiren, dagegen die Banken aus den Industrie-Districten Wechsel zum Verwerthen sandten. Er meinte, in einigen Jahren würde er wohl fünfzigtausend Thaler jährlich erwerben, – wenn er einmal ganz Makler-Maschine geworden wäre.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_459.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)