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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

erste Arbeit mußte auf die Sicherung der Rettungsmannschaft selbst gerichtet sein. Sie bestand in der Verankerung des oberen noch unversehrten Schachttheils von etwa hundertundzwölf Ellen Länge; bis zum Abend des siebenten Juli (Sonntag), wo das Betreten des Schachthauses mir gestattet wurde, waren die ihn haltenden Drahtseile schlaff geblieben, ein Zeichen, daß er bis dahin noch nicht gewichen war. Um den Verschütteten Luft zuzuführen, versuchte man, da Bohrungen nicht zum Ziele führten, auch die Bruchstellen des Schachts sich noch um zwei vermehrten und häufige bedeutende Nachstürze erfolgten, die Verstopfung dadurch zu durchbrechen, daß man mit Steinen beladene schwere Wassertonnen mit möglichster Gewalt hinabließ. Einer der Steiger wagte sogar eine nochmalige Untersuchungsfahrt und versicherte, bis über siebenhundert Ellen Tiefe hinabgekommen zu sein. Da man deshalb die Hoffnung hegte, bis zum oberen Querschlag vorzudringen, so hatte man die mit einem eisernen Dache zum Schutze gegen Nachsturzmassen versehenen Tonnen auch mit Nahrungs- und Labungsmitteln versehen, während oben für die etwa geretteten Kranken und Verwundeten Matratzen und ärztliche Hülfe bereit gehalten wurden.

Das war eine Zeit großer Aufregung für die armen Angehörigen der Verschütteten, die in diesen ersten Tagen noch in Schaaren die Schachtgebäude umlagerten. Tag und Nacht, wie die Rettungsarbeit fortging, hielt die Liebe sie am Ort, und wie lauschten sie den Signalen, sie, denen die sämmtlichen Zeichen des Glöckchens nicht unbekannt waren. Wenn es zum Halt, zum Tiefergehen signalisirte, wie zitterten die erregten Herzen! Wie standen sie lauschend still, wenn zum Emporfahren signalisirt wurde, und wie mochten sie in Schmerz sich zusammenziehen, wenn die sieben Schläge der Gefahr ertönten! Ein einziges kleines Glöckchen, aber welche Sprache redete es zu diesen Unglücklichen in der bangen Nacht und an den schrecklichen Tagen!

Mit einer Aufopferung, einem Muthe, wie kein noch so gepriesener Held ihn auf dem Schlachtfeld größer aufzuwenden braucht, trotzten die tapferen Männer jeder Gefahr, über den ungeheuren Abgrund schwebten sie in ihrer Tonne, umstarrt von wankendem Erdreich, das sie jeden Augenblick mit in die Tiefe reißen konnte. Die Maurer von Postelwitz bei jenem Einsturze an der Elbe, von dem vor einigen Jahren die Gartenlaube Kunde gab, haben ihres Gleichen gefunden, wenn diese armen Bergleute von Lugau nicht noch um Größeres zu bewundern sind.

Und wie groß wäre auch der Preis ihres Sieges! Wie schrecklich bettet der Tod dort Alter und Jugend zusammen! Ein Vater wird bei seinen beiden Söhnen liegen; Väter werden dort erstarren, welchen sechs, sieben, ja zehn Kinder nachweinen; vierzehn junge Männer, die der Tod bei Gitschin und Königsgrätz verschont hat, sind auf diesem „Feld der Ehre“ gefallen! Jeder Ort der Umgegend hat seine Trauer, Neuwiesen und Oberdorf haben je einen, Stollberg und Lungwitz je drei, Oelsnitz und Erlbach je acht, Würschnitz hat fünf, Gersdorf vierundzwanzig und Lugau neunundvierzig Tode in diesem tiefsten Grabe Sachsens zu beklagen. Und wie hat der Zufall, oder, wie das Volk jetzt sagt eine Ahnung Einzelne gerettet, die Andern in den Tod geführt! Etwa fünfzehn Bergleute fuhren an diesem Tage nicht mit an, andere wurden von ihren Frauen beredet, der Arbeit keinen Tag zu entziehen – wie schuldlos sind diese an dem Unglück und wie lastet es nun dennoch auf den Gewissen! Ein junger Mann, der in diesem Schacht schon drei Beinbrüche erlitten, hat auch das große Unglück getheilt, und ein Anderer, der, obwohl krank, durch Daheimbleiben seinen Lohn nicht verkürzen wollte, nahm seine Arzneiflasche mit – zur letzten Schicht.

Denn so ist es nunmehr. Der Menschenkraft trotzt hier spielend mit ihren Kräften die ungeheuere Natur der Tiefe. Die erste Enttäuschung brachte die Wassermasse, welche sich auf der Verstopfungsstelle angesammelt hatte. Sie deutete an, daß die Unglücklichen von jeder Luftverbindung mit oben abgeschnitten seien. Selbst die Rohre des Ventilators fand man durch die Brüche unterbrochen. Da nun die Temperatur in dem tiefen Schacht ohnedies, trotz aller Ventilationsarbeiten, nie unter vierundzwanzig Grad zu bringen war und oft bis auf dreißig Grad stieg, so konnte eine solche Absperrung vom frischen Lebenshauch der Höhe nur im Dienst des Todes stehen. Selbst an labendem Wasser würde es den Verschütteten gefehlt haben, auch wenn Luft ihnen vergönnt gewesen wäre. Einmal gelang es zwar, dem Wasser Abfluß zu verschaffen, aber die Grubendünste, welche aus ihrem Bereiche aufstiegen, waren ebenso wenig hoffnungerweckend, wie die fortwährenden Nachstürze, welche endlich den Lebenden geboten, durch neue Menschenverluste das Unglück nicht noch größer zu machen.

„Die Hoffnung kann man aufgeben, aber die Arbeit nicht!“ Nach diesem Grundsatze ist ein anderer Plan, bis zu den Verschütteten vorzudringen, entworfen und sofort begonnen worden.

Wir müssen den doppelten Umstand voraus bemerken, daß der kühne Steiger Schubart,[WS 1] als er, nach seiner Messung, bis in große Nähe des oberen Querschlags niedergefahren war, wonach ein Niederstürzen der ganzen Verstopfungsmasse in den untersten Schachtraum stattgefunden haben mußte, dennoch kein Lebenszeichen der Verschütteten hervorrufen konnte, trotzdem diese, nach Annahme der Fachmänner, in diesen oberen Querschlag sich nicht nur sämmtlich hätten zusammenfinden können, sondern ohne Zweifel auch dorthin würden geflüchtet haben, und daß endlich spätere Nachforschungen mittels niedergelassener Tonnen den Schacht abermals in der Nähe der dreiundzwanzigsten Bühne verstopft zeigten. Dies Alles sammt den sich mehrenden Nachstürzen bestimmte die nunmehr von der sächsischen Regierung beauftragten Leiter der Rettungsarbeiten im Schacht, die Versuche, vor Allem schnell zu den Verschütteten zu gelangen, aufzugeben und einen zwar langsameren, für die Arbeiter selbst aber weniger gefahrvollen Weg einzuschlagen.

Dieser Beschluß mag hart klingen, vor Allem von den Hinterbliebenen der armen Opfer der Tiefe als niederschmetternde Härte empfunden werden, aber er ist gerechtfertigt durch die Pflicht gegen die Lebenden, sie nicht nutzlos Todesgefahren preiszugeben. Das Wegbleiben der Angehörigen von der Unglücksstelle ist wohl in der Vernichtung ihrer letzten Hoffnung mitbegründet: erst das Auffinden, das Emporziehen der hundert Leichen, wenn sie überhaupt gefunden werden, wird den Schachthügel noch einmal zur Stätte namenlosen Jammers machen.

Man hat beschlossen, zunächst den noch vorhandenen Schachtzimmerbau zu verstärken und das Schachthaus selbst durch mächtige Säulen zu stützen, um es fähig zu machen, die Niederbringung der furchtbaren Lasten auszuhalten, die man ihm nun zumuthen wird. Man will nämlich einen ganzen Eisenschacht in die Tiefe führen, indem man Rohre von starkem Eisenblech, in Einzelstücken von zehn Ellen Länge und einer Elle zwölf Zoll Durchmesser, im Schacht zu Stücken von hundert Ellen Länge zusammenschmiedet und an Drahtseilen hinabläßt, bis man die Tiefe des jetzigen Verfüllungsorts, dreihundertachtundsechszig Ellen, erreicht hat. Dann sollen in diesem Eisenschacht gegen fernere Brüche und Nachstürze des Erdreichs möglichst gesicherte Arbeiter niederfahren und die den Schacht sperrenden Massen zu bewältigen suchen. Zeigt unterhalb der bewältigten Masse der Schacht sich noch gut erhalten, so ist der Zugang zu den Verschütteten geöffnet; ist er auch dort brüchig, so haben die Arbeiten ihr Ende gefunden. Sehr wahrscheinlich ist der ganze untere Schacht bis weit über den oberen Querschlag vollständig ausgefüllt, und dann bleibt nichts übrig, als auch die Leichen nunmehr der Erde zu lassen, den ganzen Schacht zuzufüllen und den Abbau des Kohlenwerks von Neuem zu beginnen.

Das Schachthaus sah ich bereits gestützt und die Zimmerleute am Schachte thätig, gegen hundert Ellen Eisenrohre, für deren rascheste Herstellung Richard Hartmann in Chemnitz seine bekannte Kraft aufbietet, lagen bereits im Hofraum und wurden zusammengenietet. Die Balkenunterlage des Röhrenschachtes wurde in den Schacht befördert. Es sind Arbeiten, die ebenso viel Muth, wie Kraft und Ausdauer in Anspruch nehmen. Und welch’ ein Bild gewährt diese Arbeit! Der ganze Schachthügel mit seinen Gebäuden ist eine Stätte geregeltester Betriebsamkeit. Wüßte man nicht, wozu hier Alles geschieht, man freute sich der schönen industriellen Thätigkeit. Die Directoren und sonstigen „Oberen“ sitzen bald zu Rath in ihrem Comptoirzimmer, bald gehen sie, zu den einzelnen Werkstellen, Alles ruhig und fest, ohne Hast! Zimmerleute und Maurer, Schmiede und Schlosser, alle wie an altgewohnter Arbeit. Nur schweigsamer ist hier Alles, als auf anderen Werkstätten, und nur, wenn der Bergmann, welcher am Eingange zum Schacht sitzt, auf seine Schiefertafel immer neue Erdstürze im Schacht aufzeichnet und wenn mitunter so mächtige Schläge in der Tiefe erschallen, daß oben Boden und Gebälk zittert, blickt Mancher besorgt zur Backsteinmauer des Schachthauses hinauf und fragt: „Wie lang wirst du noch stehen?“ Wer berechnet

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vergleiche dazu die Berichtung in Das furchtbare Trauerspiel in Lugau.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_463.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)