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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

sich trug – so sehr war sie es allein, die ihn zum König machte! – denn Ladislaus nahm ihn sammt der Krone fest und behielt letztere, als er jenen aus der Gefangenschaft entließ. Der Nachfolger desselben, der oben genannte Gegenkönig des jungen Wenzel, Karl Robert Anjou, hatte sich zwar einstweilen mit einer andern Krone, also unecht, krönen lassen, rief aber sein Heer gegen Siebenbürgen zusammen, worauf Ladislaus das Kleinod auslieferte und die Krönung mit der „heiligen Krone“ geschehen konnte. In der bald darauf hereinbrechenden Türkennoth wurde sie nach dem hohen Schlosse Vissegrad geflüchtet.

In noch größere Gefahr kam die Krone bei der nächsten „Königswahl“, nach dem Tode des edlen deutschen Kaisers und Ungarnkönigs Albrecht’s des Zweiten (1439). Er hinterließ seine Gattin Elisabeth gesegneten Leibes, und sie gebar 1440 einen Sohn. Während nun eine andere Partei Wladislaw von Polen zum König und zugleich zum zweiten Gatten der Elisabeth bestimmte, ließ diese durch ihre treue muthige Kammerfrau, die Kottanerin[WS 1] wird sie genannt, die Krone von Vissegrad heimlich wegbringen. Mitten im Winter, im Schlitten, ging die Fahrt über die Donau, die Krone war in die Kleider der Kammerfrau gehüllt. Da fiel der Schlitten um und das Eis brach. Nur mit knapper Noth wurden Frau und Krone gerettet. Elisabeth krönte mit ihr ihr Kind und verbarg sie in dessen Wiege.

Später kam die Stephanskrone als Pfandstück nach Wien und erst nach dem Siege des Matthias Corvinus über Kaiser Friedrich den Dritten, gemäß dem Friedensvertrage und allerdings gegen eine Abfindung von sechzigtausend Ducaten, nach Vissegrad, das nun durch Reichstagsbeschluß zu deren Verwahrungsort erhoben wurde, zurück. Um so wichtiger erwies sich fortan das hohe Amt der beiden „Kronhüter“. Denn Johann Zapolya nahm als solcher die Krone in Besitz und verlor sie durch seinen Collegen Perenyi, der sich ihrer bemächtigte, um sie an Kaiser Ferdinand den Ersten auszuliefern.

Nun begann ein neuer wunderbarer Schicksalswandel mit ihr. Perenyi blieb Kronhüter für Ferdinand, verlor aber die Krone auf einer Reise – er trug sie demnach auch da bei sich! – an die Rebellen, die sie Zapolya zurückgaben. Zapolya hatte indeß bei Sultan Soliman Schutz gesucht und dieser kam mit seinem Heer im Sommer 1529 über Ungarn gegen Ofen und Wien herangezogen. Auf dem Mohacser Felde, wo Zapolya mit seinen wenigen Truppen zu ihm stieß, zwang er ihn, Ungarns Reichsinsignien sammt der heiligen Stephanskrone ihm auszuliefern. Das hat den Fluch der Ungarn auf Zapolya’s Haupt geladen bis diesen Tag. Nach dem Abzug von Wien gab Soliman die Kleinodien zwar zurück, aber indem er Zapolya als König von Ungarn seinen „Freund, Bruder und Lehnsmann“ nannte. Zapolya’s Wittwe stellte die Krone Ferdinand dem Ersten wieder zu.

Nachdem sie ein halb Jahrhundert, bis zum Beginn des dreißigjährigen Krieges, in Prag ausgeruht, kam sie nach Ungarn zurück, um sofort von dem Siebenbürgener Fürsten und Rebellen Bethlen Gabor gepackt zu werden, der sie erst drei Jahre später, in Folge des Nikolsburger Friedens, wieder herausgab. Fortan war erst Preßburg, dann, unter Kaiser Joseph dem Zweiten, von 1784 bis 1790 Wien, und von da an Ofen ihr ungestörter Aufenthaltsort, bis die Revolution von 1848 sie zu neuen Irrfahrten herausriß. Ganz im ungarischen Nationalgeist legte auch Kossuth das höchste Gewicht auf die Reichskleinodien, die er sofort in seine Gewalt nahm. Er behielt sie stets bei sich, sie wanderten mit ihm von einem Regierungssitz zum andern und – „als Ungarn zu den Füßen Sr. Majestät von Rußland lag“ – auf einem Bauernwagen der türkischen Grenze zu. Mit dem „Gouverneur“ war auch die heilige Krone Stephans verschwunden. Wir haben’s ja Alle erlebt, wie das Schicksal dieser Schätze damals die Tagespresse beschäftigte. Nur Eines vermuthete man mit Recht: daß Kossuth mit der eisernen Kiste sich schwerlich über die türkische Grenze gewagt haben werde. Und so fand es sich später. Im dritten Jahr des Geheimnisses kam der Schatz wieder an’s Tageslicht. Kossuth hatte die Kiste im Walde unweit Orsova, am Einfluß der Czerna in die Donau, Neu-Orsova gegenüber, vergraben. Da jene Stelle den Ueberschwemmungen sehr ausgesetzt ist, so scheint Kossuth an eine Wiederausgrabung der Kiste gedacht und darüber Mittheilungen gemacht zu haben, die nach Wien verrathen worden sind, denn es begannen seitdem unter der Leitung eines österreichischen Auditors, Titus Karger, Nachgrabungen in der richtigen Gegend, die am achten September, genau dem Tage der Geburt Mariä, der Schutzpatronin Ungarns, zur Entdeckung der Nationalheiligthümer führten. Seit zehn Jahren verewigt eine byzantinisch-maurische Capelle die denkwürdige Stätte.

Hüten wir uns, den Ungarn diesen politischen Aberglauben hinsichtlich ihrer Reichskleinodien zu verargen; wo er, mit solchem Ernst und solcher Energie verbunden, solche Ziele erreicht, werden wir ihn hoch über seinen religiösen Bruder zu stellen haben, der in seinen Reliquiencapellen zu Aachen und Trier für uns Deutsche so niederdrückende Triumphe feiert. Ueber dem Aberglauben thront der Glaube der Nation, daß Ungarn einer besseren Zeit entgegen gehe, und wenn die Stephanskrone auf des neuen Königs Haupt mehr solche Gedanken erzeugt, wie die allumfassende Amnestie und das noch weit herrlichere Zeugniß wahrer Versöhnung: die Spendung der Krönungsgeschenke für die Nachkommen der Honveds – dann wollen auch wir sie mit Ehrfurcht betrachten, denn sie leistete mehr, als alle kirchlichen Wunder je vermocht. Die Monarchengeschichte verzeichnet’s zum ersten Mal: daß ein Fürst den Kindern, deren Väter das Schwert gegen ihn geführt, die Hand zum Wohlthun gereicht.

Da die Gartenlaube in zeitgeschichtlichen Mittheilungen mit der Tagespresse unmöglich gleichen Schritt halten kann, die Schilderungen des Krönungsfestes zu Ofen-Pest folglich längst in den Händen ihrer Leser waren, so können wir von diesen absehen, glaubten aber, den höchsten Augenblick der Feier und den zugleich einzigen in seiner Art, durch tüchtige Künstlerhand dargestellt, in der Gartenlaube bildlich wiedergeben zu müssen; Bekanntlich bestimmt das Krönungsceremoniel, daß der König, nachdem ihm im Dome der gesammte Krönungsornat angelegt und die Krone des heiligen Stephan auf das Haupt gesetzt ist, auf einer Bühne unter freiem Himmel vor allem Volke den Decretaleid zu leisten hat, worauf er das Roß besteigt und auf den sogenannten Krönungshügel reitet, um dort das Schwert des heiligen Stephan nach den vier Himmelsgegenden zu schwingen, zum Zeichen, daß er bereit sei, das Ungarland gegen jeden Feind zu vertheidigen, er komme von wannen er wolle. – Es muß in der That für ein monarchisches Herz etwas Entzückendes in dem Schauspiel liegen, einen Herrscher mit der Krone auf dem Haupte und unter freiem Himmel hoch zu Roß – ein Bild, wie nur der kindlichen Phantasie es vorschwebt – hier im Lichte des Tages und in solcher Bedeutung für Volk und Reich zu sehen; aber nicht deshalb, sondern weil in ihm diese Krönung von Volkes Gnaden gipfelte, haben wir diesen Moment auch in der Gartenlaube der Verherrlichung werth gehalten.

H. v. C.




Blätter und Blüthen.


Das furchtbare Trauerspiel in Lugau ist geschlossen: die Rettungswerkzeuge ruhen am Schacht, die Verschütteten sind für todt erklärt und der kirchliche Segen sollte am Sonntage des einundzwanzigsten Juli den Schachthügel zum großen Grabhügel für hundertundzwei auf ewig hier Bestattete weihen. Diese Trauerfeier ist jedoch bis auf Weiteres verschoben, und zwar, wie man veröffentlicht, auf Wunsch der Hinterbliebenen. Sie wird immer noch stattfinden müssen und das ergreifende Bild derselben ist vorauszusehen. Vierundvierzig Wittwen werden auf dem Grabe ihrer Gatten, eine Braut auf dem Grabe ihres Bräutigams, hundertundsiebenunddreißig Kinder auf dem Grabe ihrer Väter knien, und wie viele arme graue Väter und Mütterchen mit dem braven Sohn die Stütze ihres Alters, wie viele Geschwister ihre Brüder, wie viele junge Herzen ihre Freunde und ihr Theuerstes da drunten liegen haben, bleibt wohl ungezählt.

Das völlige Aufhören aller Arbeiten im Schacht, um bis zu den Verschütteten vorzudringen, geschah auf Anordnung des königl. sächs. Finanz-Ministeriums in Folge einer Darlegung der in Lugau thätigen Sachverständigen. Die Regierung hat das von denselben über den Verlauf des Schachtbruchs und der Rettungsarbeiten am siebenten Juli aufgesetzte Protokoll am zehnten Juli veröffentlicht. Vergleichen wir dasselbe mit unserem Brief aus Lugau in der vorigen Nummer der Gartenlaube, so finden wir ihn im Allgemeinen damit übereinstimmend; namentlich ist unsere Vermuthung: „Sehr wahrscheinlich ist der ganze untere Schacht bis weit über den oberen Querschlag vollständig ausgefüllt“ nun von den Sachverständigen als ein Hauptgrund des Einstellens der Arbeiten zur Oeffnung des Schachtes angenommen. Dagegen haben wir einen Irrthum zu berichtigen. Aus den Erzählungen eines Schichtmeisters und eines Bergmanns hatte ich geschlossen, daß Steiger Schubart selbst bis zur Tiefe von über siebenhundert Ellen niedergefahren und also selbst bis in die Nähe des oberen Querschlags

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Koltanerin
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_479.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)