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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Augenzeuge schildert, noch einmal vorführen; zählt doch der Sommer von 1866 zu den denkwürdigsten Zeiten, die jemals über Deutschland aufgegangen sind, und verdient darum[WS 1] auch in den kleinen Einzelnheiten und Episoden im Gedächtniß der Menschen, der jetzt lebenden und der nach uns kommenden, bewahrt zu werden.

Ich hatte nicht erwartet, Kissingen voll zu finden, – schreibt unser Brite – und wunderte mich daher nicht, als mir bei meiner Ankunft gesagt wurde, daß statt der dreitausend Badegäste, auf die man in dieser Jahreszeit gewöhnlich rechne, blos fünfhundert anwesend seien. Diese Leere hatte auf den gewöhnlichen Gang der Cur natürlich keinen Einfluß, bei der uns die Zeit im Badedolcefarniente ganz angenehm verging. Inzwischen hörten wir, daß der Krieg begonnen habe und Ludwig von Baiern sehr gegen seinen Willen in den Kampf hineingezogen worden sei. Die Lager im Süden wurden abgebrochen und in großer Zahl zogen täglich baierische Truppen durch die Stadt, Fußvolk, Reiterei, Geschütze und ein endloser Trainzug, der hauptsächlich aus Bauernwagen bestand. Da in der Stadt so viele Wohnungen leer standen, so hatten wir von der Einquartierung der Truppen keine Unbequemlichkeit und sahen in dem Durchzuge der Truppen blos eine angenehme Unterbrechung der gewöhnlichen Eintönigkeit des Ortes.

Was wir von den Kriegsereignissen hörten, erfuhren wir Alles aus den englischen Zeitungen. Die deutschen Blätter waren sämmtlich stumm und selbst die Frankfurter „Europe“, die sonst eine so laute Sprache führte, sagte nicht viel. Wir lasen übrigens von dem Gange der Dinge in Böhmen, und bei der Nachricht von der Schlacht von Königgrätz gaben wir uns mit der ganzen Welt der Erwartung hin, daß es im Süden nicht ernstlich zum Kriege kommen werde. Die Oesterreicher waren geschlagen, die Hannoveraner hatten die Waffen gestreckt. Gerade jetzt hörten wir, daß die Mainarmee unter Vogel von Falckenstein Befehl zum Vorrücken erhalten habe und daß der Prinz Karl von Baiern, der den Hannoveranern Hülfe zu bringen versucht hatte, von den Bundestruppen unter dem Prinzen Alexander von Hessen im Stich gelassen, bei Dermbach geschlagen worden sei.

Tags darauf ereignete sich in Kissingen eine sonderbare Scene. Am Morgen des 5. Juli ritt ein ungeordneter Haufe Reiterei und Artillerie auf den Marktplatz. Geschütze hatten die Leute nicht und an den Artillerie-Pferden hingen die abgeschnittenen Stränge. Menschen und Thiere sahen gleich erschöpft aus. Unter uns entstand eine große Aufregung, als wir von den Bürgern hörten, daß die Reiterei-Division der Armee von den Preußen eine Strecke jenseits des bekannten Bades Brückenau überfallen worden sei und blos diese kleine Abtheilung sich habe retten können. Die Leute waren ganz entmuthigt und warfen ihren Führern Verrath vor. Da sie sich fest einbildeten, daß die Preußen ihnen dicht auf den Fersen wären, so hielten sie auf dem Marktplatze nur so lange, wie sie brauchten, um eine nothdürftige Ordnung herzustellen, und zogen sich dann weiter südwärts zurück.

Eine Stunde später kam wieder Reiterei und Artillerie durch die Stadt, Kürassiere, Chevauxlegers und Ulanen durcheinander, zu zweien und dreien, mitunter auch ein größerer Trupp mit einem Officier, der seine Leute in Ordnung zu bringen suchte. Die Artillerie hatte nicht ein Geschütz bei sich, von den Ulanen hatten viele die Lanzen von sich geworfen. Alle diese Flüchtlinge schienen die Besinnung verloren zu haben und spornten ihre Pferde, als ob es um’s Leben ginge. Sie glaubten in der That die Preußen auf ihren Fersen und verbreiteten überall die Nachricht von der nahen Ankunft der Feinde, bis sie am Main endlich Halt machten. Wir erfuhren bald die Wahrheit: die wilde Flucht war durch einen panischen Schrecken entstanden. Jenseits Brückenau kam die Division in eine bergige und bewaldete Gegend, die zu Hinterhalten wie geschaffen war. Da man die Preußen in der Nähe wußte, so marschirte man mit großer Vorsicht. Der Vortrab ritt mit der gespannten Pistole in der Hand. In einem Hohlwege, wo eine undurchdringliche Dunkelheit herrschte, ging zufällig eine Pistole los. Die Reiter glaubten, daß man von den Bäumen auf sie schieße, feuerten ihre Pistolen in den Wald ab, machten Kehrt und sprengten hastig zurück. Als sie auf ihre Leute stießen, sahen sie die Colonnenspitze in der Dunkelheit nicht und kamen mit ihr in Collision. Schon von den gefallenen Schüssen beunruhigt, hielten die Baiern ihre Leute für Preußen. Pistolen wurden abgefeuert, ein Kampf entstand, auf der engen Straße geriethen Kanonen, Pferde und Wagen durcheinander. Die schrecklichste Verwirrung folgte und es entstand das Geschrei, daß man verrathen, in einen Hinterhalt gelockt sei. Nun war der panische Schrecken da; Alles floh und zerstreute sich in der Nacht. Um das Maß des Komischen voll zu machen, wurden die stehen gebliebenen Geschütze von einer Abtheilung Truppen, die sich von Kissingen aufmachte, unberührt aufgefunden.

Vom 5. bis zum 9. Juli blieb Kissingen ungestört. Die Anwesenheit der Officiere von Zoller’s Brigade, unter denen der Bruder der Kaiserin von Oesterreich war, trug zur Heiterkeit der Gesellschaft viel bei. Die Behörden haben gewiß gewußt, wie nahe die Preußen seien, von den wenigen Badegästen aber, die geblieben waren, dachte keiner an Gefahr.

Der 9. war ein Montag. Als wir unter den Bäumen im Curgarten unsern Kaffee tranken, bot die Stadt das Bild der größten Ruhe dar. Die Sonne sank tiefer im Westen und ich wanderte mit zwei Freunden zu der Bodenlaube, einer Burgruine auf dem Berge im Osten, die eine schöne Aussicht auf die Stadt gewährt. Als wir auf dem Rückwege den Berg hinabstiegen, überraschte uns der Anblick von Geschützen, die auf der Straße nach Winkels aus der Stadt fuhren, plötzlich auf’s offene Feld einlenkten und auf einem Bergrücken Stellung nahmen. Natürlich eilten wir nach Hause, um den Grund dieser Bewegung zu erfahren. Unterwegs begegneten wir einer langen Linie von Bauernburschen, die sich verstecken wollten, weil sie von den Preußen, welche im Anmarsch seien, zu Soldaten ausgehoben zu werden fürchteten. Bei unserer Ankunft in Kissingen fanden wir Alles in Bewegung. Die Kaufleute packten ihre Waaren, um sie fortzuschicken, die Truppen setzten die Stadt in Vertheidigungszustand.

Man erwartete die Preußen auf der Straße von Brückenau, die von Norden auf der anderen Seite der Saale gegen die Stadt läuft und plötzlich in einem rechten Winkel über eine steinerne Brücke in die Stadt führt. Da die Straße an einen steilen Berg angrenzt und auf der Flußseite blos durch eine Pappelallee gedeckt wird, so war sie den Kugeln sehr ausgesetzt. Die Baiern wollten deshalb ihr Feuer auf diesen Punkt concentriren. Zwei Feldstücke faßten auf einer hohen Straße östlich von der Brücke Posto und wurden von einem Bataillon unterstützt, das sich hinter dem Chausseedamm auf die Böschung legt. Alle Häuser auf unserer Seite des Flusses wurden mit Schießscharten versehen und das große Logirhaus von Adam Hailmann, das dicht an der Straße liegt, stark mit Schützen besetzt, die sich an allen Fenstern durch Matratzen deckten. Die Brücke selbst wurde mit Wagen und anderen zweckdienlichen Gegenständen verrammelt, so daß ohne Artillerie gegen die Stellung nichts auszurichten war. Die hölzernen Brücken der Saale wurden abgebrochen, der eiserne Steg hinter den Arcaden des Curgartens seiner Bohlen beraubt und stark verrammelt. Eine hölzerne Brücke, die jenseits des Curgartens bei Sanner’s Hotel zu Wiesen hinüberführte, wurde ebenfalls abgebrochen, aber die Brückenpfeiler ließ man stehen und dieser Nachlässigkeit hatte die Stadt schließlich ihre Rettung zu verdanken.

Am Abend ritt General Zoller auf seinem grauen Pferde, von seinem Stabe begleitet, an die Brücke und richtete an die Truppen ermunternde Worte. Wir erfuhren auf diese Weise, um was es sich handle. Falckenstein wollte den Prinzen Karl von Schweinfurt abschneiden. Durch seine Schnelligkeit hatte er bereits einen Vorsprung gewonnen, und hielt man ihn nicht bei Kissingen auf, wo sich allein mit Erfolg Widerstand leisten ließ, so wurde der Prinz von einer überlegenen feindlichen Macht eingeholt. Zu General von der Tann waren Boten gegangen und er kam mit seiner Division gewiß von Münnerstadt zu Hülfe, aber den ersten Stoß hatte Zoller mit seiner Brigade von fünftausend Mann allein auszuhalten. Unsere Aufregung und unser Interesse an den kommenden Ereignissen waren zu groß, als daß wir viel an Gefahr gedacht hätten. Wir verhehlten uns aber nicht, daß der Feind, wenn er den Uebergang über die Saale auf keine andere Weise erzwingen könne, die Stadt von den Bergen gegenüber beschießen und bald jedes Haus in Asche verwandeln werde.

Es wurde dunkel und die Truppen legten sich auf ihren Posten längs des Flusses schlafen. Für Manchen war es der letzte Schlaf! In der Stadt gab es noch lange keine Ruhe. Die Straßen waren voll von Truppen, während der ganze Wagenzug Befehl erhielt, eiligst Vorbereitungen zur Abfahrt nach Schweinfurt zu treffen. Bei dem düsteren Licht der rothen Lampen an

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: darumdarum
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_490.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)