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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

befand sich ein junger Mann vom Lande, ein gewisser Elias Howe, der unlängst erst bei Davis als Gehülfe eingetreten war, damals etwa zwanzig Jahre alt. Auf ihn machte die Bemerkung, daß man durch die Erfindung einer Nähmaschine zum reichen Manne werden könne, einen gewaltigen Eindruck. Es war ein grübelnder Kopf, dieser Howe, der selbst schon über allerhand Erfindungen getiftelt hatte, allein nichts weniger als praktisch, dazu trotz seines Alters noch läppisch und kindisch und vor Allem ein Feind jedweder anstrengenden Arbeit. Die Energie, mit welcher ein Watt, ein Stephens und andere Erfinder auf ihr Ziel lossteuerten, fehlte ihm total; allein die Nähmaschine, an die er vorher niemals nur gedacht hatte, wurde gewissermaßen zur fixen Idee bei ihm. Er träumte blos von seiner Maschine; er schlenderte bei den Schneidern umher und sah wieder und immer wieder der Procedur des Nähens mit einer Aufmerksamkeit zu, daß die Leute an seinem Verstande zu zweifeln begannen. Sie lachten laut auf, wenn er seufzend die Haufen zugeschnittener Tuchstreifen betrachtete, die sämmtlich eines und desselben Stiches bedurften, um sich zu Kleidern zusammenzufügen, und klagte, daß eine so einfache, so wenig Kraftaufwand erfordernde Manipulation nicht mittels einer Maschine bewerkstelligt werden könnte, – indeß das Ideal seiner Träume, seines Brütens und Grübelns zu verwirklichen legte er keine Hand an.

So vergingen Jahre. Howe hatte sich selbst als Mechaniker etablirt, allein sein Geschäft wollte nicht vorwärts. Sorgenvoll saß er auf seinem elenden Dachstübchen und wußte oft nicht, wie er für seine hungernde Familie Brod schaffen sollte. Unablässig aber brütete er über seiner Maschine und mußte gar manchmal von seinen Bekannten, ja von seinem eignen Weibe den Vorwurf hören, daß er wohl Besseres thun könne, die Noth der Seinigen zu lindern, als unaufhörlich Hirngespinnsten nachhängen, bei denen doch nun und nimmermehr etwas herauskommen werde.

Und wirklich schien nichts dabei herauskommen zu wollen. Monatelang folgte er falscher Fährte, von der Ansicht ausgehend, daß die Maschine blos nachzuahmen brauche, was er seine Frau täglich mit der Hand thun sah, und daß dazu nichts weiter erforderlich sei, als eine an beiden Seiten zugespitzte Nadel mit dem Oehr in der Mitte, die sich den zu nähenden Zeugstücken entlang bewegen und bei jeder Bewegung den Faden durchziehen müsse. Endlich, nachdem er sich Hunderte von Stunden fruchtlos mit dieser Idee beschäftigt und seinen letzten Dollar an ihre Verwirklichung gewandt hatte, kann ihm 1844 plötzlich der Gedanke, ob es denn auch nothwendig, daß die Maschine die Manipulation der Hand nachahme, ob denn nicht ein anderer Stich möglich sei. Das war die Krisis der Erfindung. Er fiel jetzt darauf, zwei Fäden zu nehmen und den Stich mittels eines Webschiffes und einer gebogenen Nadel mit dem Oehr an der Spitze zu bewerkstelligen, und wußte sofort, daß er nunmehr erreicht hatte, was so lange all’ sein Denken und Sinnen, sein Streben und Mühen gewesen war. Schon im October des genannten Jahres konnte er durch ein rohes Modell von Holz und Draht sich selbst überzeugen, daß die von ihm construirte Maschine wirklich nähte. Wie aber vermochte er Andern die gleiche Ueberzeugung zu verschaffen, wenn er nicht im Stande war, eine mit der Genauigkeit eines Uhrwerks arbeitende Maschine aus Stahl und Eisen herzustellen? Und zur Anschaffung dieser Materialien besaß er keinen Heller!

Zum Glück hatte er in Cambridge einen ehemaligen Schulcameraden, einen Holz- und Kohlenhändler, Namens George Fisher, der vor Kurzem durch Erbschaft zu einem kleinen Vermögen gelangt war. Mit diesem Freunde hatte er oftmals von der Idee gesprochen, die ihn erfüllte, und es war ihm gelungen, jetzt, wo er seine Gedanken gewissermaßen greifbar produciren konnte, Fisher für die Sache zu interessiren, so daß derselbe darauf einging, sich zur Ausbeutung der Erfindung mit ihm zu verbinden. Der einstige Mitschüler gab nicht nur das zur Anschaffung von Werkzeug und Material erforderliche Geld her, sondern nahm auch Howe und dessen Familie in sein Haus und an seinen Tisch auf. Dafür wurde er Miteigenthümer des Patentes, falls die Maschine eines solchen würdig erachtet ward. Fisher war übrigens der einzige Mensch, der in die Projecte seines Freundes Vertrauen setzte; alle Andern, Howe’s eigene Frau nicht ausgenommen, verlachten den Erfinder als einen Träumer und Pläneschmied und überhäuften ihn mit Hohn und Vorwürfen. Es ist eben die alte Geschichte, wie sie mehr oder weniger leider alle Erfinder, alle Wohlthäter und Reformatoren der Menschheit zu erzählen haben. – Emsig arbeitete Howe den Winter von 1844 zu 1845 an seiner Maschine, die so klar vor dem Auge seines Geistes stand, daß er durch kleine Störungen und Hemmnisse, wie sie nicht ausbleiben konnten, in der Verfolgung seines Zieles kaum abgehalten wurde. Im April nähte er die erste Naht mit seinem Apparat und Mitte Mai stand das Werk vollendet. Im Juli endlich gingen die sämmtlichen Nähte zweier vollständiger Anzüge, des einen für ihn selbst, des anderen für seinen Freund und Theilhaber Fisher, aus seiner Maschine hervor – Nähte, die sich nachmals so bewährten, daß sie die Kleider selbst überdauerten; Diese erste Nähmaschine, welche den Ocean zu wiederholten Malen gekreuzt und in unterschiedlichen Gerichtshöfen als stummer, aber unwiderleglicher Zeuge fungirt hat, ist noch heute in Howe’s Geschäftslocal auf dem Broadway New-Yorks zu sehen, und alle unparteiischen Sachkenner, die sie in Augenschein genommen und ihre Leistungen geprüft haben, gestehen zu, daß kein anderer Erfinder jemals mit dem ersten Versuche, gleichsam auf den ersten Wurf die Idee seiner Erfindung alsbald so vollkommen und praktisch brauchbar verwirklicht hat, wie Howe mit seiner Nähmaschine. Es ist ein kleines Ding, diese erste Nähmaschine, eine Schachtel von kaum anderthalb Kubikfuß kann sie bequem beherbergen, und seitdem sind eine Menge von Veränderungen und Verbesserungen an dem Apparate gemacht worden, allein – darüber sind sämmtliche Fabrikanten einig – von all’ den siebenhundert verschiedenen Nähmaschinensystemen, die gegenwärtig existiren, ist kein einziges, welches im Wesentlichen nicht auf Howe’s Urmaschine basirte, wie dies auch viele Rechtssprüche einstimmig bestätigt haben.

Die Maschine war also erfunden und stand leibhaftig und arbeitend da, die eigentliche Leidensgeschichte, eine Leidensgeschichte à la Ressel und Bauer, sollte für Howe und seinen Gesellschafter jedoch erst ihren Anfang nehmen. Nachdem der Apparat seine ersten Stiche vortrefflich vollführt hatte, begab sich Howe zu einem ihm bekannten Schneider nach Boston, der die neue Erfindung praktisch probiren, auf ihr einige Kleidungsstücke nähen und dann ein öffentliches Urtheil über den Befund abgeben sollte. Allein der Mann wollte sich dazu nicht herbeilassen. Jetzt wanderte unser Erfinder mit seiner Maschine von Schneider zu Schneider, doch kein einziger war zu dem Versuche zu gewinnen. Die edlen Ritter von der Nadel erblickten in der Nähmaschine, wenn diese, was ihnen indeß unmöglich schien, ihre Aufgabe löste, nur den sicheren Ruin ihres Gewerbes und beharrten bei dieser ihrer Ansicht volle zehn Jahre hindurch, trotzdem, daß Howe ihnen Gelegenheit gab, sich von den Leistungen des Apparats durch den Augenschein zu überzeugen, und ihnen klar und bündig darlegte, daß ihr Geschäft nicht darunter leiden, vielmehr einen ganz überraschenden Aufschwung nehmen werde. Er hatte in einem großen Confectionsgeschäfte seine Maschine aufgestellt und erbot sich, damit jedwede Naht zu fertigen, die man ihm vorlegen würde. Ein zweifelnder Schneider nach dem andern erschien mit zu nähenden Kleidungsstücken und sah, wie die umfänglichen Nähte in einer Geschwindigkeit von zweihundert fünfzig Stichen in der Minute hergestellt wurden, mithin fast sieben Mal so schnell, als sich die Arbeit durch Menschenhand bewirken ließ. So nähte Howe vierzehn Tage lang von früh bis Abend für alle Welt, ergötzte auch wohl das Publicum durch Ausführung von allerhand Kunst- und Decorationsstichen und durch besondere Bravourstücke seiner Maschine. Endlich forderte er fünf der flinksten und geschicktesten Arbeiterinnen des Etablissements zu einem Wettnähen mit ihm heraus. Zehn Nähte von gleicher Länge wurden hergerichtet; davon sollte fünf die Maschine, die übrigen die fünf Mädchen herstellen. Der Geschäftsinhaber, welcher, die Uhr in der Hand, als Kampfrichter fungirte, versicherte eidlich, daß die Nähterinnen schneller gearbeitet, als gewöhnlich und als sie überhaupt nur eine Stunde es auszuhalten vermöchten – und dennoch war Howe mit seinen fünf Nähten eher fertig, als die Mädchen mit den ihrigen und seine Arbeit die sauberste und haltbarste, die man sehen konnte, wie dies ein Sachverständiger, selbst Schneider, beschworen hat.

Merkwürdig, auch solch’ zweifelloses Resultat konnte Niemanden zur Anschaffung einer Nähmaschine bestimmen, weder Fabriken noch Schneider! Die Mehrzahl der letzteren mochte sich zumeist vor dem Widerstand ihrer Gesellen fürchten, alle aber scheuten die großen Kosten des Apparats. Denn 1845 konnte Howe die Maschine nicht unter dreihundert Dollars liefern, und ein größeres

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_494.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)