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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Kleider- oder Wäschgeschäft hätte vielleicht dreißig bis vierzig Maschinen aufstellen müssen.

Wie schmerzlich diese Erfahrungen auch waren, unsern jungen Erfinder beugten sie nicht nieder. Zunächst galt es nun, das Patent auf seine Erfindung zu erwerben. Abermals schloß er sich in seine Mansarde ein und construirte eine neue Maschine für das Patentamt. Mit ihr und mit den nöthigen Zeichnungen und Documenten in der Tasche machten sich die beiden Associés nach Washington auf den Weg. Sie erhielten das Patent, die Maschine wurde öffentlich ausgestellt, wurde viel angestaunt und gepriesen – von materiellen Erfolgen war indeß wiederum nicht die Rede, und tiefbetrübt und sorgenschwer zogen die jungen Männer aus der Bundesstadt wieder nach Hause.

Fisher hatte jetzt allen Muth verloren. Monate lang hatte er den Erfinder und dessen Familie erhalten, hatte das Geld für zwei Maschinen hergegeben, die Auslagen für die Reise nach Washington und für das Patent bestritten, hatte in Summa mehr als zweitausend Dollars der Sache geopfert und erblickte auch nicht die entfernteste Aussicht, daß die Erfindung jemals nur einigen Gewinn abwerfen werde. Die beiden Freunde trennten sich denn; Fisher betrachtete das aufgewandte Capital als unwiederbringlich verloren und Howe kehrte in seines Vaters, eines ehemaligen Sägemüllers, Haus zurück, ärmer und unglücklicher, als er je gewesen war.

Doch Mütter und Erfinder geben ihre Kinder so leicht auf. Hatte Amerika die Erfindung verworfen, so entschloß sich Howe, sie nun England anzubieten. Unter pecuniärer Beihülfe seiten seines Vaters schickte er im October des nächsten Jahres seinen Bruder Amasa mit einer Nähmaschine nach London, und ein englischer Fabrikant, ein gewisser William Thomas, der in seiner Koffer-, Regenschirm- und Schuhmanufactur in Cheapside nahezu zweitausend Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigte, war der Erste, welcher die Bedeutung der neuen Erfindung begriff und ein Stück Geld daran wagte. Freilich machte er selbst ein ausgezeichnetes Geschäft dabei, Amasa Howe aber ein außerordentlich schlechtes. Für zweihundert fünfzig Pfund Sterling erwarb Ersterer nicht nur die mitgebrachte Maschine, sondern zugleich das Recht, in seinem Etablissement so viele andere aufstellen zu können, wie er in seinem Geschäft bedürfe. Außerdem wurde noch ausdrücklich stipulirt, daß Thomas sich für England die Erfindung patentiren lassen dürfe, dem eigentlichen Erfinder aber von jeder verkauften Maschine drei Pfund Sterling abgeben solle. Er zögerte auch nicht, das Patent zu lösen, und seitdem hat Thomas von jeder der in England fabricirten oder eingeführten Nähmaschinen durchschnittlich seine vier Pfund Sterling als Tribut erhoben und so mit einer Capitalanlage von zweihundert fünfzig Pfund im Laufe der Zeit eine Million Dollars realisirt, während Howe von den ihm zugesicherten drei Pfund niemals einen Heller besehen. Zugleich machte Thomas noch den Vorschlag, Howe solle zu ihm kommen, seine Maschine auf das Nähen von Corsetten und dergleichen einrichten und außer den Auslagen für Werkstatt, Werkzeug und Materialien den glänzenden Gehalt von wöchentlich drei Pfund Sterling beziehen.

Mit diesem Anerbieten reiste Amasa nach Amerika heim. Hier war noch Alles beim Alten; kein Mensch wollte von der neuen Erfindung etwas wissen, die von Thomas gezahlten zweihundertfünfzig Pfund, welche Amasa nach Hause gesandt hatte, waren längst aufgezehrt und andere Aussichten eröffneten sich Howe nirgend. So nahm er denn den Antrag des Engländers an, wie erbärmlich und demüthigend er auch war, fuhr mit seinem Bruder als Zwischendeckpassagier im Februar 1847 nach London und ließ seine Familie kurz darauf dorthin nachkommen. Nach manchem vergeblichen Versuche, nach acht Monaten ununterbrochener Arbeit war es ihm geglückt, seine Maschine den Zwecken der Corsettenfabrikation anzupassen, und Thomas zeigte sich hocherfreut. Allein der Mohr hatte nun seine Schuldigkeit gethan und konnte gehen. Thomas nahm den Ton des Geldmanns gegen den armen Teufel von Arbeiter an, Howe opponirte wider solches Gebahren und der Engländer benutzte mit Vergnügen diese Handhabe, den lästigen Erfinder, aus welchem jetzt nichts mehr herauszupressen war, mit guter Manier los zu werden.

Die Noth, der sich nun Howe, seines Dienstes entlassen, preisgegeben sah, war grenzenlos. Der englische Boden, der ihm nichts als Enttäuschungen gebracht hatte, brannte ihm unter den Füßen; doch woher die Mittel zur Heimfahrt nehmen? Nichts Anderes blieb ihm übrig, als seine kostbare erste Maschine und die Documente seines Patents zu verpfänden! Mit nicht völligen drei Schillingen im Beutel, dem einzigen baaren Vermögen, das er besaß, landete er nach einer Abwesenheit von zwei Jahren im April 1849 vor New-York. Zu einigem Troste fand er wenigstens bald Beschäftigung, obschon nur als simpler Arbeiter in einer Maschinenbauanstalt. Sein Gemüth war ganz umdüstert; er sah aus wie ein lebensmüder alter Mann und mit jedem Tage schwand ihm mehr und mehr die Hoffnung, seine Erfindung noch einmal zur Geltung zu bringen und sich und seinen Kindern nutzbar machen zu können. Zudem, wie die Natur ja selten zwei außerordentliche Gaben in einem und demselben Individuum vereinigt; wie der Mann, welcher eine weittragende Erfindung macht, selten auch der ist, der ihr beim Publicum Eingang zu verschaffen versteht; wie jeder Watt seinen Boulton braucht: so besaß auch unser Howe nicht die nöthige Thatkraft zu dem schwierigen Werke, seiner Maschine, die ohnedies noch zwei- bis dreihundert Dollars kostete und auf der man sich erst einschulen mußte wie auf einem Clavier, zum allgemeinen Gebrauche zu verhelfen. Andern vielmehr war es vorbehalten, das Volk vom Segen dieses ausgezeichneten arbeitssparenden Geräthes zu überzeugen, der Maschine den Platz zu sichern, welcher ihr gebührt und den sie jetzt einnimmt, als eine unentbehrliche Gehülfin und Hausfreundin des Menschen.

Zu seinem Erstaunen gewahrte Howe bei seiner Rückkunft nach Amerika, daß unterdessen die Nähmaschine gewissermaßen berühmt worden war, wenn auch ihr Erfinder vergessen schien. Mehrere geschickte Mechaniker, die seine Erfindung gesehen oder auch nur von ihr gehört und[WS 1] gelesen, hatten sich an der Construction von Nähmaschinen versucht und zum Theil auf Howe’s Grundlage weiter gebaut. In New-York und an anderen Orten der Vereinigten Staaten waren Nähmaschinen öffentlich ausgestellt, in Boston dergleichen bereits in verschiedenen Etablissements in Thätigkeit, freilich sämmtlich noch sehr primitiver Art.

Mittellos wie Howe war, wollte er sich doch nicht dergestalt die Früchte seiner Erfindung entreißen lassen. Sofort begann er den Rechtsstreit gegen die Usurpatoren. Mit einem Darlehen von hundert Dollars, das er nach unsäglicher Mühe auftrieb, löste er zunächst seine in England sammt der Patenturkunde verpfändete Maschine wieder ein, und später fand er in einem gewissen Bliß einen Speculanten, der, allerdings nur gegen eines Andern Bürgschaft, Fisher’s Antheil an dem Patente übernahm. Nunmehr konnte er den Proceß gegen jene Eindringlinge führen und gewinnen, und noch vor Ablauf des Jahres 1850 sehen wir ihn bereits in der Herstellung von vierzehn neuen Maschinen begriffen.

Da trat plötzlich ein anderer Mitbewerber in die Schranken, der Howe’s Interessen auf das Bedenklichste zu gefährden drohte, ein Mann, der alles Das hatte, was ihm selbst fehlte, kühne, rastlose Thatkraft und zähe Ausdauer, und schließlich es wurde, welcher dem Publicum die neue Erfindung aufzwang. Seines Zeichens ursprünglich Schauspieler und Theaterdirector, in Wahrheit ein Abenteurer, der sich bereits in den verschiedenartigsten Berufszweigen und Unternehmungen, bisher jedoch ohne großes Glück, umhergetrieben hatte, war er darauf gekommen, auch einmal den Erfinder zu spielen und zwar – so hat er nachmals vor Gericht beschworen – erfand er 1850 eine Tranchirmaschine, mit welcher er sich nach Boston begab. Bei dem Kurzwaarenhändler, der ihm dieselbe abnahm, sah er zum ersten Male in seinem Leben einige Nähmaschinen, die zur Ausbesserung dahin gebracht worden waren, und der Kaufmann warf beiläufig die Bemerkung hin, wie schade es sei, daß diese Maschinen zu so wenigen Verrichtungen gebraucht werden könnten. „Wäre diesem Uebelstande abzuhelfen,“ meinte er, „alsdann ließe sich wohl ein Geschäft damit machen.“

Der Andere sah sich den Mechanismus genau an und brachte ihn die ganze Nacht nicht wieder aus dem Sinn, so daß er schon am andern Morgen im Stande war, die Zeichnung einer verbesserten Nähmaschine vorzulegen. Seine Skizze – das hat er ferner eidlich betheuert – enthielt drei völlig neue Grundgedanken und fand den Beifall des Geschäftsmannes, dem er die Anregung dazu verdankte. Ohne Weiteres streckte ihm derselbe fünfzig Dollars zur Construction der verbesserten Nähmaschine vor, und mit einem Feuereifer ging der ehemalige Mime an das Werk, der Niemand anders war, als Isaac Merritt Singer, derselbe, welcher gewöhnlich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ünd
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_495.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2017)