Seite:Die Gartenlaube (1867) 497.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 32.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Während dieser Verhandlungen im Wohnzimmer spielte in der Gesindestube des Hellwig’schen Hauses eine ähnliche Scene der Aufregung und Entrüstung. Die alte Köchin lief mit fliegenden Haubenbändern auf und ab, als werde sie gejagt; Heinrich aber stand vor dieser weiblichen Gemüthsbewegung unerschütterlich wie der Fels am Meere. Er war im Sonntagsstaat, und sein Gesicht zeigte ein seltsames Gemisch von Freude, Wehmuth und Laune.

„Du mußt nicht etwa denken daß ich neidisch bin, Heinrich, das wär’ ja unchristlich!“ rief Friederike. „Ich gönn’ Dir’s wirklich! … Zweitausend Thaler!“ Sie schlug die Hände zusammen, rang sie und ließ sie zusammengefaltet wieder sinken. „Du hast mehr Glück als Verstand, Heinrich! … Du lieber Gott, was hab’ ich mich geplagt mein Leben lang, wie bin ich fleißig in die Kirche gegangen, im Winter, in der strengsten Kälte, wie hab’ ich zum lieben Gott gebetet, er solle mich doch auch einmal so glücklich machen – nichts, gar nichts hat mir’s geholfen, und dem Menschen da fällt so ein unmenschliches Glück zu! … Zweitausend Thaler, das ist ja ein Heidengeld, Heinrich! … Aber Eines will mir dabei doch nicht recht in den Kopf – kannst Du denn das Geld auch mit gutem Gewissen annehmen? Eigentlich durfte Dir die alte Mamsell keinen Pfennig vermachen, denn was da ist, gehört von Gott- und Rechtswegen unserer Herrschaft … wenn man’s recht bei Licht besieht, stiehlst Du ja förmlich das Geld, Heinrich; ich weiß doch nicht, was ich an Deiner Stelle thäte –“

„Ich nehm’s, ich nehm’s, Friederike,“ sagte Heinrich in völliger Gemüthsruhe.

Die alte Köchin lief in die Küche und schlug krachend die Thür hinter sich zu.

Das Testament der alten Mamsell, das so heftige Stürme im alten Kaufmannshaus hervorrief, war bereits vor zehn Jahren auf dem Justizamt niedergelegt worden. Es lautete, von der Testatorin selbst aufgesetzt, nach dem üblichen Eingang, im Wesentlichen folgendermaßen:

„1. Im Jahr 1633 hat Lutz von Hirschsprung, ein Sohn des von schwedischen Soldaten ermordeten Adrian von Hirschsprung, die Stadt X. verlassen, um sich anderweitig anzusiedeln. Dieser Seitenlinie des hier erloschenen alten thüringischen Rittergeschlechts vermache ich:

a. dreißigtausend Thaler aus meinem Baarvermögen,
b. das goldene Armband, in dessen Mitte einige altdeutsche Verse, umgeben von einem Blumenkranz, eingravirt sind.
c. das Bach’sche Opernmanuscript; es ist meiner Handschriftensammlung berühmter Componisten einverleibt, liegt in der Mappe Nr. 1 und trägt den Namen: Gotthelf von Hirschsprung.

Ich ersuche hiermit die wohllöbliche Justizbehörde, sofort einen nöthigenfalls wiederholten öffentlichen Aufruf an etwaig existirende Abkömmlinge besagter Seitenlinie ergehen zu lassen. Sollte sich jedoch binnen Jahresfrist kein Ansprucherhebender melden, so ist es mein Wunsch und Wille, daß das Capital von dreißigtausend Thalern, nebst Erlös von dem zu verkaufenden Armband und dem ebenfalls zu veräußernden Bach’schen Opernmanuscript, dem wohllöblichen Magistrat der Stadt X. übergeben werde, und stifte ich hiermit genanntes Capital als Fond zu folgendem Zweck:

2. Die Zinsen des sicher anzulegenden Capitales sollen für alle Zeiten alljährlich zu gleichen Theilen an acht Lehrer der gesammten öffentlichen Unterrichtsanstalten in X. verabfolgt werden, und zwar in der Weise, daß in regelmäßiger Abwechselung keiner der Herren bevorzugt oder übergangen werde. Directoren und Professoren haben keinen Anspruch.

Ich gründe diese Stiftung in dem festen Glauben, daß ich ebenso gemeinnützig testire, als wenn ich eine öffentliche, wohlthätige Anstalt in’s Leben rufe. Noch ist der Lehrerstand das Stiefkind des Staates, noch sind die Männer, deren Wirken einen gewaltigen Stein in der Basis der Volkswohlfahrt bildet, quälenden pecuniären Sorgen ausgesetzt, während an ihren geistigen Anstrengungen Millionen sich bereichern. Möchten auch Andere ihre Augen auf diesen Schatten in unserer hellen, fortschreitenden Zeit richten und einen Beruf heben und stützen, dessen hohe Bedeutung noch von so Vielen unterschätzt wird!

3. Mein sämmtliches Silberzeug und Alles was ich an Schmuck besitze, mit Ausnahme obigen Armbandes, fällt an den derzeitigen Chef des Hauses Hellwig zurück, als alter Familienbesitz, der nicht in fremde Hände kommen soll, desgleichen Alles, was ich an Betten, Wäsche und Möbeln hinterlasse.

4. Meine Handschriftensammlung berühmter Componisten, mit Ausnahme des berührten Bach’schen Opernmanuscriptes, soll von Gerichtswegen verkauft werden. Den Betrag der Verkaufsumme bestimme ich meinen beiden Großneffen, Johannes und Nathanael Hellwig, in Anbetracht, daß ich stets beklagt habe, ihnen nie zu Weihnachten bescheeren zu dürfen.“

Es folgten noch Legate an viele arme Handwerker und dergleichen mehr im Betrag von zwölftausend Thalern, worunter

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_497.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)