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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Grund seines Unmuths zu kennen. Er verlangte bezüglich seiner ärztlichen Maßregeln stets einen unbedingten Gehorsam, und nach Allem, was Rosa über seine Bonner Praxis erzählt hatte, war er gewohnt, seinen Wunsch und Willen stets streng respectirt zu sehen – er hatte Felicitas mehrmals, zuletzt sogar mit großer Ungeduld das Tragen Aennchens untersagt, und heute mußte er abermals sehen, daß sie sein Verbot mißachte… So nur konnte sie sich den Blick voll ärgerlicher Ueberraschung erklären, den er ihr beim Eintreten in den Garten zugeworfen hatte.

Felicitas setzte sich auf eine Bank des weit abgelegenen Dammes. Eine einsame Hängebirke erhob hier ihren feinen, weißen Stamm und ließ die elastischen Zweige zum Theil laubenartig über die Bank fallen. An dieser geschützten Stelle strich der Wind fast unmerklich hin; manchmal zitterten die Gräser auf wie im tieferen Athemholen, und die Birkenzweige schüttelten sich leise. Der Mühlbach aber, durch die Regenfluthen stark angeschwollen, schoß brausend vorüber – ein gurgelndes, mißfarbenes Gewässer, das heimtückisch an den Haselbüschen des Ufers riß und wühlte.

Das Kind pflückte mit unbeholfenen Fingerchen Wiesenblumen, und Felicitas mußte die armen, meist nahe am Kelch abgerissenen Dinger zu einem kurzstieligen Sträußchen für „den Onkel Professor“ zusammenbinden. Dies mühsame Geschäft erforderte Ausdauer und Aufmerksamkeit; Felicitas heftete ihre Augen unablässig auf das werdende Bouquet in ihren Händen – sie sah nicht, wie der Professor zwischen den Taxuswänden hervortrat und über den großen Rasenplatz rasch auf sie zuschritt. Ein Ausruf Aennchens schreckte sie endlich auf; allein da stand er auch schon neben ihr. Sie wollte sich erheben, er faßte jedoch sanft ihren Arm und drückte sie auf die Bank nieder – dann setzte er sich ohne Weiteres neben sie.

Es geschah zum ersten Mal, daß sie ihm gegenüber einen Moment völlig fassungslos war. Noch vor vier Wochen würde sie entschieden, voll Abscheu seine Hand zurückgestoßen und sich sofort entfernt haben … jetzt saß sie wie gelähmt da, willenlos, als stehe sie unter dem Bann eines Zaubers. Es verdroß sie, daß er seit Kurzem einen so vertraulich unbefangenen Ton gegen sie annahm – sie wünschte nichts sehnlicher, als ihn zu überzeugen, daß sie, genau wie ehedem, ihn hasse, verabscheue bis zum Sterben; allein plötzlich fand sie weder Muth noch Worte, ihm dies auszusprechen. Ihr scheuer Blick streifte seine Züge – sie sahen nichts weniger als zornig oder verdrießlich aus, die auffallende Röthe war verflogen – Felicitas grollte mit sich selbst, weil sie sich eingestehen mußte, daß ihr dies unschöne Gesicht in seiner Kraft und Entschlossenheit wider Willen imponire.

Er saß einige Secunden ohne zu sprechen neben ihr, sie fühlte mehr, als sie sehen konnte, daß sein Blick unverwandt auf ihr ruhe.

„Thun Sie mir den Gefallen, Felicitas, und nehmen Sie das abscheuliche Ding da vom Kopfe,“ unterbrach er endlich das Schweigen, auch seine Stimme klang ruhig, fast heiter, und ohne die Zustimmung des jungen Mädchens abzuwarten, faßte er leicht die Krempe ihres Hutes und schleuderte dies allerdings sehr häßliche, abgetragene Exemplar verächtlich auf den Rasen. Ein Sonnenstrahl, der, durch das leichtbewegliche Birkenlaub schlüpfend, bisher über das schwarze Strohgeflecht gegaukelt war, lag jetzt auf dem kastanienfarbenen Haar des Mädchens – ein Streifen flimmerte auf wie gesponnenes Gold.

„So – nun kann ich doch sehen, wie Ihnen die bösen Gedanken hinter der Stirn arbeiten!“ sagte er mit dem schwachen Anflug eines Lächelns. „Ein Kampf im Dunkel hat für mich viel Unheimliches – ich muß meinen Gegner sehen können, und daß ich’s hier“ – er deutete auf ihre Stirn – „mit einem sehr schlimmen zu thun habe werde, weiß ich.“

Wo wollte er hinaus mit dieser seltsamen Einleitung? Vielleicht erwartete er irgend eine Antwort von ihr, allein sie schwieg beharrlich. Ihre Finger packten ohne jedwede Symmetrie alle die Butterblumen, Maasliebchen und Grashalme nebeneinander, die das Kind unverdrossen immer wieder herbeitrug… Diese kleinen Hände da, die sich nicht stören ließen in der einmal begonnenen Aufgabe, hatten während der mehrtägigen Zurückgezogenheit im Zimmer viel von ihrer braunen Farbe verloren, sie sahen fast rosig aus. Der Professors griff plötzlich nach der Rechten des jungen Mädchens, wandte sie um und betrachtete die innere Fläche – da waren freilich Spuren, die sich nicht so rasch verwischen ließen, harte Schwielen bedeckten die Haut. Das Mädchen, das auf den ausdrücklichen Befehl seines unerbittlichen Vormunds zur Dienstbarkeit erzogen worden war, hatte sich wacker auf diese Lebensstellung vorbereitet, das ließ sich nicht ableugnen.

Obgleich bei dieser Prüfung eine tiefe Röthe über Felicitas’ Gesicht flog – auf sehr fein empfindende Naturen macht das aufmerksame Betrachten der inneren Handfläche fast denselben Eindruck, als wenn die Gesichtszüge stark fixirt werden – fand sie doch gerade in diesem Augenblick ihre ganze frühere geschlossene Haltung wieder. Sie sah mit einer ruhigen Wendung des Kopfes empor, und er ließ langsam ihre Hand sinken – dann rieb er sich mehrmals die Stirn, als gelte es für einen schwierigen Gedanken den Ausdruck zu finden.

„Sie sind gern in die Schule gegangen, nicht wahr?“ fragte er plötzlich. „Geistige Beschäftigung macht Ihnen Vergnügen?“

„Ja,“ entgegnete sie überrascht. Die Frage klang eigenthümlich – sie war förmlich vom Zaun gebrochen. Eigentlich diplomatische Wendungen lagen aber auch durchaus nicht in der Natur dieses Mannes, so sehr er auch sonst die Sprache in seiner Gewalt hatte.

„Nun gut,“ fuhr er fort, „Sie werden ohne Zweifel noch wissen, was ich Ihnen neulich zu bedenken gegeben habe?“

„Ich weiß es noch.“

„Und sind natürlich zu der Ansicht gekommen, daß es die Pflicht des Weibes ist, den Mann treulich zu unterstützen, wenn er einen Irrthum gut machen möchte?“ Er stützte die Hand auf das Knie, bog sich vor und sah gespannt in ihr Gesicht.

„So unbedingt nicht,“ versetzte sie fest, während sie die Hände mit dem Bouquet in den Schooß sinken ließ und den Fragenden voll ansah. „Ich muß erst wissen, worin diese Sühne besteht.“

„Ausflüchte,“ murmelte er und sein Gesicht verfinsterte sich auffallend. Er schien zu vergessen, daß er bisher im Allgemeinen gesprochen hatte, und fügte ziemlich gereizt hinzu: „Sie brauchen sich nicht so entsetzlich zu verwahren – ich kann Ihnen versichern, daß schon Ihrem Gesichtsausdruck gegenüber es Niemand einfallen wird, irgend etwas Uebermenschliches von Ihnen zu verlangen. … Es handelt sich einfach darum, daß Sie – mag nun Ihr geheimnißvoller Lebensplan beschaffen sein, wie er will – noch ein Jahr unter meiner Vormundschaft bleiben und diese Zeit lediglich auf Ihre geistige Ausbildung verwenden. … Lassen Sie mich ausreden!“ fuhr er mit erhobener Stimme und gerunzelten Brauen fort, als sie versuchte, ihn zu unterbrechen. „Sehen Sie einmal ganz davon ab, daß ich es bin, der Ihnen diesen Vorschlag macht, und denken Sie, daß ich einzig im Sinn und nach dem ausdrücklichen Willen meines Vaters handle, indem ich für Ihre höhere Ausbildung sorge!“

„Dazu ist es viel zu spät.“

„Zu spät? Bei Ihrer Jugend?“

„Sie mißverstehen mich. Ich will damit sagen, daß ich einst, als unzurechnungsfähiges, hülfloses Kind, gezwungen war, Almosen anzunehmen – ich mußte das, wohl oder übel, über mich ergehen lassen. Jetzt stehe ich auf eigenen Füßen, ich kann arbeiten und werde nie auch nur einen Groschen annehmen, den ich nicht verdient habe.“

Der Professor biß sich auf die Lippen und seine Brauen senkten sich so tief, daß die Augen fast verschwanden.

„Ich habe diesen Einwurf vorausgesetzt,“ entgegnete er kalt, „denn ich kenne ja Ihren unbezähmbaren Stolz bis auf den Grund. … Mein Plan ist der: Sie besuchen ein Institut – ich leihe Ihnen die nöthigen Mittel, und Sie zahlen mir später, wenn Sie selbstständig sind, das Geld bei Heller und Pfennig zurück. … Ich kenne in Bonn eine ausgezeichnete Erziehungsanstalt und bin Hausarzt bei der sehr würdigen Vorsteherin derselben. Sie würden dort gut aufgehoben sein, und –“ fügte er mit leicht vibrirender Stimme hinzu – „das Scheiden auf Nimmerwiedersehen wäre dann auch noch ein wenig hinausgeschoben. … In vierzehn Tagen gehen meine Ferien zu Ende; ich reise in Begleitung meiner Cousine nach Bonn zurück, und Sie würden natürlicherweise dann gleich mit uns gehen. … Felicitas, ich habe Sie neulich ersucht, recht gut und ruhig zu sein – ich wiederhole jetzt diese Bitte. Folgen Sie einmal nicht den Einflüsterungen Ihres verletzten Gefühls; vergessen Sie – wenn auch nur für Augenblicke – die Vergangenheit und lassen Sie mich gut machen, was versäumt worden ist.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_500.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)