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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

vorgerückt, wurde Schmid 1850 in den Ruhestand versetzt, weil er sich in den Jahren 1848 und 1849 politisch und religiös mißliebig gemacht hatte.

„Sie müssen entschuldigen,“ sagte Schmid, „wenn ich Sie mit einiger Ueberraschung empfangen habe, ich bin Besuche in meinem Hause nicht gewohnt; denn es geschieht äußerst selten, daß ein Fremder meine Werkstätte betritt.“

Ich erwiderte, daß dies mir doppelt interessant sei, aber der Dichter entgegnete lachend: „Es ist dabei nicht viel zu sehen, ich bin unter den Werkleuten ein schlichter Zimmermann, da giebt es weder künstliche Vorrichtungen, noch kostbare Werkzeuge. Gedulden Sie sich einen Augenblick und mustern Sie, wenn Sie Lust haben, meine Bücher unterdessen.“

Er verließ mich, und ich gewann Zeit, von seinem Studirzimmer, einer einfachen Dachstube mit rechts und links abgeschrägten Wänden, flüchtigen Augenschein zu nehmen; ein paar Bücherschränke, ein Stehpult und ein Schreibtisch, über welchem ein Aquarell und ein Oelbild ohne Rahmen hingen, bildeten die ganze Einrichtung. An einer Seitenwand gewahrte ich eine Guitarre mit einem verblichenen Lorbeerkranze darüber.

„Ich habe mir Ihre Umgebung betrachtet,“ sagte ich zu dem Zurückkehrenden, „es ist wünschenswerth, den Ort zu kennen, wo so viel Schönes entstanden ist.“

„Und doch irren Sie sich,“ erhielt ich zur Antwort, „es ist erst kurze Zeit, daß ich hier oben hause; vordem habe ich in einem kleinen Sommerhause im Garten gearbeitet, den ich Ihnen dann zeigen werde. Ich bedarf nicht viel zum Arbeiten: vor Allem Stille und einen Blick in die Natur, etwas von Baumgrün und Vogelsang. Das hatte und habe ich reichlich, und wenn ich manchen Morgen früh vier Uhr mich zum Schreiben setzte, war es im Sommerhause wohl mitunter etwas kühl, dafür aber auch wunderbar frisch und still wie in einer Kirche. Sie wundern sich vielleicht, daß ich so früh an mein Tagewerk ging? Ich mußte wohl; denn Tags über gehörte meine Zeit dem Anwalte, wo ich amtirte, so daß mir fast nur die Morgenstunden für meine Schriftstellerei übrig blieben.“

Ich hatte davon schon gehört und war neugierig, aus dem Munde des Dichters selbst Genaues über seine Erlebnisse zu erfahren, aber es schien ihm nicht angenehm, daran erinnert zu werden. Er unterbrach meine desfällige Bemerkung mit einer leichten Handbewegung.

„Lassen wir das,“ sprach er, „ich bin nicht der Einzige, den die achtundvierziger Fluth gehoben und seitab geführt hat. – Man hat mich aus der richterlichen Carrière herausgerissen und mich im besten kräftigsten Mannesalter in Ruhestand versetzt, aber ich ließ darum die Flügel nicht hängen, sondern gedachte die unfreiwillig erlangte Muße zu nützen, und so ist, was vielleicht arg gemeint war, mir doch zum Guten geworden. Jeder Mensch hat seine Sturm- und Drangperiode; die meinige hat mich Besonnensein und Arbeiten gelehrt.“

Daran anknüpfend rühmte ich seinen Fleiß, in verhältnißmäßig so kurzer Zeit so Vieles geschaffen zu haben.

„Es ist nicht so gefährlich damit,“ antwortete Schmid, „ich arbeite eben rasch, weil ich die Feder nicht eher ansetze, als bis ich genau weiß, was ich will, bis ein detaillirter Plan und eine sorgfältige Skizze fertig ist. Auch hatte ich Zeit genug, mir vorzuarbeiten, denn ich habe mit meinen Erzählungen hübsch lange feil gehalten, bis sich ein Abnehmer fand. Edmund Höfer in seinen ‚Stuttgarter Hausblättern‘ war der Erste, der es mit meinem ‚Greis‘ und ‚Unverhofft‘ wagte. Darauf kam mir die Einladung zum Eintritt in die Gartenlaube und mit der ‚Huberbäuerin‘ war auf einmal und unvermuthet das Eis gebrochen. Der Gartenlaube verdanke ich meinen Namen und meine Popularität.“

Mit halbablehnendem, halb selbstbewußtem Lächeln nahm er es hin, als ich ihm hierauf Anerkennendes über seine Schriften sagte, einzelne seiner Erzählungen aus den „alten und neuen Geschichten aus Baiern“ wahre Cabinetsstücke in der Feinheit der Durchführung nannte und neben der Schönheit der Naturschilderung und der Wahrheit der Charaktere hauptsächlich die Plasticität seiner Gestalten hervorhob, die man beim Lesen immer unmittelbar vor sich zu sehen glaubt, so daß es für einen Maler leicht sein müßte, sie nachzuzeichnen.

„Auch das ist nicht so schwer, als es sich ansieht,“ war die Erwiderung, „ich habe schon als Knabe viel auf dem Lande und unter Landleuten gelebt, auch gab mir meine Gerichtspraxis sattsam Gelegenheit zu Studien; überhaupt bedarf es nur einiger Aufmerksamkeit in der Beobachtung, und die gerühmte Wahrheit meiner Erzählungen beruht wohl darin, daß jeder etwas wirklich Erlebtes zu Grunde liegt.“

„Etwas Wirkliches? Die schöne Huberin und ihre Räuberhauptmannschaft wäre also keine Erfindung?“

„Ich habe den Stoff aus den Mittheilungen des Beamten, der die Untersuchung gegen sie geführt hat.“

„Und Almenrausch und Edelweiß?“

„Stammt zum großen Theil aus den Pfarrbüchern der Ramsau.“

„Der eigene Heerd, das Wichtel, das Schwalberl – ist auch in diesen etwas Thatsächliches?“

„Gewiß; das Wirkliche darin ist für mich dasselbe, was in den historischen Erzählungen[1] die Geschichte. Es giebt dem Grundgedanken den Entwurf und die Skizze, so daß fast nur übrig bleibt, das Bild in’s Reine zu zeichnen, ihm Farbe zu geben und so ein Stück wahrhaften Lebens zu schildern.“

„Das ist Ihnen vollständig gelungen,“ antwortete ich, „und darum sind Ihre Sachen so sehr auch in’s Volk gedrungen.“

Schmid sah mich einen Augenblick schweigend und mit fragenden Blicken an, in denen es heller aufleuchtete.

„Es würde mich sehr glücklich machen, wenn ich dies im Ernst glauben dürfte,“ bemerkte er, „denn ich habe kein anderes Streben als für das Volk zu schreiben und etwas beizutragen zu seiner Geistesbildung und Gemüthserfrischung.“

Ein Glöckchen in der Ecke ließ sich ziemlich ungestüm vernehmen.

„Wir werden unterbrochen,“ sagte der Hausherr, „das ist das Zeichen zum Kaffee. Bei so schönem Wetter sind wir gewohnt, ihn im Freien in meinem sogenannten Vogelneste zu trinken. Kommen Sie mit, meine Frau wird sich freuen, Sie kennen zu lernen!“

Während er sich erhebend noch etwas in seinen Papieren ordnete, überblickte ich noch einmal die Bilder.

„Sie betrachten sich meine Malereien, die haben nur für mich Interesse. Das Aquarell über meinem Schreibtische stellt das erste Capitel aus meinem Bauern-Romane ‚das Schwalberl‘ dar; es ist ein Erinnerungszeichen von dem als Zeichner und Poeten sicher auch Ihnen bekannten Grafen Pocci, der mir damit sein besonderes Wohlgefallen an diesem Buche beweisen wollte.“

„Das Wohlgefallen theilt er mit Allen, die das Schwalberl lesen. Aber das Oelbild? die Dame im schwarzen Schleier mit verhülltem Diadem und Thränen im Auge? es ist ein Kopf von seltener Schönheit!“

„Wohl, aber von gefährlicher Schönheit. Das ist die echte Lorelei, die uns in jungen Jahren verlockt, in ihren Nachen zu steigen und die bedrohte Thalfahrt durch Klippen zu machen – es ist die tragische Muse auf dem Vorhange unseres Volkstheaters, von der ich mir diese Copie zum Andenken ausgebeten habe.“

Ich meinte, daß er nicht eben Ursache hätte, sich über die Ungunst der tragischen Muse zu beklagen, indem ich ihn an seinen Columbus, sein Straßburg, seinen Camoëns erinnerte,[2] er ließ mich aber nicht zu Ende kommen.

„Gehen wir,“ drängte er mich, „das Verzeichniß meiner Dramen, die Sie zu meiner Verwunderung so genau zu kennen scheinen, ist so zahlreich, daß darüber auch der heißeste Kaffee kalt werden könnte.“

„Es ist wahr,“ fuhr er während des Gehens fort, „manches meiner Stücke hat hier und auswärts Gefallen und Freunde gefunden, aber der große Erfolg ist ausgeblieben.“

„Und das Volkstheater?“ fragte ich; „es ist bekannt, daß man sich von demselben glänzende Hoffnungen machte, und auch Sie scheinen dieselbe getheilt zu haben, weil Sie dem Theater als Dramaturg und Director Ihre Thätigkeit widmeten?“

Wir waren gerade am Fuße der Treppe angelangt. „Schweigen Sie,“ sagte Schmid mir die Hand drückend; „es giebt Capitel, die man am liebsten überschlägt.“

  1. Von den größeren historischen Romanen Schmid’s nenne ich: Kanzler von Tirol (3 Bde.), Friedel und Oswald (3 Bde.) etc.
  2. Von den früheren dramatischen Arbeiten Schmid’s sind 1850 zwei Bände bei Arnold in Dresden erschienen. Mehrere Dramen des Dichters gingen mit glücklichem Erfolge über die Bühnen zu München, Wien, Berlin u. a. O.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_507.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)