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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Sprache und Literatur so zu Hause sein, als ginge er mit Victor Hugo schlafen und stünde mit Feydeau wieder auf, während man in der That am Hofe der Tuilerien seine liebe Noth mit dem Beherrscher des Türkenreiches hatte, da er das Türkische bei Napoleon dem Dritten und seiner Umgebung weit mehr voraussetzte, als er es vorfand. Die Wahrheit gesagt, soll dem Sultan die ganze hoffähige Civilisation ein wahrer Gräuel gewesen sein, noch weit mehr, als die nicht hoffähige; er erschrak auch vor der Art und Weise, wie man mit dem Sultan der Tuilerien, seinem cher confrère, umging, z. B. bei der Preisvertheilung im Industriepalaste des Marsfeldes, wie man sich der Majestät nähern durfte, ohne sich vorerst auf den Boden niedergeworfen zu haben; er empfand überhaupt sehr tief all’ den Mangel an morgenländischem Respect vor der geheiligten Person des Beherrschers. Ich frage nun, wozu idealisirt man uns diesen Sultan? Man muß ihn bei der so hoch interessanten Feier der Preisvertheilung gesehen haben, wie er stumpf vor sich hinstarrte, ohne ein Anzeichen von Theilnahme an dem Allen, was ihm so fremd war, zu verrathen; man muß ihn neben der so lebendigen, anregenden, graciösen Kaiserin Eugenie einhergehen gesehen haben, gar nicht wie einen Mann von fünfunddreißig Jahren, sondern wie eine künstlich von außenher in Bewegung gesetzte Körpermasse, um ein ganz anderes Bild von ihm zu erhalten, als es hier der öffentlichen Meinung aufzuschwatzen gesucht wird.

So eigentlich wohl hat sich der „erste Türke“ hier jedenfalls nur befunden, wenn er fern vom Elysée darüber nachdenken konnte, wie schön es ist ein Türke zu sein. Und das konnte er bequem in dem Kiosk. Noch bequemer im „Bardo von Tunis“, dem prächtigen Bauwerke, das der Orient im Ausstellungsparke geschaffen. Das Palais des Bei von Tunis ruft all’ die märchenhafte Herrlichkeit orientalischer Prachtbauten, mit denen Reisende unsere Phantasie erfüllt, in uns lebendig wach. Nennt es selbst ein architektonisches Märchen und das Wort ist keine Phrase! Geblendet hält das Auge vor diesem Wunder arabischer Kunst lange, lange still. Vor der Schönheit dieses Werks vergeht Alles, was die Völker des Erdballs sonst gebaut und geschaffen haben. Am Fuße der majestätischen Marmortreppe, die zu den Prachträumen hinaufführen, sitzen zwei Beduinen hoch zu Roß, die gezogenen Damascener Klingen in der Hand, und halten Wacht, gerade so, als wäre der Bei selbst anwesend im Bardo. Prächtige, poetische Gestalten, aus deren gebräunten Gesichtern die heiße Poesie der Wüste uns anspricht! Und welch schönes wildes, arabisches Vollblut sie reiten! Malerischer konnten die Nachbildner deiner Herrlichkeit den Eingang zu dir nicht gestalten. Wir steigen nun die Marmortreppen hinan. Im Vestibule empfängt uns volle, sinnliche Heiterkeit in allen Formen; Alles, die spitzenartig gewobenen Arabesken der Wände, die Mosaiken des Bodens, die buntbemalten Gitter, die schlanken Säulen, Alles lächelt uns an. Der Genius alter maurischer Kunst geht durch diese Räume. Da springen Fontainen in hohen Silberfäden, da winken Palmen zu sich heran und reichgesäumte Strohmatten laden zum Ausruhen ein im Schatten orientalischer Denkungsart.

Und weiter breiten sich zur Rechten und zur Linken des Vestibules Salons hin, im üppigen Schmuck morgenländischer Decoration. Die Plafonds zeigen tief verschlungene Zeichenschrift, orientalische Mystik, in farbige Tücher gekleidet erscheinen die Wände, durch farbiges Glas dringt das Licht des Tages in die hohen, weiten Säle. Wie herrlich diese beiden Kuppelsäle sind! Welchen Reichthum, welche Farbenpracht verrathen diese Decken mit vergoldeten Feldern, diese Malereien der Kuppeln, durch die das Sonnenlicht wie in langen Zauberschleiern herabfällt, diese längs der Wände sich hinziehenden Divane, mit seidenen, sammetnen oder goldgestickten Kissen, diese üppigen Portièren, Stern und Halbmond tragend in ihren bunten Feldern! Und da der reizende Alkoven mit seinem Goldgitter, mit seinen Schattenplätzchen. Und links wieder ein Salon, im Schmucke seiner eigenthümlichen Malereien uns fast glauben machend, er sei tief in indische Shawls gehüllt, Bogenfenster aus grünem Glase mit blauen Sternchen geziert, kleine, zierliche Säulchen, immer paarweise auftretend und wieder weiche Divans mit schwellenden Kissen. Wir haben uns kaum auf einem derselben niedergelassen, um uns tiefer in dieses Farbenmärchen zu versenken, da bringt uns ein brauner, hübscher Kerl im Turban den schönen, langrohrigen Tschibuk und auf der Feuerschale die glimmende Kohle. Und dann stellt er eins der kleinen, buntbemalten Stühlchen des Salons vor uns hin und setzt den dickgearteten Kaffee in einem niedrigen, schmalen Becher darauf. Wir schlürfen den Mokka und blasen dicke Rauchwolken vor uns hin, in denen sich die Hieroglyphen der Decke vor unsern Augen zu wiederholen scheinen. Zu den offenen Fenstern herein dringt die tunesische Musik aus dem Gärtchen des Palastes zu uns herauf. Vier braune Männer, auf einer Art von Tribüne mit gekreuzten Beinen lümmelnd, bearbeiten ihre negerartigen arabischen Instrumente und singen dazu Weisen, die den Kenner an alte hebräische Melodien gemahnen. Es ist eine Art wilder, ungegohrener, formloser Meyerbeer und Felicien David, so könnte man fast von dem sagen, was sie da singen. Bald bricht die Klage ungestüm durch diese Melodien durch, bald giebt es wieder eine wilde Heiterkeit, ein jauchzendes Aufschreien in Tönen. Halb glaubt man die Musik der Wüste, halb die der Synagoge zu vernehmen. Aber zu Tschibuk, Mokka und den üppigen Divans passen sie, diese orientalischen Weisen, sie gehören mit in das berauschende Wesen dieses Palastes des Bei von Tunis, sie sind für das Ohr, was Farben und Lichter in den Sälen für das Auge sind. Fast wäre uns jetzt ein Schläfchen „gefällig“. Wir bekommen Lust auf das Schlafcabinet des Bei von Tunis, es zieht uns mächtig hin zu dem vergoldeten Himmelbett mit den violettseidenen schweren Vorhängen und den weißen, langen, seidenen Kissen. Aber wir wollen doch die Gastfreundschaft der Orientalen nicht gar zu stark auf die Probe stellen. Die Treppen des Palastes hinabsteigend, singen wir im Freiligrath’schen Stile vor uns hin: „Wenn ich der Bei von Tunis wär!“ Und dann besteigen wir, des Neides voll, anstatt des goldenen Bettes den Omnibus, der uns zur Madeleine-Kirche fährt. In einer Moschee begannen wir das Tageswerk, bei der Madeleine beendigen wir es – das sind die Weltausstellungs-Contraste!




Blätter und Blüthen.


Ferdinand Freiligrath. Fern vom Getümmel des eigentlichen London – doch vermittels der den Nordosten der Stadt umspannenden Eisenbahn nicht allzuweit von der City – liegt die Vorstadt Hackney Wick, seit Jahren der Wohnort des Dichters, dessen Name in diesem Augenblick wieder durch Deutschland hallt. Zwei Mal schon – vor 1848, als er sein Glaubensbekenntniß geschrieben hatte, und dann wieder nach dem Sturze der Revolution, ist Ferdinand Freiligrath auf englischen Boden verschlagen worden. Auf englischem Boden sind einige seiner kraftvollsten politischen Lieder, einige seiner gewaltigsten Gesänge entstanden. Hier aber hat er auch mit eisernem Fleiß durch kaufmännische Thätigkeit, durch jahrelange rastlose Arbeit auf der „Schweizer Bank“, der er als Verwalter vorstand, für die aufblühende Familie eine schöne Häuslichkeit geschaffen, bis mit der Schließung jenes Finanzinstituts sein Posten einging und an die Nation die Pflicht herantrat, dem bisher in’s Joch gespannten Dichter den vollen „Flügelschlag der freien Seele“[WS 1] wieder möglich zu machen.

Von der Hackney-Station bis zu Freiligrath’s Hause sind es einige Minuten. Der Weg führt über einen ländlichen Kirchhof, in dessen Mitte ein altersgrauer Thurm ragt. Enge, winkelige, doch saubere Straßen bilden die Umgebung. Weiter hinaus dehnt sich eine freundliche Landschaft und fließt der stets mit zahlreichen Booten belebte Fluß Lea. Das Haus des Poeten, an dem wir nun angekommen sind, ist nach englischer Weise am Eingang mit zwei Stucco-Säulen geziert. Vor- und Hintergarten mit Busch und Bäumen verleihen der behaglichen Wohnung ein ländliches Aussehen. Tritt man hinein, so fühlt man sich sogleich vom Geiste des Kunstsinns angeweht. Die Zimmer sind vielfach mit den besten Kupferstichen geziert, und auch in zahlreichen Mappen findet der harrende Gast manchen Anhaltspunkt des Kunstgenusses.

Ich habe Freiligrath zum letzten Male vor etwa sechs Monaten gesehen. Trotz seiner sechs- oder siebenundfünfzig Jahre fand ich ihn von kräftigster Haltung, einen starkgebauten Mann; noch ganz volles langes Haar, nur erst mit Grau durchmischt; die Gesichtszüge von jener eichenhaften Festigkeit, die den Söhnen der „rothen Erde“, seiner Heimath, aufgeprägt ist. Im Auge gelegentlich einen Blitz, der den Dichter unverkennbar verkündet. Sein Auftreten erinnert sofort an das Burns’sche „Trotz alledem“, das Freiligrath so schön übertragen hat.

Seine treue, vielseitig gebildete Gattin, seine schön aufgewachsenen Töchter und Söhne bilden einen angenehmen Kreis um ihn her. Eine einfache, aber herzliche Gastlichkeit charakterisirt das Haus sofort als ein deutsches, während in Folge langjährigen Aufenthaltes auf britischem Boden das englische Sprachelement sich im Kinderkreise stark eingebürgert hat.

Eine milde Festigkeit, gepaart mit Zurückhaltung: das ist der erste Eindruck, den man von dem Dichter empfängt, der einst den Pegasus der Revolutionspoesie so wild tummelte. Bei öffentlichen Gelegenheiten ist Freiligrath in London nicht aufgetreten; die Gabe des gesprochenen Wortes, der freien Anrede vor einem „Meer von auswärts gewendeten Menschenantlitzen“ geht ihm ab. Auch beim ersten Begegnen thut sich sein eigenstes Wesen nicht leicht auf. Er hat darin etwas von Uhland. Doch im engeren Freundeskreis, wo er sich gehen lassen kann, fließt ihm die Rede leicht, und dann verwandelt sich die sinnige Scheu in Offenheit und der Sohn Apoll’s giebt sich ungezwungen in Ernst und Scherz. Freiligrath ist eine tiefe und ernste Natur. Es wohnt ihm dabei eine reiche Ader des Humors inne – oft so neckischer Natur, daß es fast als ein Räthsel erscheint, daß sich diese Seite seines Geistes in seinen Dichtungen kaum wiederspiegelt. Erinnert man sich, wie schwere und für einen Dichter doppelt anstrengende, weil seinem Charakter so wenig entsprechende Arbeitslast auf Freiligrath seit Jahren gelegen, so frappirt diese Neigung zu heiterem Frohsinn um so mehr und verleiht seiner Unterhaltung einen erhöhten Reiz.

Nach dem Sturz der Freiheitshoffnungen wollte Freiligrath bekanntlich nach Amerika übersiedeln. Das Gedicht: „Ein Weihnachtslied für meine Kinder (vor meiner Ausweisung 1850)“ giebt darüber poetische Meldung:

„Ade, ade! Das alte Weh!
Wer weiß, an was für Wellen
Wir über’s Jahr, Rauhfrost im Haar,
Die Weihnachtstanne fällen!
Vielleicht auf’s Neu umfängt sie treu
Alt-Englands werther Boden;
Doch sichrer ist, sie steht zur Frist
Am Hudson in den Loden.“

Bitterer ist einer der Schlußverse:

„Drum muß es sein, und stößt der Rhein,
Euch aus, ihr Vagabunden:
Der neue Heerd, der feste Heerd,
Er wird euch doch gefunden!
Dran wurzelt ihr, und lacht, das hier
Uns hudelt, des Gelichters: –
Die Heimath blos macht heimathlos
Die Kinder ihres Dichters!“

Schließlich verblieb Freiligrath in der Weltstadt an der Themse. Sein Leben ist ihm daselbst seit sechszehn Jahren in ziemlicher Einförmigkeit verflossen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. aus „Aus den Bergen“ von Georg Herwegh.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_511.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)