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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

nicht ein Traum, daß die preußischen Feldzeichen nun, nach so wenigen Wochen bereits an der Grenze Ungarns wehten? Nein, kräftiger und bestimmter setzen sich schon die Berge da drüben gegen den Himmel ab, glühender brennt hier bereits die Sonne, als bei uns daheim, hier wächst im Kalkstaube am Wege schon die Rebe und der Kukuruz – anderes Land und andere Leute!

Bei Ravensburg[WS 1] hatte die Division die äußersten Spitzen des Cavaleriecorps des Prinzen Albrecht passirt und marschirte nun, in der Erwartung auf den Feind zu stoßen, auf Dürnkrut, ein Städtchen an der March. Während gegen Mittag das Gros der Division auf einer Wiese östlich dieses Ortes die Bivouacs bezog, seine Laubhütten baute und die tagtägliche Kuhfleischsuppe bereitete, wurden eine Schwadron des Magdeburgischen Husarenregiments, zwei Compagnien Infanterie und eine Batterie an die March detachirt, um als Flankendeckung gegen alle etwaigen Angriffe von dorther zu dienen. Nachdem wir ein dichtes, schattiges Gehölz passirt hatten, welches uns bisher jede Aussicht benahm, lag unmittelbar vor uns der schlammige, trübfluthende Fluß mit seinen steilen, lehmigen Ufern und jenseits desselben breiteten sich weite Grasflächen aus, über welche hinweg fessellos bis zu den fernen Karpathen die Blicke streiften, weit, weit hinein in’s Morgenland.

Ein betäubendes Hurrah brach plötzlich los. Einem gemeinsamen Impulse folgend hielt das Detachement und schaute dort hinüber und sah sich doch nicht satt an dem neuen, fremdartigen Anblicke. Wie ein riesengroßer, smaragdgrüner Teppich, meilenweit und so flach wie ein See, breitete sich der saftige Wiesengrund ohne jede Unebenheit oder Unterbrechung vor unseren staunenden Blicken aus. Ringsumher war kein Baum, kein Haus zu sehen, nur einige Tümpel mit wehendem Schilfe zeigten sich und ganz am Horizonte, wie eine Palissadenreihe, eine schnurgerade Allee, die Chaussee von Göding nach Preßburg. Der tiefblaue, schön geschwungene Höhenzug der kleinen Karpathen, hinten im Osten noch überragt von höheren, kaum erkennbaren Gebirgsstöcken, rahmte dieses Grasmeer ein und bildete den malerischen Abschluß desselben.

Drückend heiß brannte die Sonne hernieder, ganze Fluthen von Licht und Glanz verschwenderisch herabsendend, und in dieser Hitze schien die Fläche sich zu beleben, das Gras in langen Wellen zitternd sich zu bewegen, gleich dem Ocean. Lautlose Stille rings umher. Kaum aber hatten unsere Augen eine Minute lang den so unerwarteten Anblick überschaut, als auch schnell wie der Wind einige Reiter die Reihen verließen und das Ufer auf und nieder galoppirten, um eine Fuhrt zu suchen. Aber vergebens, überall war das Wasser zu tief oder der Grund zu schlammig, und ein kecker Officier, der mit Zuruf und Sporen sein bäumendes Roß weiter hineintrieb in die hochaufspritzende Fluth, hätte um ein Haar seine Kühnheit mit dem Leben bezahlt.

Es war in der That fatal. Dort drüben, kaum dreitausend Schritte vor uns, auf dem weiten Anger, in Heerden ohne Zahl weideten Pferde und Rinder, von slovakischen Hirten bewacht, die in ihren leinenen Gewändern, die wehende Halina malerisch um den Nacken geschlungen, auf ihren kleinen Steppenpferden pfeilschnell diese Heerden umkreisten und mit ihren langen Peitschen in Ordnung hielten. So mancher von unseren Gäulen lag bei Benateck und Chlum erschossen, nirgends hatten wir bisher Gelegenheit gehabt, diese empfindlichen Lücken wieder auszufüllen, und nun, da dicht vor uns Hunderte von Pferden weideten, wo es schien, als brauchte man nur die Hand nach ihnen auszustrecken, hinderte uns der tückische Fluß dieselben zu erreichen. Was war zu thun?

Noch galoppirten dort drüben die Hirten arglos hin und her, noch spitzten die Mutterstuten mit der blechernen Schelle nicht mißtrauisch die scharfen Ohren, augenscheinlich waren wir bisher noch unbemerkt geblieben im tiefen Schatten der Bäume, indessen –

„Einen Führer her,“ rief da der Rittmeister ungeduldig, „schnell einen Führer!“ und fort sprengten ein Unterofficier und zwei Mann, die Carabiner auf der Lende, nach dem Städtchen. Alles schaute ihnen nach in gespanntester Erwartung.

Doch sieh’ da, etwas weiter stromaufwärts, aus einem schmalen Waldwege heraus, treten jetzt langsam zwei Slovakenmädchen und ein alter Mann, Hacke und Spaten auf der Schulter, und nähern sich dem Flusse. Einen Augenblick lang bleiben sie halten, der Alte streift seine weiten Beinkleider herauf, die Dirnen schürzen sich hoch die rothen Röcke empor und nun – o Freude, schreiten sie alle Drei, Einer hinter dem Andern, in den Fluß. Vorauf geht behutsam tastend der alte Slovak, sorgsam den Grund mit dem Hackenstiele sondirend, ihm nach waten die stattlichen Mädchen. Mancher Husar schaute heimlich lachend dort hinüber, wo jene eben das steile Ufer emporklimmend und schüttelnd und stampfend ihre brennendrothen Gewänder ausschwenken.

Nun aber wird es mit einem Male unter den Bäumen lebendig. Im Handumdrehen sind die Fouragirstränge von den Sätteln losgemacht, die Schwadron stürzt sich das Ufer hinab und einen Augenblick später folgen die grünen Husaren schäumend und spritzend durch die so ahnungslos verrathene Fuhrt den rothen Slovakendirnen, die nun, jene plötzlich gewahr werdend, zum Tode erschrocken einen Augenblick wie versteinert stehen bleiben, dann aber, Spaten und Karst von sich werfend, wie aufgescheuchte Rehe eilenden Fußes zu entfliehen suchen.

Jedoch umsonst, denn schnell sind sie überholt, rechts und links jagen jubelnd die preußischen Reiter schon an ihnen vorüber und athemlos, mit klopfenden Herzen bleiben sie stehen, das Schrecklichste über sich ergehen zu lassen. Da reitet der Rittmeister auf goldglänzendem Fuchshengste wie der Blitz an sie heran, wirft ihnen lachend einen blanken preußischen Thaler vor die Füße und ruft gut gelaunt: „Schönen Dank euch hesca holka!“ und ehe sie nur Zeit haben, sich von ihrem Erstaunen zu erholen, bevor die Mädchen noch wagen die dunklen Augen zu dem Officier zu erheben, sprengt dieser schon wie ein Feuerstreifen wieder über die weite Pußta dahin, seinen Husaren nach, die er in mächtigen Sprüngen einholt. Wie verzaubert, festgewurzelt am Erdboden stehen die beiden Slovakinnen und sehen den Husaren nach, wie dieselben, sich in zwei Linien theilend, in flüchtigem Galopp dahinjagen.

Jetzt haben auch die Hirten die feindlichen Reiter erblickt, wiehernd begrüßt eine Mutterstute die fremden Pferde und einen Augenblick später erhebt sich ein furchtbarer Lärm, Alles ist Geschrei und Verwirrung. Blitzschnell umkreisen die Csikos ihre Heerden und lassen die schweren Peitschen sausend den Thieren um die Köpfe fahren, daß diese sich hoch aufbäumen, zähnefletschend fahren die bösen Wolfshunde zwischen die Rinder mit scharfem Bisse, Alles umsonst. Schon kommen rechts und links die Husaren dahergesprengt, als wüchsen sie aus dem Erdboden, Hirten und Heerden überholend; in weitem Bogen umfassen sie dieselben, immer näher und näher umkreisen sie sie und jetzt mit hochgeschwungener Rechten stürzen sie sich mit lautem Halloh auf den wirren Knäuel, daß die Erde bebt. Einige Minuten lang hört man nur ein entsetzliches Durcheinander von Thier- und Menschenstimmen, Fluchen, Wiehern, Bellen, Brüllen, Jubel und Gelächter, bis sich endlich das Chaos entwirrt und die Husaren mit etwa zwanzig gelassoten Pferden lustig von dannen traben, während ihnen die armen Hirten erschrocken und betrübt nachschauen.

Noch steht am Flusse der alte Slovak mit den beiden Mädchen, die das ganze Unheil angerichtet hatten, und starren sprachlos dort hinüber, noch haben sie sich nicht erholt von ihrem Schrecken, gewaltig noch pocht das Herz unter dem faltigen Hemde, da kommen die Preußen mit ihrer Beute schon wieder zurückgetrabt, rufend und winkend, setzen spritzend durch die Fuhrt und verschwinden spurlos drüben im Schatten der Bäume. Langsam beugt sich endlich eines der beiden Mädchen zur Erde und hebt das große, blanke Geldstück auf, welches ihr der glänzende Officier zugeworfen hatte; kopfschüttelnd, halb ängstlich, halb erfreut, betrachten es die Drei, dann aber schreiten sie flüchtigen Fußes über die weite Ebene, hin zu den betrübten Hirten und ihren geplünderten Heerden. –

Etwas stromabwärts von Dürnkrut, dicht an der March, steht unter hohen Linden ein kleines Fährhaus. Für gewöhnlich liegt vor demselben eine große Fähre, die an einem Drahtseil hin- und hergezogen wird. Sie vermittelt den Verkehr zwischen Oesterreich und Ungarn für die hiesige Gegend, denn auf acht Meilen Weges, zwischen Göding und Anger, giebt es keine feststehende Brücke über den Fluß. Diese Fähre nun hatten die Oesterreicher auf ihrem Rückzuge zerstört, das Drahtseil aber abgeschnitten und in’s Wasser geworfen, und so waren denn die preußischen Pioniere eben in vollster Thätigkeit, die Verbindung zwischen beiden Ufern durch eine Pontonbrücke wieder herzustellen. Vor dem Fährhäuschen auf einer Bank im Schatten der Bäume saßen ein ziemlich beleibter


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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_522.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)