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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 34.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


24.

Felicitas verließ mit geflügelten Schritten den Garten – der Professor irrte sich, nicht einmal der Abend, geschweige denn die Nacht sollte sie noch im alten Kaufmannshause finden. … Jetzt war der Moment gekommen, wo sie in Tante Cordula’s Zimmer dringen konnte. In der Allee begegnete ihr die alte Köchin, die das Abendbrod in den Garten trug – es war mithin Niemand zu Hause als Heinrich. … Wie das sauste und brauste durch die alten, knorrigen Linden! Der Wind trieb das junge Mädchen unwiderstehlich vorwärts – das war auf dem ebenen, festen Boden, unter dem Schutz dichter Baumkronen; was aber stand ihr für ein Gang bevor, hoch droben in den brausenden Lüften, über abschüssige Dächer hinweg!

Heinrich öffnete ihr die Hausthür. Felicitas glitt athemlos an ihm vorüber, trat in die Gesindestube und nahm den Dachkammerschlüssel von der Wand.

„Nun, was soll’s denn werden, Fee’chen?“ fragte der Alte verwundert.

„Ich will Dir Deine Ehre und mir die Freiheit wieder holen! Sei hübsch wachsam unterdeß, Heinrich!“ rief sie zurück und sprang die Treppe hinauf.

„Du wirst doch keinen dummen Streich machen? Heda, Fee’chen, ‘s ist doch nichts Gefährliches?“ rief er ihr nach; aber sie hörte nicht mehr. Er mußte unten auf seinem Posten bleiben und schritt aufgeregt in der Hausflur auf und ab.

Ueber Felicitas’ Haupt zog es bald seufzend, bald in lang gezogenen, leise pfeifenden Tönen hin, als sie den Corridor unter dem Dach betrat. Das Sparrwerk knarrte, und durch die Oeffnungen der sonnenerhitzten Hohlziegel fuhr stoßweise der schwüle, heiße Athem des Gewitterwindes. In diesem Augenblick hing eine grau und weiß gemischte Hagelwolke über dem Dächerquadrat, ein fahlgelbes Licht zuckte schräg auf den blumenbedeckten First, es glitzerte wie ein falscher Blick in den Glasscheiben der Vorbauthür, über welcher sich losgerissene Ranken des Epheu und der Capuzinerkresse haltlos bäumten, und beleuchtete grell das aufgepeitschte Blättergewirr des wilden Weines.

Als das junge Mädchen den Kopf aus dem Dachfenster steckte, fuhr ihr ein heftiger Windstoß über das Gesicht; er raubte ihr den Athem und zwang sie, augenblicklich zurückzuweichen – sie ließ den Unhold vorüberbrausen, dann aber schwang sie sich hinaus… Wem es vergönnt gewesen wäre, dies schöne, bleiche Gesicht mit den fest aufeinander gepreßten Lippen und dem düster entschlossenen Ausdruck aus dem dunklen Dachfenster auftauchen zu sehen, der hätte erkennen müssen, daß das Mädchen einer entsetzlichen Gefahr sich vollkommen bewußt und daß es bereit sei, selbst den Tod zu erleiden um seiner Mission willen! … Welch ein wunderbares Gemisch war doch diese junge Seele! Ueber einem heißen Herzen, das so glühend hassen konnte, ein so kühler, besonnener Kopf!

Sie lief leichten Fußes über die knirschenden Ziegel, und nicht einen Moment dunkelte es vor diesen klaren Augen; ihr brausender Feind aber gönnte sich nicht viel Zeit zum Ausschnaufen – ein greller Pfiff, und er kam wieder daher mit niederstürzender Wucht. Die Vorbauthür flog klirrend auf, Blumentöpfe stürzten zerschmetternd auf den Fußboden der Galerie, und die uralten Sparren ächzten und zitierten unter Felicitas’ Füßen. Sie stand noch auf dem Nachbardach, aber ihre Hände umklammerten das Galeriegeländer, das sie in demselben Augenblicke erreicht hatte.

Wohl riß ihr der Sturm das Haar auseinander und peitschte die gewaltigen Strähne, als sollten sie in alle Lüfte zerstreut werden, allein sie selbst stand fest. Nach einem Moment geduldigen Ausharrens konnte sie sich über das Geländer schwingen, und gleich darauf trat sie in den Vorbau… Hinter ihr brauste und tobte es weiter – sie hörte es nicht mehr, sie dachte auch nicht an den todbringenden Rückweg – die gefalteten Hände schlaff niederhängend, stand sie in dem kühlen, epheuumsponnenen Raum – sie sah ihn zum letzten Mal. … Die stillen, schneeweißen Gesichter an den Wänden schauten wohlbekannt und doch auch wieder so verwundert fremdartig hernieder – einst hatten sie diesen Raum beseelt, denn ihre lebendigen Gedanken wurden heraufbeschworen und umflatterten die kalten Stirnen, jetzt waren sie nur noch ein Schmuck, eine Decoration der Wände, sie starrten ebenso gleichgültig auf die jugendstrahlende Gestalt der koketten Regierungsräthin, wie auf das blasse Mädchengesicht, das sich thränenüberströmt zu ihnen emporhob.

Im Uebrigen erschien das Zimmer so traut und wohnlich wie zu Tante Cordula’s Lebzeiten. Kein Stäubchen lag auf dem spiegelglatten Mahagonideckel des Flügels, der Epheu streckte, als Zeichen, daß es ihm wohlgehe, zahllose junge, hellgrüne Triebe aus der dunklen Blätterwand, und in der einen Fensternische standen sorgsam gepflegt der prachtvolle Gummibaum und die Palme, zwei Lieblinge der alten Mamsell. Aber die andere Fensterecke war verändert, das zierliche Nähtischchen stand nicht mehr dort – der Professor hatte sich die Nische als Studirwinkel eingerichtet.

Ueber Felicitas’ Gesicht ergoß sich eine brennende Schamröthe. … Also sie stand doch wie ein Dieb in seinem Zimmer! Wer weiß, was dort auf dem Schreibtisch für Briefe und Papiere lagen, auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_529.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)