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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Reinhold’s begeisterte Zustimmung erfolgte mit umgehender Post. Nur bat er, die Zusammenkunft auf die großen Universitätsferien, welche mehr in den Sommer fallen, zu verlegen, da er als gewissenhafter Vater die Studien seiner Söhne nicht zu unterbrechen wünschte. In einem späteren Briefe bestimmte er Tag und Stunde, Eisenbahnzug, Rendezvous und Alles. –

Der schönste Augustmorgen übergoldete das Elbthal. Die Thürme Dresdens ragten im reinsten Blau zum Himmel. Der Dampfer „Marie“ im Hafen unter der Brühl’schen Terrasse begann seine Räder brausend zu bewegen und dampfte gen Morgen. Auf seinem Verdeck trug er zwei glückliche Familien, die sich in Kaiser’s Hotel am freundlichen Neustädter Markte fröhlich zusammengefunden. Welch’ ein Wiedersehen von Bernhard und Reinhold! Welch’ ein Bekanntwerden der Frauen, Söhne und Töchter, die sich jahrelang nur auf dem Wege der Briefpost hatten kennen lernen! Lange lagen sich die alten Freunde, keines Wortes mächtig, aber mit thränenden Augen in den Armen.

Ja, nur wer Gelegenheit gehabt, dem Sichwiederfinden der alten Burschenschafter auf dem fünfzigjährigen Jubelfeste zu Jena beizuwohnen, wird die Empfindungsseligkeit der beiden alten Musen in tiefster Seele zu würdigen verstehen.

Und so fuhren die Glücklichen dahin zwischen sommergrünen Ufern, lachenden Villen mit grünen Jalousieen und umblühten Veranden; vorüber an schloßgekrönten Weinbergen, die noch in schönster Frische des Sommers lachend in’s Thal herabschauten. Sie konnten sich nicht satt trinken am blauen Dufte des Morgens und der erquickenden Pracht der Landschaft. Aber je näher man dem Dörfchen kam, welches das Ziel der Fahrt war, desto zahlreicher stiegen zur Linken reizend umgrünte Villen und Weinberghäuser terrassenförmig empor. Sommerblumen schmückten in ländlicher Einfachheit Gärten und Wohnungen, und hie und da schaute aus Laub und Rebengrün noch eine vom Frühling vergessene Rose.

„Aber, mein Gott,“ rief Bernhard, als man dem Landungsplatze immer näher kam, mit freudigem Erstaunen das stattliche Villendorf überschauend, „ist das unser einfach Dörflein, unser Loschwitz von vor vierzig Jahren? Nur der Kirchthurm dort grüßt noch als alter Bekannter. Wie hat während dieser Zeit die Kunst der Menschenhand fleißig geschaffen! Verschwunden sind die einfachen Weinbergswohnungen, welche ehedem, einsam verstreut, diese Höhen bedeckten! Prachtvolle aristokratische Schlösser mit stolzen Zinnen und Thürmen und geschmackvolle Privatwohnungen eines wohlhabenden Bürgerstandes sind an ihre Stelle getreten. Und auch das Nachbardorf da drüben, die Heimath der ‚Gustel von Blasewitz‘[WS 1] ist doppelt so groß geworden wie ehemals.“

„Auch unser Winzerhäuschen seh’ ich nicht mehr,“ sprach Reinhold, der ebenfalls bemüht war, sich in der Gegenwart zurechtzufinden. „Es hat einem kleinen liebenswürdigen Schlößchen Platz gemacht. Wem mag dasselbe wohl gehören?“

„Das ist die Restauration ‚zum Burgberg‘, belehrte ein danebenstehender Dresdner, „von wo man die schönste Aussicht hat und recht gute Bewirthung findet.“

„Ei,“ jubelte Reinhold, „das trifft sich herrlich,“ und zu den Frauen und blühenden Söhnen und Töchtern gewendet rief er: „Kinder, dort oben wird gefrühstückt! Denn das ist der Berg, wo wir vor vierzig Jahren den unvergeßlichen Pfingstheiligenabend verlebten und wo wir gelobten, uns in diesem Leben noch einmal wiederzufinden, wie wir Euch oft erzählt haben.“

Mit Rührung schauten die beiden älteren, aber noch rüstigen Frauen und freudestrahlenden Blicks die junge Gesellschaft nach der Höhe. Elisabeth, Reinhold’s treffliche Gattin, aber sprach: „So gehet immer voraus; mir aber und der guten Frau Professor gestattet zuvor einen kurzen Besuch, den ich schon lange einer Jugendfreundin versprochen, die hier in ländlicher Stille die schönen Sommermonate verlebt. Wir Zwei kommen bald nach.“

Und so ging es denn rosenlaunig durch den idyllisch am Elbufer gelegenen lindenschattigen und lindenduftenden Garten der gemüthlichen Demnitzischen Restauration und zwischen grünen schwellenden Weintrauben und grünsammetnen Pfirsichen die hundertfünfunddreißig Stufen hinauf zum Burgberge.

Während aber die Jugend in den anmuthigen Räumen sich freudigst umhertummelte, bestiegen Bernhard und Reinhold die erhabene Warte, die thurmartig in den blauen Himmel ragt. Da standen die zwei Freunde wie vor vierzig Jahren fast an derselben Stelle. Das herrliche Thal, einst von des Frühlings Abendsonne zauberisch überklungen, ruhte jetzt in der vollen Pracht des Sommermorgens.

Tief ergriffen reichte Reinhold dem Freunde die Hand. „Dies ist wieder ein Sabbathstündlein,“ sprach er leise, „wie sie nur selten einkehren hienieden. Wie können wir Gott genug danken, daß er uns ein solches noch hat erleben lassen!“

„Wohl, mein Reinhold,“ erwiderte Bernhard, ebenfalls innig bewegt die Hand des Freundes drückend, „und daß er unsere Herzen frisch erhalten hat für seine Pracht und Herrlichkeit noch am Abende unseres Lebens.“

„Und,“ fügte Reinhold, der sich um vierzig Jahre jünger fühlte, hinzu, „wir können nicht genug danken, daß unsere Liebe zu unserem deutschen Vaterlande die alte geblieben, daß trotz mancher schmerzlichen Prüfung und mancher bitteren Enttäuschung die Träume unserer Jugend sich endlich zu erfüllen beginnen, daß das Deutschland von 1867 ein anderes ist, als das von 1827, ein anderes in der Achtung und Furcht des Auslandes, das ihm den Weg zur Einheit nicht mehr zu sperren vermag. Ja, die Glocken an jenem Pfingstheiligenabend haben nicht vergebens ihre prophetischen Stimmen erhoben. Auch dem deutschen Volke naht schon der Pfingstmorgen, der ihm gebührt von Gottes- und Rechtswegen.“

Lange standen die Freunde Hand in Hand. – Und wie einst tönten jetzt die Sonntagglocken von den Thürmen Dresdens durch den goldenen Morgen. Noch geraume Zeit verweilten Bernhard und Reinhold in geweihter Stimmung auf der erhabenen Warte. Dann stiegen sie herzerquickt herab, wo sich indeß die Familie in der schattigen Ecklaube zum Frühstück heiter versammelt hatte. Während aber die beiden Alten in Erinnerung an ihre Universitätszeit beim duftenden Johannisberger sitzen, erfreut sich die Jugend der blühenden Gegenwart. Die junge Mutter Amalie ist glücklich im Glück ihrer Kinder, von denen Aennchen mit ihren Blumen zur Herstellung eines Kranzes beschäftigt ist, während der kleine Bruder Ernst sich die Chocolade trefflich munden läßt, von welchem angenehmen Stoff die Kellnerin soeben eine neue Auflage herbeiträgt. Adolph klingt mit Gertrud an und gelobt, den schon immer versprochenen Besuch im schönen Rheinlande, wo die Familie des Professors wohnhaft, in Begleitung seines Bruders noch im Laufe der gegenwärtigen Ferien abzustatten; und Elsbeth winkt mit ihrem Tuche dem von einem Abstecher nach dem unfern gelegenen Schillerhäuschen zurückkehrenden Erich, welcher hutschwenkend verkündet, daß die beiden Mütter auf dem Fuße folgen. Selbst Sultan, das schwarz und weiß gefleckte Hündchen, scheint das allgemeine Vergnügtsein der Familie zu theilen und strebt freudig an seinem Herrn empor. –




Gedanken über das Curiren von Krankheiten.
3. Strafpredigt gegen curirende Laien, Naturärzte und Homöopathen.


Darum weil mit Hülfe der Naturheilungsprocesse die Mehrzahl der Krankheiten ohne alles ärztliche Eingreifen und sogar auch bei den blödsinnigsten Curen und Hokuspokussen doch heilen, darum hat noch lange nicht jede alte Frau, jeder Lampe und Lutze, jeder Dütchenskrämer und Kaltwassernarr, jeder Dampf- und römisch-irische Badewüthige das Recht und die Fähigkeit kranken Menschen ärztliche Hülfe zu leisten, zumal wenn diese, wie dies in der Regel der Fall ist, in Anpreisung und schablonenartiger Anwendung einer ganz einseitigen, oft recht einfältigen Behandlungsweise besteht. Denn Folgendes mögen sich alle curirsüchtigen Laien wohl merken:

1. Sehr oft veranlaßt ein und dieselbe Krankheit bei verschiedenen Personen ganz verschiedenartige Erscheinungen, besonders in Gestalt von Störungen der Empfindung (sogenannte subjective Symptome) und der Thätigkeit der Organe (sogenannte functionelle Symptome), und deshalb kann in sehr vielen Fällen nur ein

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_536.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)