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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Blätter gewesen, daß wir nothwendig näher darauf zurückkommen müssen.

Kaulbach’s großer und gewaltiger Carton „die Reformation“ war damals nicht lange erst bekannt geworden und der Streit um die Berechtigung der Kunst, Männer aus den verschiedensten Jahrhunderten auf einem Blatt im gemeinsamen Wirken zusammenzustellen, war noch in schönster Blüthe. Da faßte Ed. Ille, der Nachfolger Schneider’s in der Redaction, die Idee, die Kaulbach’sche Reformation zu seinen Zwecken auszubeuten und alle die komischen Figuren, welche die Fliegenden Blätter über den ganzen Erdball getragen haben, in der Gruppirung des großen Kaulbach’schen Cartons zusammenzustellen, Alles zur Feier der tausendsten Nummer der Fliegenden Blätter. Wir sehen in dieser berühmt gewordenen Caricatur zugleich eine bildliche Chronik der Geschichte der Fliegenden Blätter vor uns, denn sie wandern alle vor uns vorbei, die Typen des Zopfes und des Lächerlichen in Literatur, Kunst und Leben, über die wir so oft und so herzlich schon gelacht haben.

Neben Eisele und Beisele, neben ihren Nachfolgern Heulmeier und Wühlhuber, neben dem Bürger Graf aus Pirna und vielen andern bekannten Gestalten, begegnen wir aber noch einem Gesichte, das uns in den Fliegenden Blättern schon tausend Mal entgegentreten und das jeder der Leser sofort kennt, mag es sich nun als „Oansigl (Einsiedel) von Brettfall“, als unzufriedener Biertrinker, als Wanderer auf den Gebirgen des Rochusberges, als Urgermane oder sonst wie präsentiren. Das dicke, runde Gesicht mit den großen Brillengläsern und dem struppigen Bart, das so grimmig in die Welt schaut, ist nie zu verkennen: es gehört dem Begründer und Eigenthümer der Fliegenden Blätter, Herrn Kaspar Braun, der zugleich der thätigste Mitarbeiter an denselben war und noch ist. Tausende der besten schlechten Witze, der ergötzlichsten Einfälle, der schnurrigsten Bilder sind von ihm und die meisten classischen Figuren, wie z. B. Eisele und Beisele, Heulmeier und Wühlhuber etc. etc. verehren in ihm den Erzeuger. Er ist der feste Fels im brausenden Ocean der Zeit, das einzig Bestehende im ewigen Wechsel; der Freund und Compagnon ist von seiner Seite in’s Grab gestiegen und von denen, mit deren Hülfe er die Fliegenden Blätter so fröhlich begann, ist kaum Einer ihm treu geblieben. Viele von den alten Helden der Feder und des Bleistiftes sind gestorben, andere arbeiten nicht mehr mit; hohe Stellungen und Berufsgeschäfte haben ihnen den Humor verdorben. Neue Kräfte sind an ihre Stelle getreten, wie dies nun einmal der Welt Lauf ist. Unter den novellistischen Beiträgen, bei denen, beiläufig bemerkt, allein ein entschiedener Zurückgang gegen früher fühlbar ist, finden wir häufig hübsche Sachen von Gerstäcker. Von den neueren Poeten sind vor allen Karl Stieler und Seyfried zu erwähnen, welche in oberbairischer Mundart wahrhaft reizende Sachen geliefert haben. Von den jetzt mitarbeitenden Künstlern ist in erster Linie W. Busch zu nennen, dessen berühmte Geschichten vom Manne mit dem Floh, dem Bad, Diogenes und die beiden bösen Buben, die Fahrt nach Hannover und viele andere mehr, durch ihren Lakonismus und die Naivetät der Ausführung in Wort und Bild sich schnell ein großes und dankbares Publicum erobert haben. Die Zeichnungen von Diez, die mit Vorliebe militärische Gegenstände behandeln, sind durch ihre Genialität, ihre schöne Form und kecke, freie Ausführung ebenfalls leicht zu erkennen. Hin und wieder, leider nur zu selten, kommen auch Sachen von Watter, der mit seinem schönen Talent nur zu sparsam vor die Oeffentlichkeit tritt. Allzufrüh wurde ein großes Talent, Heiler, der Kunst und den Fliegenden Blättern entrissen; am Nervenfieber krank, warf er ein neben seinem Bett stehendes Licht um; die Flammen ergriffen die Kissen und er mußte krank und hülflos, wie er war, verbrennen. Mit ihm verbrannten die reichen Früchte seines Lebens, alle seine Skizzen und seine Entwürfe. Sein Andenken lebt aber fort in den Fliegenden Blättern, wo seine Freunde seine so heitern und frischen Zeichnungen nur mit Wehmuth durchblättern.

Von den ältern Künstlern arbeiten außer Braun nur noch Stauber und Iller wacker fort und zeigen, daß, wenn auch das Alter die Haare färben kann, die Jahre doch keine Gewalt über den frischen Humor haben, der in diesen Männern lebt und von dem die Fliegenden Blätter eigentlich nur einen ganz kleinen Theil erhalten, während derselbe zumeist, namentlich bei Braun, nur dem Kreis der engsten Freunde zu Gute kommt. Da giebt es stille, heimliche Gesellschaften (die vier blanken Tafeln, die Pappenheimer etc.), in denen es toll und lustig genug zugehen soll und in denen allein sich der alte echte Münchner Humor, wie ihn früher die Künstler repräsentirten, noch unverfälscht erhalten hat. Will’s Gott und Ernst Keil, so plaudern wir vielleicht demnächst einmal über die Mysterien, welche in den Kneipen zum Achetz, Utzschneider etc. etc. gefeiert werden; für heute wollen wir mit dem frommen Wunsche schließen, daß es uns vergönnt sei, auch noch über die Feier des Erscheinens der zweitausendsten Nummer der Fliegenden Blätter zu schreiben, und daß alle die freundlichen Leser, deren Augen diesen Zeilen folgten, auch unsern Zukunftsartikel noch frisch und gesund lesen mögen.

C. A. Dempwolff.




Blätter und Blüthen.


Aus den Erinnerungen einer Hebamme. 2. „Du riechst mir zu gut!“ – Andere Augen habe ich freilich nicht als die übrigen Menschen des Städtchens, aber dennoch sehe ich so Vieles anders, als diese.

Da geht eine Familie der Straße entlang, ein junger eleganter Mann, eine schöne blühende Frau und an ihrer Hand ein prächtiger Knabe von vier Jahren. Die Freude wie der Neid blickt der anmuthigen Gruppe nach, übereinstimmend in dem Ausruf: „Sind das glückliche Menschen!“ – Nur eine Kleinigkeit bemerkt Niemand: den leisen Schmerzenszug um den Mund der schönen Frau und den Hauch von Kälte, der auf ihrem Gesichte ruht, wenn nicht das Kind ihn hinweglächelt.

Ich grüße sie wie alle Anderen und sie grüßt mich ebenso, aber in ihrem Blick auf mich liegt der schwere Seufzer: „Sei Du nur still! O, wenn die Leute wüßten – –“

Eines Tages wurde ich zu einer Dame gerufen, welche ihrer zweiten Entbindung entgegenging. Auch der Herr Gemahl war zugegen. Ein erquickendes Bild seligster Eintracht, als dieses junge Paar mir bot, hatte mir noch nicht vor Augen gestanden. Beide wetteiferten förmlich in Aeußerungen ihrer Zärtlichkeit und im Austausch von klagendem Mitgefühl von seiner und erheiterndem Trost von ihrer Seite. Auf ihre ausdrückliche Bitte verließ er uns endlich, um uns für unsere Frauenberathung allein zu lassen, legte mir aber die äußerste Gewissenhaftigkeit für sein geliebtes Weib mit der rührendsten Sorge an’s Herz.

Es freute mich, daß die Dame mir so viel Vertrauen schenkte, im fröhlich aufperlenden Gefühl ihres Glückes mir leuchtenden Auges zu sagen, ihre Ehe sei ein Bund reinster Liebe, der sogar gegen den Willen ihrer Eltern geschlossen worden sei und nun selbst von diesen gesegnet werde, weil noch kein einziger trüber Schatten auf ihren gemeinsamen Lebensweg gefallen sei, denn selbst der Tod ihres ersten Kindes sei als ein gemeinsamer Schmerz nur zu neuem Kitt für ihren treuen Liebesbund geworden. „Ich kann Gott nicht genug danken,“ sagte sie, „nicht einmal in die allgemeinste Hausfrauenklage, in die über die Dienstboten, brauche ich einzustimmen, denn auf unser Mädchen kann ich mich in allen Dingen so verlassen, daß ich einem Wochenbett vollkommen sorglos entgegensehen darf.“ Letzteres gereichte auch mir zum Trost, und so freute ich mich im Voraus auf die Tage, welche ich in diesem kleinen Menschenkreise zubringen sollte.

Vier Wochen später wurde ich gegen Abend eiligst zu meiner Dame gerufen. Als ich ankam, brachte ein Bote, der zu der von mir für diesen Fall bestimmten erprobten Wartefrau geschickt worden war, die Nachricht, daß diese bedenklich erkrankt zu Bett liege. Wie sehr ich dies auch bedauerte, so hielt ich es für den Augenblick doch nicht für so störend, weil mit dem Dienstmädchen der Patientin bei dessen Tüchtigkeit und Willigkeit leicht über die ersten Tage hinüberzukommen sein werde.

Ich ging denn ohne Sorgen zu der jungen Frau und erzählte ihr ruhig das kleine Mißgeschick. Wie erstaunte ich aber, als sich bei meiner Mittheilung die Züge der Dame mit einem Male auf das Merkwürdigste veränderten und sie mit unbeschreiblicher Bitterkeit in die Worte ausbrach: „Reden Sie mir nicht von meinem Dienstmädchen! Ach, wohin ist mein Glück, liebe Frau! Wohin ist das! Das ist dahin auf ewig! Hören Sie. Vorgestern kam mein Mann von einer kleinen Reise zurück und, wie allemal, brachte er mir auch diesmal eine Ueberraschung mit, und zwar ein schmuckes Kästchen mit Parfümerien, Pomaden u. dergl., über das ich herzliche Freude empfand. Heute Morgen stand ich früher auf als mein Mann und rief dem Mädchen, damit es das Frühstück hole. Es kam auch sofort, flink wie immer, aber diesmal mit köstlich duftendem Haar. Im ersten Augenblick vermuthete ich, mein Kästchen habe geheime Dienste leisten müssen, – allein plötzlich fuhr mir ein Stich durch’s Herz und ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Das Mädchen ging, ich eilte in die Kammer desselben, – und da stand dasselbe Kästchen, wie das meine, und ein werthvoller Shawl lag noch außerdem daneben – Wie ich wieder in die Stube gekommen, weiß ich nicht, klar war mir nur das Eine, daß die Person sofort das Haus verlassen müsse. Ich zählte den ihr noch zukommenden Lohn auf den Tisch, und als sie vom Bäcker zurückkam, dies sah, ihre Entlassung erfuhr und erschrocken fragte: ‚aber um Gotteswillen, warum denn, Madame?‘ habe ich ihr nichts geantwortet, als: ‚Du riechst mir zu gut!‘ – Blutroth und ohne ein Wort zu erwidern ging sie, packte ihre Sachen und rief weinend zur Thür ‚Adieu‘ herein, als sie das Haus verließ. Als endlich mein


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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_543.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)