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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 35.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Der starke, muthige Geist des Mädchens war gebrochen – völlig betäubt wußte sie nicht, daß ihr vermeintlicher Widersacher sie noch stützte, sie hatte die Augen geschlossen und sah nicht, wie sein Blick tiefinnig auf ihrem bleichen Gesicht ruhte. „Felicitas,“ flüsterte er mit tiefer, bittender Stimme.

Sie fuhr empor und begriff sofort ihre Lage. Aller Groll, alle Bitterkeit, an denen sich ihre Seele jahrelang genährt, kamen nochmals über sie – sie riß sich heftig los, und da war er wieder, der dämonische Ausdruck, der eine tiefe Falte zwischen ihre Augenbrauen grub und die Mundwinkel in herben Linien umzog!

„Wie mögen Sie die Paria anrühren?“ rief sie schneidend. Aber ihre hochaufgerichtete Gestalt sank sofort wieder in sich zusammen; sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und murmelte grollend: „Nun, so verhören Sie mich doch – Sie werden zufrieden sein mit meinen Aussagen!“

Er nahm ihre Hände sanft zwischen die seinen.

„Vor Allem werden Sie ruhiger, Felicitas!“ sagte er in jenen weichen, beschwichtigenden Tönen, die sie schon an Bett des kranken Kindes wider Willen bewegt hatten. „Nicht den wilden Trotz, mit dem Sie mich geflissentlich zu verletzen suchen! … Sehen Sie sich um, wo wir sind! Hier haben Sie als Kind gespielt, nicht wahr? … Hier hat Ihnen die Einsiedlerin, für die Sie heute so heiß gekämpft haben, Schutz, Belehrung und Liebe gewährt? … Was Sie auch hier gethan oder gesucht haben mögen – es ist kein Unrecht gewesen, ich weiß es, Felicitas. Sie sind trotzig, verbittert und über die Maßen stolz, und diese Eigenschaften verleiten Sie oft zu Ungerechtigkeit und Härte – aber einer gemeinen Handlung sind Sie nicht fähig. … Ich weiß nicht, wie es kam, aber es war mir, als müsse ich Sie hier oben finden – Heinrich’s scheues, verlegenes Gesicht, sein unwillkürlicher Blick nach der Treppe, als ich nach Ihnen frug, bestärkten mich in meiner Annahme. … Sagen Sie kein Wort! fuhr er mit erhobener Stimme fort, als sie ihre heißen Augen rasch zu ihm aufschlug und die Lippen öffnete. „Verhören will ich Sie freilich, aber in einem ganz anderen Sinn, als Sie denken – und ich glaube, ich habe ein Recht dazu, nachdem ich durch Sturm und Wetter geschritten bin, um mir meine Tanne herabzuholen.“

Er zog sie tiefer in das Zimmer hinein, – schien es doch, als sei es ihm zu hell im Vorbau, als bedürfe er der halben Dämmerung des Wohnzimmers, um weiter sprechen zu können. Felicitas fühlte, wie ein leises Beben durch seine Hände ging. Sie standen genau auf der Stelle, wo sie vorhin einen furchtbaren Kampf mit sich selbst gekämpft hatte, wo sie versucht gewesen war, ihm einen Dolch in das Herz zu stoßen, ihn moralisch zu lähmen für seine ganze Lebenszeit. … Sie senkte den Kopf tief auf die Brust, als eine Schuldbewußte, unter den Augen, die, sonst so tiefernst, jetzt eine wunderbare Gluth ausstrahlten.

„Felicitas, wenn Sie hinabgestürzt wären!“ hob er wieder an, und es war, als liefe noch bei dieser Vorstellung ein Schauder durch seine kräftige Gestalt. „Soll ich Ihnen sagen, was Sie mir angethan haben, durch diesen verzweifelten Trotz, der lieber zu Grunde geht, als daß er an das vernünftige Urtheil Anderer appellirt? Und meinen Sie nicht, daß ein Augenblick voll Todesangst und namenloser Leiden ein jahrelanges Unrecht zu sühnen vermag?“

Er hielt erwartungsvoll inne, aber die erblaßten Lippen des jungen Mädchens blieben geschlossen, und ihre dunklen Wimpern lagen tief auf den Wangen.

„Sie haben sich in Ihre bittere Anschauungsweise förmlich verrannt,“ sagte er nach vergeblichem Warten herb und mit sinkender Stimme, der man die Entmuthigung anhörte; „es ist Ihnen geradezu unmöglich, eine Wandlung der Dinge zu begreifen.“ Er hatte ihre Hände sinken lassen, aber jetzt nahm er nochmals ihre Rechte und zog sie heftig gegen seine Brust. „Felicitas, Sie sagten neulich, daß Sie Ihre Mutter vergöttert haben – diese Mutter hat Sie ‚Fee‘ genannt; ich weiß, Alle, die Sie lieben, geben Ihnen diesen Namen, und so will auch ich sagen: ‚Fee, ich suche Versöhnung!‘“

„Ich habe keinen Groll mehr!“ stieß sie mit erstickter Stimme hervor.

„Das ist eine vielsagende Versicherung aus Ihrem Munde, sie übertrifft meine Erwartung, allein – sie genügt mir noch lange nicht. … Was hilft es, wenn Zwei sich versöhnen und dann auf Nimmerwiedersehen scheiden? Was hilft es mir, daß ich weiß, Sie grollen mir nicht mehr, und ich kann mich nicht stündlich davon überzeugen? … Wenn Zwei sich versöhnt haben, die so getrennt gewesen sind, wie wir, dann gehören sie zusammen – auch nicht eine Meile Raum dulde ich ferner zwischen uns – gehen Sie mit mir, Fee!“

„Ich habe Abscheu vor dem Aufenthalt in einem Institut – ich könnte mich nie in die schablonenmäßige Behandlung fügen,“ antwortete sie hastig und gepreßt.

Der Anflug eines Lächelns glitt über sein Gesicht.

„Ach, das möchte ich Ihnen auch nicht anthun! … Die Idee mit dem Institut war nur ein Nothbehelf, Fee. … Ich selbst wäre ja dann ziemlich eben so übel daran. … Es könnte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_545.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)