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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Knöpfen, – ein Zeichen, daß es sich um etwas Wichtiges handle, – dem Mühlhof zuschreiten, und als er nach einigen Stunden zurückkehrte, lächelte er so pfiffig, als ob er in irgend einer diplomatischen Mission die glänzendsten Erfolge davon getragen hätte.

„Vor Pfingsten,“ begann er zu seiner Frau, „kann der Schwager den Joseph nicht aufnehmen und bis dahin muß er also noch hier bleiben. Damit aber die Sache völlig in Ordnung gebracht wird, so habe ich mit dem Gevatter verabredet, daß wir, nachdem Anna am Palmsonntag eingesegnet ist, die Kinder zu Ostern feierlich zusammen geben. Am Pfingstmontag, dem vierzehnten Geburtstag der Anna, packst Du die Sachen des Jungen, und Tags darauf fahre ich selbst ihn zum Schwager, bei dem er drei Jahre bleibt. Nur zum Weihnachtsfest lasse ich ihn immer auf einige Wochen zurückkehren. Nach Ablauf der drei Jahre, – und bis dahin werden wir für ein kleines Besitzthum gesorgt haben – soll die Hochzeit sein. Ist’s so recht, Mütterchen?“

Die Schulzenfrau drückte ihrem Manne dankend die Hand, und der Abrede gemäß fand am Ostersonntag die Verlobung des jugendlichen Paares bei einem festlichen Mahle auf dem Mühlhofe statt. Joseph strahlte vor Glück und Wonne, als Anna in Gegenwart des würdigen Geistlichen seine Versicherung, daß er sie über Alles lieb habe, freudig erröthend erwiderte. Das Gefühl, daß nun ein zweites Wesen ihm für sein ganzes Leben anvertraut sei, ließ ihn in seiner Haltung alsbald einen Ernst und ein Selbstbewußtsein an den Tag legen, das einen fast komischen Gegensatz zu seiner bisherigen Befangenheit und Unsicherheit bildete. Anna dagegen, so innig sie auch den Jugendgespielen liebte, war um so reizender durch die jungfräuliche Schüchternheit, die sie ihm gegenüber auch jetzt noch bewahrte und mit der sie, wie mit einem rosigen Schleier, die Regungen ihres Herzens verhüllte.

So kam der Pfingstsonntag heran, der vorletzte Tag, welchen das junge Paar vor seiner dreijährigen Trennung gemeinsam verleben durfte. Schon am Morgen war Joseph in den Mühlhof geeilt und hatte seiner Braut, die, ein überaus liebliches Bild im Doppelschmuck des Festes und der Jugend, ihm entgegen kam, als vorläufige Geburtstagsgabe ein kleines goldenes Kreuz um den Hals gelegt, damit sie in ihrem Gebete immer seiner gedenke. Natürlich blieben Beide beisammen. Sie besuchten gemeinschaftlich den Gottesdienst, gingen dann in den Schulzenhof, unterstützten Joseph’s Mutter in den Vorbereitungen zur Reise und kehrten erst Nachmittags, gefolgt von dem Schulzenpaar, in den Mühlhof zurück, um bei einem solennen Mahle im Kreise der Familie, das am nächsten Tage im Schulzenhofe wiederholt werden sollte, ebenso sehr Anna’s Geburtstag vorzufeiern wie den Schmerz über die bevorstehende Trennung zu lindern. Die Müllerin schien anzunehmen, daß dieser Doppelzweck am besten durch eine überreich besetzte Tafel erreicht werde, und ihr anderes Ich, offenbar von gleicher Ueberzeugung durchdrungen, hatte nicht nur für das gewöhnliche Getränk an Festtagen, einen etwas säuerlichen Landwein, ausreichend gesorgt, sondern sogar mehrere Flaschen spanischen Weins, das bis dahin sorgfältig aufbewahrte Geschenk eines Verwandten, freigebig zum Opfer gebracht.

Der Abend dämmerte, als Joseph und Anna das Zimmer verließen, in welchem die Alten heiter plaudernd zurückblieben. Hand in Hand gingen sie, während die Sonne den fernen Bergen zueilte und die wunderbarsten Farbentöne hervorrief, auf einem Feldrain einem Buchengehölz zu, das, in einiger Entfernung auf einer Anhöhe gelegen, eine weite und herrliche Rundschau gestattete. Beide waren erregt; der feurige Südwein hatte seine Wirkung nicht verfehlt. In dem sonst so ruhigen und besonnenen jungen Manne hatte er eine leidenschaftliche Stimmung erzeugt, und auch Anna fühlte sich heute zum ersten Male dem Geliebten gegenüber weniger schüchtern, als bisher. Mit jedem Schritte, den sie weiter hineinthaten in die in vollstem Frühlingsschmucke prangende Natur, klopften ihre Herzen ungestümer. Immer stürmischer preßte Joseph die Geliebte an die Brust und als sie, auf der Anhöhe angelangt, sich an einem Hage wilder Rosen niedergelassen hatten, drückte er glühende Küsse auf Anna’s Mund, die endlich ebenso heiße Erwiderung fanden. In ihrem Liebesrausche entschwand den Beiden die Wirklichkeit um sie her … und, eine Thräne im Auge, verhüllte der Engel der Unschuld sein Antlitz und trug die Sünde in das große Schuldbuch ein, das uns einst vorgelegt werden wird an dem Tage, da wir gewogen werden mit der Wage der Gerechtigkeit. –


Etwa acht Jahre waren vergangen, als eines Montags die Stadt .……hausen in ungewöhnlichem Maße von Landleuten besucht war, welche das Gerichtsgebäude umstanden und dem Verlauf der bei verschlossenen Thüren geführten schwurgerichtlichen Verhandlung mit einer fast fieberhaften Spannung entgegen sahen. Es waren sämmtliche Bewohner des Dorfes, in welchem Joseph seit zwei Jahren das Schulzenamt bekleidete, nachdem sein Vater plötzlich gestorben und ihm, als dem begütertsten, rechtschaffensten und intelligentesten Hofbesitzer, durch einstimmigen Beschluß der Gemeine der Schulzenstab übergeben worden war. Die Ortschaft hatte ihre Wahl nicht zu bereuen. Der junge Schulze zeigte in seinem Amte dieselbe Umsicht und Energie wie sein Vater, aber die ihm eigenthümliche Milde und Freundlichkeit gewannen ihm in noch höherem Grade die Herzen Aller. Dazu kam, daß Anna, mit der er seit vier Jahren in der glücklichsten und durch zwei prächtige Kinder gesegneten Ehe lebte, als Schulzenfrau sich für die Freundin und Helferin aller Leidenden und Bedrängten im Orte ansah und bald nach dem Amtsantritt ihres Gatten auf dem Mühlhofe unter besonderer Obhut ihrer dort von einem reichlichen Altentheile zehrenden Eltern ein kleines Wohlthätigkeitsinstitut errichtete, das Hospital, Apotheke, Garküche und eine in Nothständen immer offene Darlehenscasse in sich vereinigte. Es war ein rührendes Bild, die junge hübsche Frau dort in ihrer sanften und bescheidenen Weise die Werke der Barmherzigkeit üben zu sehen, und es konnte nicht fehlen, daß die fast an Verehrung grenzende Liebe, mit welcher die ganze Gemeine ihr zugethan war, auf Joseph, der sie übrigens nach Kräften in ihrem menschenfreundlichen Wirken unterstützte, übertragen wurde.

So durfte es nicht befremden, daß von allen Seiten der lebhafteste Antheil genommen wurde, als etwa drei Monate vor der heutigen Gerichtsverhandlung eine Allen unbegreifliche Aenderung in dem Wesen des Schulzen sich bemerkbar machte. Sie fiel zusammen mit der mehrtägigen Anwesenheit eines jener nichtsnutzigen Winkelschreiber, die das Land häufig durchzogen, um in der Verhetzung der ärmern und namentlich auch der dienenden Classe gegen die Begüterten ihren unsaubern Gewinn zu suchen, und mit dem plötzlichen Verschwinden eines Knechts vom Schulzenhofe, der als Waise von Joseph’s Vater auf das Gut genommen und dort dreißig Jahre lang mit Wohlthaten überhäuft worden war, obwohl sein Verhalten oft ernstliche Rügen und Strafen nothwendig gemacht hatte. Man hatte den Knecht in häufigem Verkehr mit dem Winkelconsulenten gesehen und es war auch nicht unbemerkt geblieben, daß er diesen, als ihn der Schulze unter Androhung sofortiger Einsperrung aus dem Orte verwies, bis in’s Buchenwäldchen begleitet hatte und dort längere Zeit mit ihm zusammen geblieben war. Wie mit Einem Schlage war kurze Zeit darauf nach dem Eintreffen einer gerichtlichen Vorladung aus dem frohen, glücklichen Joseph ein verschlossener und unzugänglicher Mensch geworden, dessen Lebenskraft versiecht zu sein schien und der finster vor sich hinbrütend die Tage in seinem Zimmer zubrachte. Alle Ansprache naher Freunde, die dringenden Bitten seiner Angehörigen und selbst die heißen Thränen Anna’s vermochten ihn ebenso wenig seiner trübsinnigen Stimmung zu entreißen, als ihm die Ursache derselben zu entlocken. „Laßt mich, laßt mich,“ war seine einzige Antwort, „Gott wird noch Alles zum Besten wenden!“ Weder seine Wirthschaft noch sein Amt interessirten ihn mehr. Zuweilen fuhr er in die Stadt, aber während Anna hoffte, daß er erheitert oder wenigstens freundlicher von dort zurückkehren würde, zeigte er sich nach der Heimkehr noch finsterer und einsilbiger. Der ganze Hof schien nach und nach wie unter einem schweren Banne zu liegen. Anna’s Züge wurden täglich kummervoller, das frische Roth ihrer Wangen schwand dahin und das fröhliche Lachen und Jauchzen der Kinder verstummte endlich auch, als sie die Augen der Mutter immer von Thränen umflort sahen.

Am Tage vor der Gerichtssitzung traf ein berühmter Advocat im Dorfe ein und stieg beim Schulzen ab. Beide schlossen sich ein und conferirten mehrere Stunden lang. Anna, deren Kräfte die andauernde Spannung kaum noch ertrugen, horchte athemlos an der Thür, aber die Unterredung wurde so leise geführt, daß sie nur dann und wann ein heftig gesprochenes Wort ihres Gatten erhaschte, ohne in den Zusammenhang eindringen zu können. Nachmittags sah man Joseph am Arme des Rechtsgelehrten dem Buchengehölz zuschreiten und längere Zeit an dem inzwischen üppig fortgewucherten Rosenhag verweilen. Als sie zurückkehrten und Joseph


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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_551.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)