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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

nicht sinken, mein lieber Sohn! der alte Herrgott da oben läßt einen braven Mann nicht zu Schanden werden.“

Der Gerichtsdiener schnitt die weiteren Herzensergüsse des Mannes ab, und der Vorsitzende ermahnte in eindringlichster Weise die in der Voruntersuchung schon vernommenen und vereideten Zeugen, hier nochmals vor versammeltem Gericht die lautere Wahrheit zu sagen. Der Holzschläger und die alte Frau sollten nur über einige Nebenumstände vernommen werden, deren Feststellung weniger für den Sachverhalt selbst, als für die Beurtheilung der Glaubwürdigkeit des Hauptzeugen von Erheblichkeit war. Dieser – der entlaufene Knecht – war der zufällige und unfreiwillige Augenzeuge der Vorgänge am Rosenhag gewesen. Sein Zeugniß bildete die Hauptstütze der Anklage und mit seiner Vernehmung wurde daher begonnen.

Das Auftreten des Mannes machte zur Bestürzung des Vertheidigers, der jedes Wort und jede seiner Bewegungen mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte, nicht den ungünstigen Eindruck, welchen er erwartet hatte. Man merkte allerdings sehr bald, daß man es mit einem leichtsinnigen Subject zu thun habe, allein sein Benehmen ließ eben so wenig wie seine Aussage Bosheit, Rachsucht oder Herzenshärte erkennen. Ohne Rückhalt, aber auch ohne Uebertreibung erzählte er ruhig und mit dem Gepräge der Wahrheit Alles, was er aus nächster Nähe beobachtet hatte, und nicht ohne den Ausdruck der Beschämung und Reue erklärte er auf Befragen des Vorsitzenden, daß es ihm niemals in den Sinn gekommen wäre, zu einem Verfahren gegen seinen Herrn die Hand zu bieten, wenn er nicht durch den Winkelschreiber dazu verleitet worden wäre. Gereizt durch einen ihm von Joseph ertheilten und nach seiner Ansicht nicht verdienten Verweis habe er sich bei dem Schreiber über seine Behandlung beklagt. Sie seien vertrauter mit einander geworden und in weiterem Verkehr habe er ihm auch die Wahrnehmungen mitgetheilt, denen er sich an jenem Pfingstsonntag und am Abend vor der im Schulzenhofe festlich begangenen Geburtstagsfeier Anna’s nicht habe entziehen können. Der Winkelschreiber, ein wegen Unterschlagung aus dem Justizdienst entlassener Actuar, habe dies aufgefaßt. Es sei ihm gelungen, zu ermitteln, daß Anna erst am Pfingstmontage vierzehn Jahre alt geworden sei, und hierauf habe er den Plan gebaut, durch Drohungen mit einer Denunciation eine bedeutende Geldsumme von dem Schulzen zu erpressen. Als der Versuch erfolglos geblieben sei und Joseph sein Andringen mit seiner Ausweisung beantwortet habe, sei die Denunciation abgefaßt, bei der Staatsanwaltschaft eingereicht und darin er und die beiden andern anwesenden Personen als Zeugen benannt worden.

Der Zeuge versicherte die Wahrheit seiner Deposition auf den schon von ihm geleisteten Eid und es sollte die Vernehmung des Holzschlägers erfolgen, als der Advocat doch noch einen Versuch machen zu müssen glaubte, die Aussage des Mannes wenigstens in einigen Punkten zu erschüttern. Mit Genehmigung des Vorsitzenden richtete er zunächst an den Zeugen die Frage, ob er sich wirklich noch heute – nach Verlauf von acht Jahren – eines jeden von ihm bekundeten Umstandes mit solcher Sicherheit erinnere, daß er nicht befürchten dürfe, sich durch sein Zeugniß des Verbrechens des Meineides schuldig zu machen.

Der Knecht bejahte die Frage mit dem Ausdruck innerster Ueberzeugung.

Denken Sie an Ihre Verantwortlichkeit vor Gott dem Allwissenden!“ rief ihm der Vertheidiger aufgeregt zu. „Denken Sie daran, daß Ihre Aussage einen Mann, dessen Ehrenhaftigkeit bis zu dieser Stunde über jeden Zweifel erhaben war und dem Sie persönlich für die Ihnen erwiesenen Wohlthaten zum Dank verpflichtet sind, möglicher Weise in’s Zuchthaus führt! Denken Sie daran, daß das unglückliche Weib des Angeklagten …“

Derselbe klagende Ton, wie der Schmerzensseufzer einer geängsteten Seele schwach und doch durchdringend, der schon einmal von der nur selten dem Publicum geöffneten und fast immer verschlossenen Galerie gehört worden war, klang wieder durch den Saal und ließ, als der Vertheidiger plötzlich inne hielt, eine tiefe Stille in dem weiten Raume eintreten. Aller Augen richteten sich auf den Ort, wo man ihn gehört zu haben glaubte, aber – so hell das Licht der hohen Bogenfenster auch auf die Galerie fiel – man konnte Niemand dort entdecken. Und doch wußte Jeder, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der Präsident wollte eben dem Gerichtsdiener den Befehl geben, sich an Ort und Stelle zu begeben und die räthselhafte Störung aufzuklären und zu beseitigen, als ein anderer Vorgang die Aufmerksamkeit auf die unteren Räume des Saales zurückführte.

Die Worte des Vertheidigers „in’s Zuchthaus“ waren wie ein Donnerschlag auf den Knecht niedergefahren. Daß es ihm leid that, seinen früheren Herrn und langjährigen Wohlthäter der gerichtlichen Verfolgung ausgesetzt zu haben, konnte keinem Zweifel unterliegen, und wenn er ihn nichtsdestoweniger durch sein Zeugniß schwer belastete, so war es offenbar nur der Hinblick auf seinen Eid gewesen, welcher ihn von einer Aenderung seiner Aussage zu Gunsten Joseph’s zurückgehalten hatte. Das Bewußtsein, die reine Wahrheit sagen zu müssen und gesagt zu haben, und die Unkenntniß der Folgen, die sich an seine Aussage knüpfen konnten, hatten auch allein im Laufe der Verhandlung ihn die anfänglich vergeblich gesuchte Sicherheit seiner Haltung wieder gewinnen und nur noch dann sich ängstlich und befangen zeigen lassen, wenn sein Auge zufällig den Blicken Joseph’s begegnete. Kaum war aber das furchtbare Wort „in’s Zuchthaus“ ausgesprochen, kaum hatte er von einer Strafe gehört, die nach seinen Rechtsbegriffen nur dem Abschaum der menschlichen Gesellschaft zu Theil werden durfte, als sein ganzes Wesen von dem Sturm seiner Empfindungen erschüttert wurde. Seine Gesichtszüge wurden starr, wie die eines Todten, die Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, sein ganzer Körper streckte sich krampfhaft, und taumelnd sah man ihn einige Augenblicke später auf Joseph zustürzen, sich vor dem Gitter ihm zu Füßen werfen und seine Hände mit einem Schrei der Verzweiflung flehend zu ihm emporheben. „Vergebung, lieber, lieber Herr, – ich habe gelogen, ich war nicht im Wäldchen, ich habe nichts gesehen!“ Mehr konnte er nicht sprechen. Ein heftiges Weinen erstickte seine Stimme und wie gebrochen blieb er händeringend am Gitter liegen.

Der Präsident bewahrte einige Minuten tiefes Schweigen, um sich und allen Anwesenden Zeit zur Sammlung und Beruhigung zu gewähren. Auch Joseph, der schon, als der Vertheidiger wider die ausdrückliche Verabredung seines Weibes Erwähnung gethan hatte, heftig erregt worden war und dessen Blicke seit diesem Augenblick fest auf einem Punkt der Galerie hafteten, als ob sie ihre hölzerne Brüstung durchdringen wollten, bedurfte nothwendig der Schonung. Er schien durch die unerwartete Wendung der Sache alle Fassung und selbst sein Bewußtsein verloren zu haben, wenigstens hörte er auch nicht ein Wort von dem, was sein Vertheidiger ihm mit leidenschaftlicher Geberde in’s Ohr flüsterte, bis der Präsident die Verhandlung wieder aufnahm.

„Treten Sie jetzt nochmals vor, Zeuge, und überlegen Sie wohl, was Sie thun! Sie haben ein eidliches Zeugniß abgegeben und widerufen es jetzt. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich selbst des Verbrechens des Meineids anklagen, wenn Sie auf diesem Widerruf beharren, und daß Sie der Strafe des Verbrechens – mehrjähriger Zuchthausstrafe! – nicht entgehen, wenn auch der Beweggrund Ihres Widerrufs ein edler und achtungswerther ist. Bei der Hoffnung, die Sie einst auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit setzen, frage ich Sie: Haben Sie bei Ihrer Vernehmung die Wahrheit gesagt oder haben Sie wirklich nichts gesehen und also bisher gelogen?“

Der Knecht schwankte mit augenscheinlicher Mühe dicht an den Richtertisch, auf welchem das Kreuz des Erlösers, das Symbol der ewigen Gottesliebe und Vergebung, ihm gegenüber stand. Er faßte es fest in’s Auge und es war, als erwarte er eine höhere Eingebung. Dann sagte er mit fester Stimme: „Ich war nicht im Buchenwäldchen, ich habe nichts gesehen, – mein Zeugniß war falsch. Der Schreiber hat Alles erfunden und mir gesagt, wie ich aussagen solle. Nach seiner Vorschrift habe ich gehandelt.“

„Sie müssen jenem Elenden aber doch Thatsachen an die Hand gegeben haben, die er benutzen konnte? Er war ja mit den Verhältnissen und Personen völlig unbekannt.“

„Ich habe ihm einmal,“ erwiderte der Knecht, „als wir über die Jugend der Schulzenfrau sprachen, erzählt, daß sie noch nicht vierzehn Jahre alt gewesen sei, als sie sich mit dem Herrn versprochen habe. Im Laufe des Gesprächs kamen wir dann auch auf den Pfingstsonntag, und ich theilte ihm mit, wie ich gesehen, daß der Schulze damals seine Braut auf dem Wege in’s Buchenwäldchen mehrmals geküßt habe. Weiter habe ich nichts erzählt und mehr habe ich auch nicht gesehen. Alles Uebrige hat der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_553.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)